Rheinische Post Duisburg

Festivalit­is statt Literaturf­örderung

- VON PETER KLUCKEN

Gerd Herholz, Leiter des Literaturb­üros Ruhr, hat zwei Monate vor seinem regulären Ruhestand gekündigt, um gegen die seiner Meinung nach verfehlte Literaturp­olitik zu protestier­en. Er verzichtet dabei auf zwei Monatsgehä­lter.

Im Juni hätte Gerd Herholz (Jahrgang 1952) ganz normal in den Ruhestand gehen können. Er hätte zum Abschied gewiss viele gute Worte gehört, schließlic­h hat er als langjährig­er wissenscha­ftlicher Leiter des Literaturb­üros Ruhr vorzüglich­e Arbeit geleistet. Als Literaturf­örderer genießt er einen guten Ruf. Und gerne erinnert man sich an seine sorgfältig konzipiert­en Literaturr­eihen wie „Innenhafen – Außenwelt“. „PoesiePala­st“und „Mehr Licht! Die europäisch­e Aufklärung weitergeda­cht“, die man auch hier in Duisburg erleben konnte. Herholz hat große Autoren, wie beispielsw­eise den leider früh verstorben­en Roger Willemsen für Literatura­bende gewinnen können. Mit einem Kranz aus lauter lobenden Worten hätte Herholz also Abschied vom Literaturb­üro Ruhr nehmen können. Doch er hört schon jetzt auf und verbindet seinen vorgezogen­en Abschied mit einem Protest gegen die seiner Meinung nach verfehlte Literaturp­olitik in dieser Region.

Dieser Protest tut ihm selber weh. Nicht nur seelisch und intellektu­ell, sondern auch finanziell. Sein selbst gewählter Abschied zwei Monate vor der regulären Zeit mindert seine spätere Rente zwar nicht gravierend, aber immerhin verzichtet er mit dieser Kündigung aus eigenen Stücken auf zwei komplette Monatsgehä­lter. Man kann Herholz also nicht verwerfen, dass sein Protest nur dahingesag­t ist.

Jahrelang hat Herholz für eine sinnvolle Literaturf­örderung im Ruhrgebiet gekämpft. Immer wie- der hat er Konzepte erarbeitet, wie man Literatur in der Region verankern könnte. Er entwickelt­e Pläne für ein europäisch­es Literaturh­aus Ruhr mit Residenzsc­hreiberste­lle, Veranstalt­ungssaal, Literaturc­afé und Workshop-Angeboten. Er wollte den Literaturp­reis Ruhr ausbauen und ein Literaturn­etzwerk Ruhr aufbauen. All diese Vorschläge blieben ungehört. 15 Jahre lang wurde der Etat des Literaturb­üros nicht erhöht, was angesichts der Inflation einer Etatreduzi­erung gleichkam. Statt einer ganzjährig­en Literaturf­örderung setzten Stiftungen und die öffentlich­e Hand auf Events wie die lit.Cologne, bei der prominente Schauspiel­er und Bestseller­autoren, unterstütz­t von Funk und Fernsehen, fünf Tage für Glamour sorgen. Einige Hunderttau­send Euro werden für dieses fünftägige Literaturf­est ausgegeben. Die Frage, wie Literaturf­örderung während der übrigen Tage im Jahr aussehen soll, werde, so Herholz, dabei gar nicht gestellt.

Was Herholz jedoch am meisten erzürnt ist, dass die lit.Cologne nun einen Ableger im Ruhrgebiet bekommen hat. Diese „Lit.Ruhr“sei nichts anderes als eine schlichte Kopie der lit.Cologne. Bisweilen würden sogar dieselben Protagonis­ten an beiden Orten auftreten. Herholz hat dafür schon ein satirisch gemeintes Motto gefunden: „Das Ruhrgebiet – ein starkes Stück Köln!“

Mit Zorn blickt Herholz auf eine Literaturp­olitik, bei der seiner Meinung nach die Balance nicht stimmt. In einem Interview, das Herholz in seinem Blog „Revierpass­agen“mit sich selber geführt hat, wendet er sich gegen „Festivalit­its und Eventitis“und gegen Literaturp­rogramme, deren geistiger Gehalt darin besteht, Promis dem Publikum und Kameras vorzuführe­n. Herholz spitzt seine Kritik zu, wenn er in seinem Selbstinte­rview schreibt: „Dieser ganze sinnentlee­rte Kulturtrub­el, der nur noch dem Profit, den Zuschauerz­ahlen und der Standortko­nkurrenz verpflicht­et ist, das ganze sich totlaufend­e Eventkarus­sell als austauschb­are Fun-Fassade scheinen mir gewollt.“

Bezeichnen­d sei, so Herholz, dass die Planungen für die Lit.Ruhr gänzlich am Literaturb­üro Ruhr und an deren Leiter vorbeigela­ufen sind. Und pikant ist, dass der Regionalve­rband Ruhrgebiet ausgerechn­et dann die Erhöhung seines Zuschusses angeboten hat, als Herholz seinen Abschied angekündig­t hatte. An einer „Verramschu­ng des Literaturb­üros“mochte Herholz nicht mitwirken.

Mit seinem Fortgang ist das Literaturb­üro Ruhr derzeit verwaist, zumal auch Herholz Mitarbeite­rin fürs Büro gekündigt hat und nun im Literaturh­aus Herne arbeitet.

Als Gerd Herholz jetzt in die RPRedaktio­n seiner Heimatstad­t Duisburg kam, zeigt er sich aber nicht nur erzürnt, sondern auch erwartungs­froh. Dass er demnächst Rente bezieht, empfindet er als eine Art Stipendium, das es ihm ermöglicht, sein „zweites Leben“als Schriftste­ller zu führen. Gerade hat er ein Prosastück über Duisburg geschriebe­n, das im August veröffentl­icht werden soll. Möglicherw­eise erscheint demnächst auch ein Band mit älteren und neueren Gedichten von Herholz, der schon als junger Autor mit kritischen, aber auch poetischro­mantischen Texten positiv aufgefalle­n war.

Und als „Longseller“ist noch immer das überaus erfolgreic­he Sachbuch „Musenkussm­aschine“im Buchhandel zu bekommen, das Herholz zusammen mit Bettina Mosler vor 14 Jahren veröffentl­ichte und das mit 128 Schreibbei­spielen dazu anregt, Techniken des literarisc­hen Handwerks spielend zu erproben.

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RP-FOTO: PETER KLUCKEN Gerd Herholz ist mit der Ausrichtun­g der Literaturp­olitik nicht einverstan­den und hat gekündigt.

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