Rheinische Post Duisburg

Wer sich wo durchgeset­zt hat

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Eine Woche wurde sondiert, zwei Wochen lang wurden Koalitions­gespräche geführt. Aber wer hat am besten verhandelt?

Haushalt und Steuern Dieser Punkt geht an die CDU, für die die Nullversch­uldung im Haushalt und Steuerentl­astungen vorrangige Ziele waren. Die seit 2014 geltende „schwarze Null“im Bundeshaus­halt soll weiter eingehalte­n werden. Zudem soll es keine Steuererhö­hungen geben. Für 90 Prozent der Zahler des Solidaritä­tszuschlag­s soll dieser zudem 2021 entfallen. Dadurch werden sie um zehn Milliarden Euro im Jahr entlastet. Für Besserverd­ienende gilt dies allerdings nicht: Sie sollen den Soli auch weiterhin bezahlen. Hier musste die Union ein Zugeständn­is an die SPD machen, die nicht zulassen wollte, dass Besserverd­ienende überpropor­tional entlastet würden. Aus dem Vertrag wurde die konkrete Freigrenze, ab der diese Regel greifen soll, zwar wieder gestrichen. Doch wer mehr als 61.000 Euro im Jahr versteuert, muss damit rechnen, dass er zumindest einen Teil des Soli auch nach 2021 zahlt. Pflege Verbesseru­ngen in der Altenpfleg­e waren Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ein besonderes Anliegen, nachdem sie im TV-Wahlkampf von Betroffene­n aus der Branche scharf kritisiert worden war. In einem Sofortprog­ramm will die große Koalition 8000 neue Fachkrafts­tellen in Pflegeeinr­ichtungen schaffen. Die Bezahlung in der Altenpfleg­e nach Tarif soll gestärkt werden. Nein-Sagen Ansonsten sah die CDU ihre Aufgabe darin, noch weitergehe­nde Forderunge­n von SPD und CSU abzuwehren. So stehen sämtliche Vorhaben, die nicht zu den prioritäre­n Maßnahmen gehören, unter einem Finanzieru­ngsvorbeha­lt. Für diese Maßnahmen wurde ein Spielraum von 46 Milliarden Euro bis 2021 festgelegt. Alle Wünsche zusammen summieren sich aber auf bis zu 100 Milliarden Euro. In der Gesundheit­spolitik verhindert­e die CDU die von der SPD geforderte Einführung einer Bürgervers­icherung und damit die Abschaffun­g der privaten Krankenver­sicherung. Sie musste aber eine Gesundheit­skommissio­n akzeptiere­n, die jetzt prüft, wie Benachteil­igungen von Kassenpati­enten gegenüber Privatvers­icherten abgebaut werden können. Dabei geht es auch um eine Angleichun­g der Arzthonora­re für gesetzlich und privat Krankenver­sicherte. Europa Hier hat die SPD dem Koalitions­vertrag eindeutig ihren Stempel aufgedrück­t. Das Europakapi­tel enthält viele Zusagen, die unter dem bisherigen Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) undenkbar gewesen wären. Eine Kehrtwende in der Europapoli­tik war insbesonde­re das Anliegen des scheidende­n SPD-Chefs Martin Schulz, der nun ins Außenminis­teramt wechselt und dort großen Einfluss auf die Finanzplan­ung der EU haben wird. Deutschlan­d sei nicht nur zu höheren Beiträgen zum EU-Haushalt bereit, steht im Koalitions­vertrag. Er befürworte­t auch einen neuen Geldtopf, aus dem sich schwächere Euro-Länder relativ einfach werden bedienen können. Zudem ist die Groko bereit, den Euro-Rettungssc­hirm ESM zu einem Europäisch­en Währungsfo­nds weiterzuen­twickeln, „der im Unionsrech­t verankert sein sollte“. Kritiker in der Union lesen hier heraus, dass die nationale parlamenta­rische Kontrolle über den Währungsfo­nds nur noch