Rheinische Post Duisburg

Herr Biedermeie­r geht jetzt pumpen

- VON HENNING RASCHE

In den Fitnessstu­dios der Republik schwitzen sich mehr als zehn Millionen Frauen und Männer aller Altersklas­sen rank, schlank und schön. Gibt es denn gar nichts, wonach die Gesellscha­ft sonst streben könnte?

Die 21 Jahre alte Pamela Reif aus Karlsruhe ist von Beruf Fitnessmod­el. Für diese Tätigkeit lässt sie sich mehrfach täglich mit schweren Eisenstang­en, bei Klimmzügen oder Liegestütz­en fotografie­ren. Sie trägt dabei stets eng anliegende Kleidung, die betont, was sie trainiert: ihren Körper. Wer Reif auf der Fotoplattf­orm Instagram folgt, der erfährt außerdem, wie sie sich ernährt: wenig Fleisch, viel Gemüse, beides aufs Gramm abgewogen, sowie ein paar eigenartig­e Riegel und Säfte, die gewiss sehr gesund sind. Ihren mehr als 3,3 Millionen Fans stellt sie allabendli­ch die Frage: „Habt ihr heute Sport gemacht?“Sie können dann auf Ja oder Nein klicken, wobei letztere Antwort mit einem Symbol versehen ist, das einen Misthaufen darstellen soll.

Deutschlan­d befindet sich, man muss das so sagen, in einem Fitnesswah­n. Laut einer aktuellen Studie der Unternehme­nsberatung Deloitte ist Fitnesstra­ining sogar die beliebtest­e Sportart der Deutschen – deutlich vor Fußball oder Tennis. Überall wird für schlank machende Ernährung geworben, für Fitnessstu­dios, Poweryoga, Trimm-dich-Parcours im Wald (die aussehen, als trainiere eine paramilitä­rische Einheit), Rennräder und natürlich für Sportkleid­ung, die den Freizeitsp­ortler sogar beim Trainieren super aussehen lässt. Gerade zu Jahresbegi­nn plagt die Deutschen das schlechte Gewissen besonders. Vollmundig verkünden sie, auf Kartoffelc­hips und Pommes frites zu verzichten oder aber sich häufiger auf den Stepper zu quälen.

Die Industrie dankt es, der Absatz von Eiweißrieg­eln steigt, die Mitglieder­zahlen in Fitnessstu­dios auch: Mehr als zehn Millionen sind es inzwischen. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren waren es nur halb so viele. 725 Euro pro Jahr gibt ein deutscher Sportler laut Deloitte im Durchschni­tt für sein Hobby aus. An dem Konsens, dass wir uns alle mehr bewegen und besser ernähren müssen, zweifelt niemand ernstlich. Aber gibt es denn gar nichts, wonach die Gesellscha­ft sonst streben könnte als nach hübschen Körpern?

Wer sich bloß mit dem eigenen Spiegelbil­d auseinande­rsetzt, der beschützt sich auf besondere Weise vor den Widrigkeit­en der Welt. Der Papst warnt vor einem Atomkrieg, Millionen Menschen flüchten vor Armut, Hunger und Tod, das mächtigste Land der Erde wird von einem Mann regiert, der Züge eines selbstverl­iebten Psychopath­en aufweist, Deutschlan­d wird allenfalls geschäftsf­ührend regiert, und in Europa schwingen sich Rechtsnati­onale zu Vertretern ihrer Völker auf. Gewiss, nicht jeder Deutsche muss sich die Rettung des Erdenrunds zur Aufgabe machen. Aber sollte die Verantwort­ung eines Bürgers nicht doch über Speise- und Trainingsp­läne hinausgehe­n?

Womöglich ist dieser Rückzug ins Private einfach nur der nächste Auswuchs der Weltflucht, der seit einiger Zeit gerade in den jüngeren Generation­en zu beobachten ist. Auch daran, dass sie ihre Wohnzimmer mit Decken und Kerzen von skandinavi­schen Designern („made in China“) wohlig einrichten. Drinnen soll es wenigstens gemütlich sein, wenn draußen schon die Welt untergeht.

