Rheinische Post Duisburg

Schlöndorf­fs erster TV-Krimi

- VON JONAS-ERIK SCHMIDT

Mit 78 Jahren entdeckt der Regisseur nun ein neues Genre für sich. Die Vorlage für „Der namenlose Tag“ist ein Roman.

KÖLN (dpa) Kriminalha­uptkommiss­ar Jakob Franck (Thomas Thieme) hat einen unangenehm­en Job. Ist jemand gestorben, schicken seine Polizei-Kollegen immer Franck, um die Angehörige­n zu informiere­n. Er sagt dann den Satz „Ich muss Ihnen eine sehr traurige Nachricht überbringe­n“. Zerstört sein Gegenüber dann vor Trauer und Wut Teller und Vasen in der Wohnung, bleibt Franck stoisch sitzen.

Es ist ein sehr ungewöhnli­cher Kommissar, den das ZDF im Film „Der namenlose Tag“dem deutschen Krimi-Publikum vorstellt. Ein eigenbrötl­erischer Todesbote, brummig, einsilbig. Noch etwas ungewöhnli­cher ist aber der Regisseur, der diesen Jakob Franck zum Leben erweckt: Volker Schlöndorf­f (78). Der große Literatur-Verfilmer („Die Blechtromm­el“, „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, „Homo Faber“) hat für das ZDF seinen ersten Primetime-Krimi gedreht. Ein Oscarpreis­träger begibt sich in das Brot-und-Butter-Genre des deutschen Fernsehens.

Es ist natürlich kein Krimi von der Stange. Als Vorlage dient – wie könnte es anders sein – ein Roman. Das gleichnami­ge Buch schrieb Friedrich Ani (59), 2016 wurde es mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeich­net. Es ist ein Roman, aus dem wenig Blut trieft und in dem es oft um das Schweigen geht. Der pensionier­te Polizist Franck, der To- desbote, wird darin von einem eigentlich schon abgeschlos­senen Fall eingeholt. Der Familienva­ter Ludwig Winther (Devid Striesow) sucht ihn auf, er glaubt nicht, dass seine Tochter Suizid begangen hat, worauf bislang alles hindeutet. Polizist Franck hatte die Nachricht vom Tod des Mädchens einst Winthers Frau (Ursina Lardi) überbracht und sie über Stunden stumm im Arm gehalten. Nun erfährt er, dass auch sie sich selbst getötet hat. Der Fall lässt ihn nicht mehr los. Er beginnt zu recherchie­ren.

Schlöndorf­f lässt zu, dass man ihm „Der namenlose Tag“als ersten Fernsehkri­mi in die Filmografi­e schreibt – ob es sich aber wirklich um einen handelt, stellt er zumindest infrage. Es gibt keinen Schusswech­sel, keine Verfolgung­sjagd, keine Verhöre. Er sei sich anfangs auch unsicher gewesen, ob genug Spannung aufkommt, sagt Schlöndorf­f. Er habe ja keine Erfahrung. „Ich habe gedacht: Wir brauchen irgendwo noch eine Leiche.“

Das ZDF nennt die Zusammenar­beit mit Schlöndorf­f einen „Coup“. Wenn man sich vor Augen hält, welche Namen und Werke seine Karriere begleiten, ist das nachvollzi­ehbar. Es wird spätestens bewusst, wenn Schlöndorf­f erzählt, wie ihm die Druckfahne­n des damals noch nicht veröffentl­ichten Ani-Romans in den Urlaub nach New York geschickt wurden. „Das letzte Mal, als ich Fahnen bekam, waren sie von Heinrich Böll.“Er meint „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“.

Schlöndorf­f schrieb dann in drei Wochen ein Drehbuch, vieles noch mit der Hand. Die Erwartung an das Fernsehen sei aber natürlich eine andere als an das Kino, sagt Schlöndorf­f. Nach einem guten Spielfilm sei man im besten Fall so aufgewühlt, dass man dreimal um den Block und in eine Kneipe gehen wolle, um zu diskutiere­n. Anders im Fernsehen: „Wenn der Film vorbei ist, muss ich abschalten und gut schlafen.“

Der Oscargewin­ner („Die Blechtromm­el“, 1980) inszeniert den Krimi als Kammerspie­l, er erinnert fast an einen Stummfilm mit vielen Hell-Dunkel-Kontrasten. Viel geredet wird nicht, oft geht jemand von irgendwo nach irgendwo. Alles Schrille geht dem Film vollkommen ab. Man muss es mögen – „Coup“hin oder her.

„Der namenlose Tag“, ZDF, 20.15 Uhr

 ?? FOTO: ZDF ?? Kommissar Jakob Franck (Thomas Thieme), Hauptfigur in „Der namenlose Tag“, überbringt Doris Winther (Ursina Lardi) die Nachricht vom Tod ihrer Tochter. Der Krimi kommt ohne Schusswech­sel, Verhöre und Verfolgung­sjagden aus.
FOTO: ZDF Kommissar Jakob Franck (Thomas Thieme), Hauptfigur in „Der namenlose Tag“, überbringt Doris Winther (Ursina Lardi) die Nachricht vom Tod ihrer Tochter. Der Krimi kommt ohne Schusswech­sel, Verhöre und Verfolgung­sjagden aus.

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