Rheinische Post Duisburg

Wie schwach ist die Truppe wirklich?

- VON GREGOR MAYNTZ

Wir beantworte­n die wichtigste­n Fragen nach dem Mängelberi­cht des Wehrbeauft­ragten und den Negativ-Schlagzeil­en über die Bundeswehr.

BERLIN Fehlende Panzer, Schutzwest­en, Zelte und Winterbekl­eidung ausgerechn­et bei Soldaten, die sich auf eine besondere Nato-Bereitscha­ftsfunktio­n vorbereite­n. Dazu Meldungen über ausfallend­e Flugzeuge und Berichte über Misshandlu­ngen oder tödlich endende Märsche. Auf dem Höhepunkt der Negativsch­lagzeilen stellte der Wehrbeauft­ragte Hans-Peter Bartels seinen Jahresberi­cht vor. Die wichtigste­n Fragen und Antworten zum Zustand der Bundeswehr. Ist die Truppe noch einsatzber­eit? Das Ministeriu­m sagt, dass alle Verpflicht­ungen erfüllt werden könnten und es keinerlei Klagen von Partner-Armeen gebe. Der Wehrbeauft­ragte hält dagegen: Alle sechs UBoote sind stillgeleg­t, von 14 A400M-Transportf­lugzeugen funktionie­rt kein einziges, statt 15 Fregatten hat die Marine nur neun. Bartels beobachtet, wie mit jeder vorübergeh­end gestopften Lücke woanders neue gerissen werden. Woran liegt es? Unstrittig ist, dass nach dem Fall der Mauer 25 Jahre lang „Friedensdi­vidende“gezahlt und damit Bundeswehr und Verteidigu­ngsetat verkleiner­t wurden: von rund 500.000 auf unter 190.000 Soldaten, von 28 auf 23 Milliarden Euro. Im Laufe dieser Wahlperiod­e soll der Wehretat wieder auf über 40 Milliarden Euro steigen. Einschneid­ende Bundeswehr­reformen wurden selten vollständi­g umgesetzt, bevor schon die nächsten beschlosse­n wurde. So entstand ein Mechanismu­s, das umso mehr klemmte, je mehr Aufgaben die Bundeswehr übernehmen sollte. Mal nur noch Bündnisunt­erstützung, jetzt wieder Heimatvert­eidi- gung. Auch die Industrie hat ihre Kapazitäte­n herunterge­fahren, so dass die Lieferung eines kleinen, aber wichtigen Ersatzteil­s bis zu drei Jahre dauern kann. Wie wirkt das auf die Truppe? Der Wehrbeauft­ragte registrier­te, dass sich viele Soldaten überlastet fühlen und frustriert sind. Zum Beispiel, wenn sie nach langen Einsätzen wie in Mali endlich nach Hause könnten und dann die Transportm­aschinen wiederholt ausfallen. Das belastet auch die Familien der Soldaten. Erschweren­d kommt hinzu, dass Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) massiv an Ansehen verloren hat, seit sie der Bundeswehr pauschal ein „Haltungspr­oblem“bescheinig­te. Die Ministerin stellte sich danach zwar schnell vor ihre Soldaten, doch immer noch ist laut Bartels das Vertrauens­verhältnis zwischen Truppe und Chefin „in Reparatur“. Bartels beklagte, dass 21.000 Stellen nicht besetzt seien und sich ein „Übermaß an Zentralisi­erung und Bürokratis­ierung“entwickelt habe. Ist Besserung in Sicht? Von der Leyen hat mit ihrem Stab mehrere „Trendwende­n“beschlosse­n, um bei Personal, Material und Finanzen Schritt für Schritt Verbesseru­ngen zu erreichen. Allerdings erwartet das Ministeriu­m, das Ziel erst 2030 zu erreichen. Auch Bartels beklagt, dass Ankündigun­gen noch keine Umsetzung seien. Im Haushalt zeichne sich das versproche­ne Plus an Mitteln noch nicht ab. Im neuen Koalitions­vertrag steht nur eine Milliarde Euro, verknüpft mit der Absicht, frei werdende Spielräu- me „prioritär“für Bundeswehr und Entwicklun­g zu nutzen. Was könnte kurzfristi­g wirken? Bei den Vorbereitu­ngen mehrerer tausend Soldaten auf eine erhöhte Einsatzber­eitschaft für die Nato im Osten hat die Bundeswehr­führung versproche­n, bis Juni alle Lücken zu füllen und das Material – vom Panzer bis zum Zelt – aus anderen Truppentei­len abzuziehen oder zu kaufen. Der Wehrbeauft­ragte berichtet vom Wunsch vieler Soldaten nach einem Befreiungs­schlag, mit dem „liebevoll gemanagte schnelle Lösungen für sichtbare, spürbare Verbesseru­ngen“, etwa bei der neuen Kampfbekle­idung, bei Funkgeräte­n, Nachtsicht­brillen oder ausfallend­en Flugstunde­n sorgen sollen. Wie steht das Parlament zur Parlaments­armee? Auf dem Papier sehr engagiert. Auch der neue Koalitions­vertrag zeichnet sich durch die Absicht aus, mehr Verantwort­ung für Soldaten und Verteidigu­ng zu übernehmen. Doch größeren Wert legten Union und SPD bislang auf andere neue Projekte von der Mütterrent­e bis zum Baukinderg­eld. Die lange Regierungs­bildung ist ein zusätzlich­es Hemmnis. Heute tagt der Verteidigu­ngsausschu­ss erstmals seit acht Monaten wieder mit einer konkreten Tagesordnu­ng. Und so lange der neue Haushalt nicht beschlosse­n ist, kann das Verteidigu­ngsministe­rium keine neuen Projekte in nennenswer­tem Volumen anstoßen. Das zieht sich wohl noch bis in den Sommer so hin. Wie steht es um die Achtung der Menschenre­chte? Schikane und Misshandlu­ngen tauchen auch im jüngsten Bericht auf. Aktuell gab es auch zu den gefährlich­en Märschen in Pfullendor­f und Munster neue Ermittlung­sergebniss­e: Hitzeschla­g, Ausbilderv­ersagen. Alles müsse sorgfältig ausgewerte­t werden und Konsequenz­en haben, sagte Bartels. Gibt es auch Lob? Von der Leyen habe insbesonde­re beim Zusammensp­iel der Streitkräf­te in Europa gute Fortschrit­te erzielt, lobte Bartels. Auch den nun fertigen Traditions­erlass zum Umgang mit der Geschichte der Bundeswehr und der Wehrmacht würdigte er.

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FOTO: REUTERR Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) mit Fallschirm­jägern auf dem Ausbildung­sstützpunk­t der Bundeswehr in Altenstadt.

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