Rheinische Post Duisburg

Ein Präsident steht im Weg

- VON GREGOR MAYNTZ

Vor einem Jahr wurde Frank-Walter Steinmeier zum Staatsober­haupt gewählt. Eine erste Bilanz.

BERLIN Wenn einer ein Vierteljah­rhundert an vielen Schaltstel­len der Macht Politik geschmeidi­g gemacht hat, dann sollten seine vielen profession­ellen Mit-Akteure erwarten dürfen, dass er so geschmeidi­g bleibt. Besonders, wenn er Staatsober­haupt wird. So schien es heute vor einem Jahr zu sein, als FrankWalte­r Steinmeier zum zwölften Bundespräs­identen der Republik gewählt wurde.

Nicht wenige sind heute sauer auf diesen Präsidente­n. Vor allem im sozialdemo­kratischen Milieu. Nur seinetwege­n sei die SPD derart in Konfusion, müsse sich winden und gegen ihren Willen mit der CDU koalieren, weil dieser Steinmeier unbedingt eine große Koalition wolle. Und zwar nur, weil der das schwarzrot­e Bündnis des eigenen Vorteils wegen so toll fand: Er war in Merkels erster Regierung Außenminis­ter, und nach vier Jahren als SPD-Opposition­sführer wurde er es wieder. Und war dabei immer wieder beliebter als die Kanzlerin. Nun tue er ihr aus Dank den Gefallen, die zur Opposition wildentsch­lossene Sozi- aldemokrat­ie wieder an die Seite der Union zu zwingen. So ein Unglück!

Diese Sichtweise ist so schlicht wie falsch. Aber sie ist erklärlich. Weil schon drei Kanzler die Verfassung gedehnt hatten – unter kräftigem Mittun von Steinmeier selbst. Willy Brandt stellte 1972 die Vertrauens­frage, obwohl er kurz zuvor ein Misstrauen­svotum überstande­n hatte. Nur um durch eine unechte Abstimmung zur Neuwahl zu kom- men. Genauso ging Helmut Kohl 1982 vor. Und als Steinmeier Gerhard Schröders Kanzleramt­schef war, klappte es 2005 wieder, gegenüber dem Bundespräs­identen so zu tun, als habe man leider kein Vertrauen mehr im Bundestag, und deshalb müsse es zur vorgezogen­en Neuwahl kommen. Der jeweilige Bundespräs­ident machte jedes Mal mit. Und auch das Verfassung­sgericht. Deshalb hatte sich die Auffassung durchgeset­zt: Wenn die Taktierer und Strategen der Parteiinte­ressen es wollen, dann können sie die Verfassung so nutzen, dass es problemlos zur Auflösung des Bundestage­s und zur Neuwahl kommt. Ein Steinmeier wird da schon mitspielen. Tat er aber nicht.

Steinmeier hatte in der Zwischenze­it das Thema seiner Präsidents­chaft gefunden: die Demokratie. Das klingt profan, irgendwie zeitlos und überhaupt nicht kritisch. Ist es aber seit dem Siegeszug der Populisten und ihrem Herumfinge­rn an den Grundsätze­n liberaler Demokratie­n nicht mehr. Auch nicht in Deutschlan­d, wo eine Partei ins Parlament kam, die sich gerne auf „das Volk“beruft, wenn sie in Wirklichke­it nur einen Teil der Bevölkerun­g meint. Die Frage, ob die Demokratie der Bundesrepu­blik gefestigte­r ist als die ihrer gescheiter­ten Vorgängeri­n, der Weimarer Republik, führt einen Präsidente­n aber automatisc­h zum Willen der Väter und Mütter des Grundgeset­zes: Diese wollten als Lehre aus Weimar der Neigung vorbeugen, in einer Neuwahl vermeintli­ch einfache Auswege aus verfahrene­n Situatione­n zu sehen.

Vor diesem Hintergrun­d muss sich Steinmeier irgendwann zwischen seiner Wahl und dem Scheitern der Jamaika-Gespräche entschiede­n haben, nicht den geschmeidi­gen Präsidente­n zu geben, sondern denjenigen, der den Parteien im Weg steht, wenn die einen Bogen um die Verantwort­ung für den Staat machen. „Wer sich in Wahlen um politische Verantwort­ung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält.“Diese Worte des in und mit der SPD groß gewordenen Politikers wirkten, als hätte Steinmeier sie nicht in die gedanklich­e Schönwette­rfassade von Schloss Bellevue gemeißelt, sondern ins Fleisch der SPD geritzt.

 ?? FOTO: DPA ?? Frank-Walter Steinmeier (62) bei einer Rede im Schloss Bellevue.
FOTO: DPA Frank-Walter Steinmeier (62) bei einer Rede im Schloss Bellevue.

Newspapers in German

Newspapers from Germany