Das rätselhafte Mädchen von Hochheide
Seit 2000 ziert eine Bronzeplastik Doris Rückers den Platz zwischen Moerser Straße und Ottostraße.
HOCHHEIDE Ist es Skepsis? Wehmut vielleicht? Oder Trauer? Über ihre linke Schulter blickt die junge Frau auf Hochheides Hochhaus-Kulisse, ein schmales Geschöpf mit Mantel und Hut, das barfuß auf einem Sockel steht. „Mädchen im Wind“heißt die Bronzeplastik, die am 9. Juni 2000 von Vertretern des Bezirksamts und der Verwaltung an der Ecke Moerser Straße/Ottostraße feierlich enthüllt wurde. Eine anmutige Arbeit, geschaffen 1959 von der Bildhauerin Doris Rücker. Eine Leihgabe des Wilhelm-LehmbruckMuseums.
Wer das „Mädchen“einmal entdeckt hat, kann die Augen kaum vom ihm lassen. Schon wegen der rätselhaften Gestalt, die ebenso einem zarten Knaben gehören könnte. Auch das Alter ist schwer zu schätzen. Ist es ein Kind oder eher eine Jugendliche? Die rechte Hand in der Tasche verborgen, blickt die Figur auf die Weißen Riesen. Gefällt ihr, was sie sieht? Schaut sie richtig hin oder ist sie nur tief in Gedanken versunken?
In Hochheide hieß man das „Mädchen“damals gern willkommen. Vielen Bürgern war der Platz an der Moerser Straße ein Dorn im Auge, ein totes Stück Stadt, das nur als Abkürzung zur Bushaltestelle diente. Umso größer war die Freude, als die Plastik zur Verschönerung des Ortsbildes hierher transportiert wurde. Alter Standort der rund 1,80 Meter großen Figur war das Gelände der ehemaligen Annette-von-Droste-Hülshoff-Realschule an der Geibelstraße. Andere bezeichnen die Arbeit in Homberg als deplatziert: „Also ich finde den Platz nicht schön, wo das „Mädel“aufgestellt wurde“, kommentierte eine Duisburgerin im Internet. „Ist keine schöne Ecke. Auch zum Fotografieren bieten sich keine schönen Bild- hintergründe. Hochheide eben.“Doris Rücker, 1909 im sächsischen Meerane geboren, verstand sich gut auf Darstellungen wie diese. Sie studierte von 1938 bis 1943 an der Meisterschule des deutschen Handwerks in Leipzig, arbeitete danach als freie Bildhauerin. Im Laufe ihres Schaffens entstanden viele filigrane Bronzefiguren, der sie mystische Namen gab wie „Strahlentier“, „Kleiner König“, „Ballerina“und „Mondgöttin“.
Ein Artikel über eine Schau in Hirzenhein zitiert einen begeisterten Kurator: „Ihre ‘Katze’“, sagte er über eine Rücker-Plastik, „haben wir schon in Amsterdam und Rotterdam ausgestellt. Hätten wir einen Euro von jedem Besucher bekommen, der sie bewunderte, wäre die Ausstellung finanziert gewesen.“Dazu passt, das die Künstlerin eine ihrer Katzen für den Porzellanhersteller Rosenthal fertigte.
1951 zog sie nach Düsseldorf, außerdem lebte sie einige Monate im Jahr in Spanien. Studienreisen führten sie auf den Balkan, nach Mittelund Westeuropa und in die USA. Neben freien Arbeiten entstanden vor allem öffentliche Aufträge, Brunnenplastiken, Wandgestaltungen und Skulpturen. In Düsseldorf ist Rücker mit vielen Werken vertreten, darunter eine Kindergruppe auf dem Rather Markt. Wie das Duisburger „Mädel“besteht auch sie aus einfachen, rhythmisch angeordneten Grundformen. Später orientierte sich die Künstlerin dann immer stärker Richtung Abstraktion.
Der Nachwelt indes gibt sie Rätsel auf. Doris Rücker muss eine zurückhaltende Person gewesen sein, man findet wenig über ihr Leben. 1986 verstarb sie und liegt mit ihrem Mann Walther auf dem Kalkumer Friedhof begraben. Ihre letzte Ruhestätte ziert ein wunderschöner Stein.