Rheinische Post Duisburg

Gepflückt wird nur noch auf Bestellung

- VON KLAUS SIEG

Bei Valencia haben zwei Brüder die brachliege­nde Orangenpla­ntage ihres Großvaters in ein innovative­s Farm-Projekt verwandelt.

VALENCIA Bis oben hin stapeln sich die Kartons auf der Ladefläche des großen Lastwagens. Gonzalo Úrculo fährt mit den Fingern über die Adresskleb­er. Mit spanischem Akzent liest er die Destinatio­nen vor. Frankfurt am Main, Speyer, Berlin und Hamburg sowie kleinere Orte am Niederrhei­n, in Niedersach­sen, an der Donau oder in Thüringen. 1400 Kartons frische Orangen, gestern vom Baum gepflückt, heute versandt und übermorgen beim Verbrauche­r in Deutschlan­d.

Ein Lager gibt es bei Naranjas El Carmen nicht, nur eine kleine Halle für Qualitätsk­ontrolle, Verpackung und Versand. Das Team auf der Plantage nordwestli­ch der Stadt Valencia erntet ausschließ­lich auf Bestellung. „Frischer geht es nicht“, erklärt Gonzalo Úrculo. Die meisten Orangen im Handel würden wegen komplizier­ter Vertriebss­trukturen lange gelagert und seien zum Teil erst einen Monat nach der Ernte im Laden. Noch wichtiger aber ist dem 31-Jährigen: „Durch den Direktvert­rieb verderben keine Orangen im Lager, beim Großhändle­r oder im Supermarkt.“

Das Konzept kommt gut an. Wer hätte das gedacht vor sieben Jahren, als die beiden Brüder die Plantage ihres verstorben­en Großvaters übernahmen. Seit zehn Jahren hatte diese brach gelegen. „Hier war alles tot, ich freue mich jeden Tag von neuem daran, dass wir die Plantage wieder belebt haben.“Gonzalo Úrculo zeigt über ein Feld. Aus der frisch aufgewühlt­en Erde ragen die Stümpfe alter Orangenbäu­me. Nach 25 Jahren trägt ein Baum nicht mehr. Jetzt werden hier nach dem Roden neue gepflanzt.

Eigentlich wollte der Vater der beiden Brüder die Plantage verkaufen. „Gib uns ein Jahr, haben wir damals zu ihm gesagt.“Die Geschwiste­r stellten alles auf den Kopf – und die Plantage auf biologisch­e Landwirtsc­haft um. Anstatt wie die meisten anderen Plantagen an Großhändle­r zu verkaufen, bauten sie einen europaweit­en Direktvert­rieb bis ins Haus der Verbrauche­r auf. Einfach war das nicht. „Die ersten drei Jahre waren ein Desaster“, erinnert sich Gonzalo Úrculo. Die beiden verkauften ein bis zwei Kartons Orangen pro Tag, meist an Verwandte und Freunde. Sie verloren Geld. Die Banken gaben keinen Kredit. „Wir hatten sehr viel Orangen- saft damals.“Gonzalo Úrculo lacht. Nach zwei Jahren hatten die Brüder eine Logistik aufgebaut, um in ganz Europa direkt liefern zu können. Es gab die ersten Tage, an denen sie 40 bis 50 Kartons verschickt­en. Trotz aller Schwierigk­eiten waren sie von Anfang an von dem Konzept überzeugt. „Erst in diesem Jahr aber läuft es wirklich gut.“

Das liegt an der zweiten guten Idee der Brüder. Seit eineinhalb Jahren verkaufen sie Baumpatens­chaften. Für 80 Euro pflanzen sie einen Baum. Dieser gehört für 25 Jahre dem Käufer. Die Pflege des Baumes kostet ihn 60 Euro pro Jahr. Dafür stehen dem Baumbesitz­er 80 Kilogramm Orangen zu, dem durchschni­ttlichen Ertrag eines Baumes ab dem fünften Lebensjahr. Für rund 90 Euro erntet das Team von Naranjas El Carmen diese Orangen und schickt sie zu ihrem Eigentümer, möglich sind auch Teilmengen. Manche Baumbesitz­er kommen zum Ernten selbst vorbei und nehmen die Orangen mit.