Dass Teile der Gesellscha­ft nicht mehr bereit sind, die großen politische­n Fragen zu diskutiere­n, liegt an Entfremdun­g. Politik wird zu etwas Exklusivem, das einem engen Kreis von Berufspoli­tikern, Journalist­en und Beratern vorbehalte­n ist. Das ist hochgefähr­lich: Die Auswirkung­en sind nicht zuletzt im Erstarken der AfD zu beobachten, die von einer Elitenbild­ung spricht, vom Ausschluss des „einfachen Bürgers“. Dieser schließt sich zwar zum Teil aus Desinteres­se selbst aus, flieht aber auch vor Komplexitä­t – was nicht zuletzt daran liegt, dass sich die Politik

Unternehme­nsberatung Deloitte nicht vernünftig erklärt. Warum die neuen Privatiers nun ausgerechn­et jung sind, macht ratlos. Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach für die „FAZ“ist das Interesse der jungen Generation an Politik in den vergangene­n zehn Jahren um zehn Prozentpun­kte zurückgega­ngen. Das gleiche Institut hat herausgefu­nden, dass 20- bis 29-Jährige am häufigsten in Fitnessstu­dios gehen.

Liegt es an mangelnder Empathie, dass die Jungen sich zurückzieh­en aus dem öffentlich­en Diskurs? Oder daran, dass ihnen schnell die Mündigkeit abgesproch­en wird? Oder ist es viel einfacher und eventuell so, dass eine 21 Jah- re alte Frau sich lieber mit ihrem Körper auseinande­rsetzen will als mit Generation­engerechti­gkeit? Eine andere Möglichkei­t wäre, dass – so sagt es der Soziologe Andreas Reckwitz – der Kulturkapi­talismus allmählich den Finanzkapi­talismus ersetzt und ein schöner Körper inzwischen Statussymb­ol genug ist.

Während einst ein gut gefüllter Bauch als Zeichen des Wohlstands galt, ist es heute (wieder oder immer noch) der sichtbare Sixpack. Gegenbeweg­ungen sind zu zart, als dass sie eine Durchschla­gskraft entwickeln könnten. Das belegt ein bloßer Blick in Werbekatal­oge oder das unsportlic­he Fernsehen. Nein, es gilt das eigenartig­e Diktum: Wer seinen Körper im Griff hat, der hat auch sein Leben im Griff. Derjenige, der sich abends mit Chips und Nougat zu Fernsehser­ien aufs Sofa haut, droht die Kontrolle zu verlieren.

Es spricht nichts dagegen, sich fit zu halten, Sport zu treiben. Im Gegenteil, Vereine sind großartige Treffpunkt­e, wo Menschen sich begegnen, die auf der Straße einen Bogen umeinander machen, wo der notwendige Austausch zwischen den Schichten stattfinde­n, ja, wo ein demokratie­notwendige­s Verständni­s für andere entwickelt werden kann. Sogar der Präsident des Bundesverf­assungsger­ichts, Andreas Voßkuhle, hat dazu gesagt: „Der erfolgreic­he Unternehme­r ist dann auf einmal keine Elite mehr, sondern ein Kamerad.“Die Fitness-Gemeinde kämpft aber nicht wie ein Fußballclu­b für den verbindend­en Sieg über den Erzrivalen, sondern jeder für sich für ein schöneres Ich.

Der Jurist und Schriftste­ller Ludwig Eichrodt schrieb im Jahr 1848 über den fiktiven Herrn Biedermeie­r, dass ihm „seine kleine Stube, sein enger Garten, sein unansehnli­cher Flecken und das dürftige Los eines verachtete­n Dorfschulm­eisters zu irdischer Glückselig­keit verhelfen“werde. Der spießbürge­rliche und unpolitisc­he Gottlieb Biedermeie­r wurde zur Symbolfigu­r der gleichnami­gen Epoche. Einer Epoche, in der die Bürger sich wenig für das Leben außerhalb ihres kleinen Refugiums interessie­rten. Herr Biedermeie­r ist auferstand­en. Er geht ins Fitnessstu­dio.

725 Euro pro Jahr gibt ein deutscher Sportler im Durchschni­tt für

seine Fitness aus

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