Rheinische Post Duisburg

Die „Fake News“von früher überprüfen

- VON ALFONS WINTERSEEL

Keineswegs staubig: Beim Tag der Archive gab es interessan­te Einblicke. Das „afas“befindet sich jetzt im Knüllermar­kt.

Sollte es beim Lesen jetzt etwas staubig werden, liegt es vermutlich am Thema: Am Samstag war der „Tag der Archive“, an dem frischer Wind durch die Akten wehte, um den Bürgern einen Einblick hinter die Kulissen zu geben.

Das Landesarch­iv am Schwanento­r ist ein imposantes Gebäude. Schon allein deshalb lohnt hier ein Blick in die Magazine. Was sich neben vielen anderen Urkunden, Briefen, Akten verbirgt, zeigt eine kleine Ausstellun­g „Frieden, Freiheit, Mitbestimm­ung?“im Foyer. Sie ist nun nicht besonders groß, richtet sie ihren Fokus doch auf das 100-Jährige der November-Revolution. Ja ist denn schon November? würde Franz B. aus M. vielleicht fragen. „Alles hat seine Vorlaufzei­t“, klärt Dr. Martina Wiech, Leiterin der Abteilung Rheinland im Landesarch­iv auf. „Auch eine Revolution.“

Man denke bei Revolution­en meist zunächst an brennende Barrikaden, aber in Duisburg verlief die Revolution bis zum Jahr 1920 zunächst einmal recht friedlich. So wird u.a. dokumentie­rt, dass auch eine vormals königliche Verwaltung nach einem Umsturz funktionie­rt und aus einem „königliche­n“Amtsgerich­t per Federstric­h ein „staatliche­s“Amtsgerich­t wurde. Frank Michael Bischoff ist der Präsident des Landesarch­ivs, das auf drei Standorte - Duisburg, Detmold und Münster - verteilt ist. Er unter- streicht die Bedeutung der Archive gerade beim Thema Demokratie: Sichern, was geschehen ist, um die Demokratie zu sichern. Wer eine Fake-News wie „früher war alles besser“überprüfen will, der gehe in ein Archiv und checke die „alternativ­en Fakten“auf ihren Wahrheitsg­ehalt. Dazu hat jeder das Recht. Ob es um die eigene Familienge­schichte oder Duisburg im Mittelalte­r geht.

Nach Familienmi­tgliedern suchen auch Gerichte: Und zwar dann, wenn es etwas zu vererben gibt, der reiche Onkel in Amerika aber selbst keine Nachkommen hat. Das erklärt der Leiter des Stadtarchi­vs, Andreas Pilger, seiner ersten Besuchergr­uppe am Samstag. „Dann wird in den Archiven nach möglichen Erben gesucht.“Im Stadtarchi­v am Karmelplat­z werde festgehalt­en, was im offizielle­n Duisburg passiert. Manchmal werde für die Ewigkeit archiviert, manchmal verschwind­et es nach einer gewissen Zeitspanne wieder.

Alles was im Rathaus entschiede­n wird: im Archiv wird es eingelager­t. Möglichst bei maximal 19 Grad und einer Luftfeucht­igkeit von 50 Prozent, um das Papier nicht zu schädigen. Manches, so verrät Andreas Pilger, könne wieder restaurier­t werden, wenn es beschädigt ist, manchmal kommt jeder Restaurato­r zu spät. Doch bevor es ganz verloren geht, wird es digitalisi­ert. „Aber wir bemühen uns nach Kräften, die Substanz zu erhalten.“So wie die rund 3000 Urkunden, davon 1500 allein aus dem Mittelalte­r.

Eine kleine Ausstellun­g bekamen die Besucher hier ebenfalls zu sehen: Duisburg und die 68er. Plakate mit Protestauf­rufen gegen den Veba-Moloch, eine WDR-Dokumentat­ion zum Kampf der Stahlarbei­ter um ihre Krupp Hütte in Rheinhause­n. Und vielleicht, weil es bei der Stahlwerks­schließung im übertragen­en Sinn auch um „Kohle“drehte, findet sich in der Ausstellun­g auch eine Dokumentat­ion zur „Beschreibu­ng der Einsack-Operation“zum Verpacken von Kohle. Landes- und Stadtarchi­ve doku- mentieren hauptsächl­ich schichte von oben“.

Das 1985 gegründete „Archiv für alternativ­es Schrifttum“(afas) dokumentie­rt dagegen die „Geschichte von unten“. Was Mitte der 80er Jahre zunächst auf einem Dachboden begann, schon einige Jahre später immer weitere Räume im Kulturund Freizeitze­ntrum an der Schwarzenb­erger Straße in Rheinhause­n benötigte, ist nun in der obersten Etage des Knüllermar­ktes untergebra­cht. Hier führt Jürgen Bacia an diesem Tag die Besucher durch 1600 Regalmeter. Es schlummert alternativ­es Archivmate­rial aus der ganzen Bundesrepu­blik. Schwerpunk­t ist allerdings NRW. Hier findet sich die „Geschichte von unten“wieder: von Bürgerinit­iativen, linken Stadtteil-

„Ge- blättern, Publikatio­nen der „grauen Literatur“mit Schriften, die im Selbstverl­ag erschienen sind.

Das „afas“sammelt und erschließt Materialie­n der „Neuen Sozialen Bewegungen seit 1945“und macht sie öffentlich zugänglich. Anfangs noch skeptisch von staatliche­n Archivaren beäugt, hat es sich mittlerwei­le etabliert und wird öffentlich gefördert. Hier sind Hunderte von Sammlungen von Projekten, Redaktione­n und Einzelpers­onen untergebra­cht. „Und es ist noch Platz“, wie Jürgen Bacia erklärt.

Den nutzen vor allem Initiative­n, die den staatliche­n Archiven ihre Sicht der Geschichte nicht anvertraue­n wollen. Die Sammelschw­erpunkte reichen von der StudentInn­enbewegung und der „Neuen Lin- ken“bis hin zu den Kämpfern für den Erhalt der Rheinpreuß­ensiedlung, der „Bürger-Initiative-Bruckhause­n“(BIB) über den Schriftver­kehr zum Erhalt des Esch-Hauses bis hin zum Nachlass eines umstritten­en Uni-Professors. „Wir sind keine Konkurrenz zu den staatliche­n Archiven“, unterstrei­cht Jürgen Bacia, „sondern eine Ergänzung. Wir wollen die ,Geschichte von unten’ erhalten.“Denn auch dies sei im Sinne der staatliche­n Archive, nur dort nicht immer zu leisten. Wer selbst mal den Staub in den Archiven aufwirbeln möchte, ist dort willkommen. Für das ,afas’ empfiehlt sich eine Terminvere­inbarung: „http:// www.afas-archiv.de“

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FOTOS: ALFONS WINTERSEEL Der Leiter des Duisburger Stadtarchi­v, Andreas Pilger, gab Einblicke in seine Arbeitsfel­der.
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Jürgen Bacia leitet das „Archiv für alternativ­es Schrifttum“.

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