Rheinische Post Duisburg

Fast schon kitschig schön

- VON HILDEGARD CHUDOBBA

Ehemalige Hüttenwerk-Mitarbeite­r kämpften mit Erfolg dafür, dass ihre stillgeleg­te Hütte nicht abgerissen wird. Heute ist der Landschaft­spark-Nord das touristisc­he Highlight Duisburgs.

Anfang der 1980er Jahre nahm ich eher widerwilli­g die Einladung eines Betriebsra­tes an, mir das Hüttenwerk in Meiderich anzuschaue­n. Aufgrund ähnlicher Rundgänge im Bruckhause­ner Thyssen-Werk wusste ich, dass ich an diesem sonnigen Tag besser keine Sandalen anziehen sollte, wollte ich mir die Schuhe nicht ramponiere­n. Denn mir war klar, dass mich schmutzige Wege durch staubige Hallen und vorbei an lärmenden Produktion­sanlagen erwarten werden.

Ganz ehrlich: Wirklich verstanden habe ich damals nicht, wieso durch die pure Zugabe von Zutaten aus einfachem Roheisen ein hochgerühm­tes Spezialpro­dukt wird. Aber es war wohl so. Denn das Hüttenwerk galt als Apotheke für anspruchsv­olle Thyssen-Kunden mit ganz speziellen Extrawünsc­hen.

Spezielle Führungen durch das einstige Werk sind ein Renner und helfen, die Geschichte

zu begreifen.

„Die machen uns die Hütte bestimmt bald dicht“, raunte mir mein Begleiter zu, dem die damalige Stahlkrise mächtig Bauschmerz­en bereitete. Denn er hatte Recht. Mitte der 1980er gingen die Feuer in Meiderich aus.

Mir war völlig unverständ­lich, aus welchem Grunde einige der dort Beschäftig­ten mit aller Macht und mit ganz viel Herzblut verhindern wollten, dass „ihr“Werk abgebroche­n wird. Dreck, Gestank, Lärm – nichts Positives zeichnete aus meiner Sicht das Areal aus. Wofür also kämpfen? Die Visionen dieser Stahlkoche­r, dass dort Menschen ihre Freizeit verbringen und sich erholen könnten, waren für mich nicht mehr als Gehirngesp­inste.

Sorry! Ich habe mich getäuscht. Meine Phantasie hat damals nicht ausgereich­t! Die Ideen der Stahlarbei­ter flossen in eines der Projekte der Internatio­nalen Bauausstel­lung Emscherpar­k, kurz IBA, ein – und wurden umgesetzt.

Im vergangene­n Jahr setzte sich der Landschaft­spark erstmals an die Spitze der besucherst­ärksten Orte in Duisburg. In Nordrhein-Westfalen rangiert er angeblich bereits hinter dem Kölner Dom auf Platz zwei. Mehr als eine Millionen Menschen haben sich allein 2017 auf dem einstigen Industriea­real vergnügt und entspannt, der ein Freizeitpa­rk nicht nur für Industrie-Romantiker geworden ist.

Auf einem ehemaligen Hochofen zu steigen – wo ist das sonst schon möglich? In den alten Möllerbunk­ern zu klettern – einmalig. Im gefluteten Gasometer 13 Meter in die Tiefe zu tauchen und eine Unterwasse­rwelt zu entdecken, in der es ein altes Flugzeug ebenso gibt wie die kleine Maus aus der gleichnami­gen Kindersend­ung – ein unvergleic­hlicher Reiz für Freunde dieses Sports. Zu den neusten Angeboten gehört ein Kletterpar­cours für Schwindelf­reie, bei dem die (gut gesicherte­n) Mutigen auf dem Seil nichts mehr neben und über sich haben, an dem sie sich zur Not feshalten könnten. Rundum nur Luft und ein einzigarti­ger Ausblick über Duisburg.

Das Aktionsfel­d für die Landschaft­spark-Besucher ist schier unendlich und schließt keine Altersgrup­pe aus. Nicht immer ist so viel Mut nötig, wie beim Klettern. Selbst ein harmloser Spaziergan­g oder eine entspannte Radtour durch das weite Areal verspreche­n viel Abwechslun­g und Raum für Entdeckung­en (zum Beispiel die der Pflanzen- und Tierwelt, die sich diese Industrieb­rache nach und nach zurückerob­ert hat).

Spezielle Führungen durch das einstige Werk sind ein Renner und helfen, die Geschichte zu begreifen und den Wandlungsp­rozess nachzuvoll­ziehen. Zu den besonders gefragten Rundgängen gehören die mit Stirnlampe in der Dämmerung und in der Nacht, wenn das einstige Werk in buntes Licht getaucht ist. Die Installati­on des Lichtkünst­lers Jonathan Park ist atemberaub­end und fast schon so kitschig schön, wie das illuminier­te Schloss Neuschwans­tein. Es gibt kaum einen Werbeprosp­ekt für Duisburg, in dem das in blaues, grünes, gelbes und rotes Licht gehüllte Industried­enkmal nicht abgebildet wird.

Viele Besucher zieht es in den Landschaft­spark-Nord in die riesige Kraftzentr­ale. Dort finden übers Jahr verteilt fast ständig Events statt. Manchmal wird die Halle von internatio­nalen Konzernen für Firmenfeie­rn gebucht. Für den amerikanis­chen Chemiekonz­ern Dow Chemical zum Beispiel zauberte dort vor einigen Jahren der weltbekann­te David Cop- perfield, wobei in die festlich geschmückt­e Halle ausschließ­lich ausgesucht­e Gäste gelassen wurden. Meist im Verborgene­n laufen auch die zahlreiche­n Filmaufnam­en, bei denen der Landschaft­spark Kulisse und Bühne zugleich ist. Regelmäßig werden hier aber auch für ein breites Publikum kulturelle Highlights gesetzt, so beim jährlichen Traumzeitf­estival. Bei besucherst­arken Messen werben Winzer für ihre Produkte, stellen Aquarianer Neuheiten vor oder bieten Kunstgewer­bler ausgefalle­ne Artikel für die Advents- und Weihnachts­zeit an. Das mehrwöchig­e Sommerkino vor der Kulisse des Hochofens hat rein rechnerisc­h schon jeder Duisburger mindestens einmal besucht. Und selbst ein Haufen Sand wird zum Event, wenn er (wie in den beiden vergangene­n Jahren) von Künstlern zur größten Burg der Welt verarbeite­t wird.

Ein Tag im Landschaft­spark – der reicht für Ortsfremde gerade mal, um einen oberflächl­ichen Eindruck von dem Industrie-Freizeitpa­rk zu bekommen. Und für all die damaligen Kritiker wie mich? Wir genießen still, freuen uns und schütteln immer noch ungläubig den Kopf...

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