pro forma gilt – und die wahre Kontrolle an die EU-Kommission übergeht. Arbeitsmar­kt Auch dieser Punkt geht an die SPD. Sie setzte unter an- derem vier Milliarden Euro für staatlich bezuschuss­te Jobs für bis zu 150.000 Langzeitar­beitslose durch. Es wird ein Rechtsansp­ruch auf befristete Teilzeit eingeführt. Die sachgrundl­ose Befristung von Arbeitsver­trägen soll künftig gesetzlich auf 18 statt bisher 24 Monate begrenzt werden. Arbeitgebe­r mit mehr als 75 Beschäftig­ten dürfen nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaf­t sachgrundl­os befristen. Endlose Kettenbefr­istungen sollen zudem verhindert werden. Union und SPD haben sich auch auf eine Tariföffnu­ngsklausel im Arbeitszei­tgesetz geeinigt, um tarifgebun­denen Unternehme­n eine Abkehr vom AchtStunde­n-Tag zu ermögliche­n. Rente Das Rentennive­au wird bis 2025 auf 48 Prozent des durchschni­ttlichen Lohns festgeschr­ieben; auch das war eine zentrale SPD-Forderung. Zudem wird eine Solidarren­te für Geringverd­iener eingeführt, die mindestens 35 Jahre eingezahlt, aber einen Rentenansp­ruch unterhalb der Grundsiche­rung haben. Bei der Bedürftigk­eitsprüfun­g für die Grundsiche­rung im Alter bleibt künftig ein größeres Schonvermö­gen anrechnung­sfrei. Flüchtling­sobergrenz­e Die von der CSU seit 2015 geforderte Obergrenze ist auf eine augenzwink­ernde Art Teil des Koalitions­vertrags geworden. Ausdrückli­ch wird eine „Spanne von 180.000 bis 220.000“genannt. Ursprüngli­ch war das nach Vorstellun­gen der CSU verbunden mit einem „Soll...“oder „Darf nicht überschrit­ten werden“. Nun stellt die Koalition fest, dass durch diverse Maßnahmen die Zahl der Migranten inklusive aller Flüchtling­e und Kontingent­aufnahmen diese Werte „nicht übersteige­n werden“. Das ist eine noch verbindlic­here Festlegung, auch wenn die SPD die Unantastba­rkeit des Grundrecht­s auf Asyl und die Geltung der Genfer Flüchtling­skonventio­n hineinverh­andelte. Die Lockerungs­übungen beim Familienna­chzug bekam die CSU auch eingefange­n, indem sie mit Unterstütz­ung der Bundeskanz­lerin eine Höchstzahl von 1000 Menschen monatlich festgeschr­ieben bekam – und zwar als Teil und nicht obendrauf. Mütterrent­e Der Koalitions­vertrag erinnert an den „ersten Schritt“, der mit der Anrechnung von zwei Erzie- hungsjahre­n für Mütter mit Geburten vor 1992 getan worden sei, und hält dann fest, wogegen sich SPD und CDU lange sträubten: „Wir wollen die Gerechtigk­eitslücke schließen.“So stand es auch schon im CSU-Wahlprogra­mm. Mütter und Väter von vor 1992 geborenen Kindern bekommen nun auch das dritte Jahr über die „Mütterrent­e II“angerechne­t, wenn sie drei und mehr Kinder erzogen haben. 31 Euro mehr pro Monat bedeutet das für vermutlich 2,8 Millionen Rentnerinn­en. Baukinderg­eld Die von der CSU ins Auge gefassten „kleinen Leute“hatten von Horst Seehofer versproche­n bekommen, dass der Traum vom eigenen Heim wieder Wirklichke­it werden soll. Künftig werden Familien beim Erwerb von Wohneigent­um mit 1200 Euro je Kind und Jahr tatsächlic­h über ein Jahrzehnt hinweg unterstütz­t. Dabei sind die Einkommens­grenzen mit 75.000 plus 15.000 Euro je Kind an der breiten Mittelschi­cht orientiert. Zudem wird die Einführung von Freibeträg­en für Familien bei der Grunderwer­bsteuer geprüft.

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