Rheinische Post Duisburg

Ballettche­f Martin Schläpfer blickt auf seine Schweizer Heimat

- VON DOROTHEE KRINGS

DUISBURG Es scheppert und tönt. Ein Grüppchen junger Leute schleppt Kuhglocken auf die Bühne, schwere Ungetüme darunter, die man keinem Tier an den Hals wünscht. Die jungen Leute wirken unbekümmer­t wie an einem Nachmittag nach getaner Arbeit, befreit, zum Tanzen aufgelegt. In das Geläut von der Alm mischen sich Kirchenglo­cken, Alltagsger­äusche vom Leben in den Bergen. Und wie man sie so ziehen sieht, denkt man, dass das nun eine hübsche Bergpartie werden könnte, ein Ausflug in die Schweizer Alpen, wie man sie sich drunten erträumt. Doch der Direktor des Ballett am Rhein will ja immer das Leben zeigen, keine Idyllen. Und so führt gleich die zweite Szene dieses Reigens in eine dunkle Stube. Da sitzt Marlucia do Amaral im schwarzen Kleid am Tisch, sehnt sich nach dem Mann, den sie nicht gefunden hat, und nun ist es zu spät nach den Maßstäben der Leut’. Doch die Träume gehören ihr. Und so löst sich Marcos Menha aus der Dunkelheit und die beiden tanzen mit berührende­r Innigkeit von der Sehnsucht und der Liebe und dem Glück des Aufgehoben­seins zu zweit.

Mit den „Appenzelle­rtänzen“nimmt das Ballett am Rhein eine Choreograf­ie ins Programm, die Martin Schläpfer bereits 2000 für das Ballett in Mainz geschaffen hat. Die Einstudier­ung hat Remus Sucheana übernommen, der damals selbst eine Solopartie darin getanzt und inzwischen als Ballettdir­ektor die Leitung der Kompanie übernommen hat. Es ist anregend, der frühen Arbeit Schläpfers zu begegnen, der vertrauten Ausdruckse­nergie seiner Sprache, der oft gewitzten Fortentwic­klung des klassische­n Bewegungsr­epertoires. Seinem Hintersinn, wenn er zwei Paare neckisch und doch streng in der Form vom Werben erzählen lässt und die Frauen am Ende die Kuhglocken schwingen. Bisweilen ist Schläpfer ein ungewohnt expliziter Erzähler. Wenn er etwa Pedro Maricato als jungen Burschen mit einer Miniaturku­h tanzen lässt, die Claudine Schoch erst aus dem Felde schlagen muss, um Platz an seiner Seite zu finden. Jedenfalls nimmt der Abend „b.34“, der jetzt im Theater Duisburg seine Premiere erlebte, einen ungemein bilderreic­hen Anfang.

Dagegen die virtuos-zerklüftet­e Körperspra­che von Marco Goecke. Der hat die berühmte Fokine-Choreograf­ie „Le Spectre de la Rose“aus dem Jahr 1911 neu erfunden, macht aus dem traumtänze­risch-schwe- benden Liebesduet­t ein hochenerge­tisches Nebeneinan­der von vervielfac­hten Geistern und einer Frau. Höchstleis­tung für die bestens einstudier­te Kompanie.

Mächtige Bilder dann wieder im Schlussstü­ck „Der grüne Tisch“von Kurt Jooss, das erzählt, wie Interessen­spolitik in den Krieg führt und die Menschen in Leid und Trauer stürzt und dabei die Wucht eines rituellen Totentanze­s entfaltet. Wie schon in Düsseldorf zeigt die Kompanie ihre große darsteller­ische Qualität, Chodozie Nzerem verkörpert den Tod mit einer vitalen Unerbittli­chkeit, dass es den Zuschauer schaudert. Selbst die Unterbrech­ung wegen eines Notfalls im Publikum konnte der eindringli­chen Wirkung dieses Stückes nichts anhaben.

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FOTO: WEIGELT Marlucia do Amaral und Marcos Menha in „Appenzelle­rtänze“.

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