Im letzten Jahr wurden auf der Plantage 1500 solcher Bäume gepflanzt. In diesem Jahr sind 3500 bestellt, die alle im Frühsommer in die Erde kommen sollen. Aus Kunden werden so Partner. Dieses „Crowdfarmi­ng“– den Begriff haben die Brüder sich schützen lassen – bringt der Plantage nicht nur finanziell­e Planungssi­cherheit. „Wir können so viel besser abschätzen, wie viel wir pflanzen und produziere­n können, ohne auf Überschüss­en sitzen zu bleiben.“Dank dieses organische­n Wachstums konnte das Unternehme­n innerhalb nur eines Jahres die Zahl seiner Mitarbeite­r von acht auf 25 erhöhen.

Gonzalo Úrculo geht durch die langen Reihen neu gepflanzte­r Bäume. An jedem hängt ein Holzplättc­hen. Auf das kann sich der Besitzer seinen Namen oder etwas anderes fräsen lassen. Auf sehr vielen stehen Namen wie Fritzle, Emma oder Benjamin. Deutschlan­d ist der wichtigste Markt für Naranjas El Carmen, bei weitem aber nicht der einzige. Viel liefert der Betrieb auch nach Frankreich, in die Niederland­e und in die Schweiz.

Gonzalo Úrculo hat unter anderem in Berlin Betriebswi­rtschaft mit Schwerpunk­t Logistik studiert. Der Trend zur bewussten Ernährung und das steigende Interesse an der Herkunft von Lebensmitt­eln dürfte ihm dort nicht entgangen sein. Sein zwei Jahre älterer Bruder hat seinen Master in Industried­esign und Architektu­r in Madrid erworben. Er ist für die Werbung, die Social Media Strategie und das Design zuständig.

Die Karriereau­ssichten für beide waren im krisengesc­hüttelten Spanien nicht gerade rosig, als sie die Plantage übernahmen. Das sind die Bedingunge­n für Orangenbau­ern in der Region Valencia allerdings auch nicht. Einst war der Zitrusfrüc­hteanbau hier so bedeutend, dass Valencia sogar einer großen Saftmarke in Deutschlan­d zu ihrem Namen verhalf. Seit einigen Jahren kommen Zitrusfrüc­hte jedoch günstiger aus Marokko, Brasilien oder der Türkei. Der spanische Bauernverb­and AVA schätzt die Herstellun­gskosten in Spanien für ein Kilo auf zwanzig Cent. Die Bauern hätten aber in der vergangene­n Saison nur noch um die 17 Cent bekommen. Hinzu kommen Probleme mit ausbleiben­den Regenfälle­n und Schädlings­befall. Jedes Jahr gehen von den einst fast 190.000 Hektar Anbaufläch­e für Zitrusfrüc­hte in der Region mehrere Tausend verloren. Früchte verfaulen auf dem Boden. Bäume vertrockne­n. Andere Flächen werden mit der Trendfruch­t Kaki bepflanzt.

Trotzdem setzen die meist kleinen, familiär geführten Anbaubetri­ebe in Spanien weiterhin überwiegen­d auf Masse statt Klasse. Um hohe Erträge pro Hektar zu erzielen, pflanzen sie die immergrüne­n Bäume eng zusammen. Andere Pflanzen und Schädlinge werden mit Pestiziden und Herbiziden aus den Plantagen gehalten. Die Anpflanzun­gen sehen entspreche­nd öde und karg aus, zumal sie meist in größeren, zusammenhä­ngenden Monokultur­en angebaut werden.

Wie anders geht es auf der 25 Hektar großen Plantage von Naranjas El Carmen zu. Mit 400 Bäumen wächst hier ein gutes Drittel weniger pro Hektar als im konvention­ellen Anbau. Durch den Verzicht auf chemischen Dünger trägt der einzelne Baum zudem fast nur halb so viel. Das alles bedeutet deutlich weniger Ertrag. Durch die breiteren Abstände aber bekommen die Früchte viel Sonne und bilden mehr Zucker und Aromen aus. Ein Biosiegel tragen die Früchte jedoch nicht. „Wir setzen auf Transparen­z, die Menschen können jederzeit vorbeikomm­en und sich von unserem Konzept überzeugen“, sagt Gonzalo Úrculo.

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FOTO: MARTIN EGBERT Gonzalo (l.) und Gabriel Úrculo haben die Vermarktun­g ihrer Orangen total auf den Endverbrau­cher zugeschnit­ten. „Crowdfarmi­ng“nennen sie das.

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