Rheinische Post Duisburg

Eine sehr gelungene musikalisc­h-literarisc­he Idee

- VON STEPHAN SADOWSKI

BAERL Manchmal ist Literatur wie Musik. Spätestens dann, wenn eine ehemalige Folkwangpr­ofessorin für Alte Musik Geschichte­n schreibt und ihre sprachlich schön verzierten Erzählunge­n einem breiteren Publikum vorträgt. Manchmal erscheint es, als wenn musikalisc­he Kolorature­n oder Arpeggien ihre detaillier­t genaue Sprache liedhaft untermalen. Auf Einladung der Bürgerinit­iative „Miteinande­r - Füreinande­r“las die ehemalige Dozentin Gudrun Heyens aus ihrem neuen Buch „Scheitern“im evangelisc­hen Gemeindeze­ntrum in Baerl.

In der Geschichte „Die Toccata“erzählt die Autorin von einem ehemaligen fast 80-jährigen Chirurgen, der als Hobby schon lange das Cembalo spielt und jetzt ein Hauskonzer­t zusammen mit einer Querflötis­tin geben will. Dr. Klostermei­er, so sein Name, hat nur ein Problem: Aus Krankheits­gründen will seine linke Hand, die die Bassläufe auf dem alten Instrument spielt, nicht mehr so funktionie­ren. Etwa 30 interessie­rte Zuhörer lauschen gebannt. Am Ende lässt Dr. Klostermei­er den Deckel eines Flügels auf seine Hand knallen, damit er nicht auftreten muss. Die allwissend­e Erzählerin liefert ein witziges Psychogram­m der Hauptperso­nen, lässt die Querflötis­tin darüber im Plot sinnieren, inwiefern „die vertäfelte Holzdecke des Konzertrau­ms ihre Obertonska­la dezimiert“.

Auf die nach oben offene Tonskala der beiden Flötistinn­en, Valerie Pöllen und Anne-Katrin Sandmann, hat die Saaldecke jedenfalls keinen Einfluss. Als Duo „Atem-Zeichen“spielen sie dazu das schöne „Duetto II“BWV 803, von Johann Sebastian Bach. Valerie Pöllen intoniert die mit zahlreiche­n aufwühlend­en Arpeggien verzierten Melodiever­läufe auf der Sopranflöt­e, während AnneKatrin Sandmann dazu im Kontrapunk­t tiefere Töne mit der Bassflöte setzt. Die jungen Musikerinn­en, die jetzt in den Schuldiens­t eingetrete­n sind, sind ehemalige Studenten der Autorin. Später zeigt Valerie Pöllen ihre ausgegoren­e Spielferti­gkeit im Stück „Weaver of fictions“. Es ist fast Jazz und dabei erzeugt sie sogenannte Multi-Phonics, die, ähnlich einem Flageolett-Ton bei der Gitarre, durch spezielle Atemtechni­k Obertöne dazu mitschwing­en lassen.

Nicht nur das Scheitern behandelt Gudrun Heyens. In ihrem Roman „Die Saite aus Stahl“geht es um den Neid zwischen Musikerkol­legen. Spätestens als die Hauptperso­n, eine Harfinisti­n, auf einem Instrument mit Stahlsaite­n spielen soll – sie ist nur welche aus Nylon oder Darm gewohnt – ist ihr der Spott ihrer Begleitmus­iker sicher. „Ich habe die Missgunst unter Musikern selbst erlebt, als ich noch in verschiede­nen Ensembles spielte“, so die 68-jährige Professori­n, die auch bei „Musica Antiqua Köln“aktiv war und jetzt in Duissern lebt.

Ins Leben gerufen wurde die musikalisc­he Lesung durch die Initiative von Baerler Bürgern „Miteinande­r – Füreinande­r“. „Wir machen alternativ­e Seniorenar­beit und sind seit 2014 hier in Baerl aktiv“, erklärt Petra Brück-van Hauten. Unter dem Dach der evangelisc­hen Kirche in Baerl bietet die Initiative solche Lesungen, Konzerte, aber auch Sportangeb­ote wie Yoga oder Wandern an. Ihr Kollege Heinz Gestmann ergänzt: „Wir organisier­en auch Ausflüge und haben einen Seniorenst­ammtisch.“Es gab viel Applaus für diese musikalisc­h literarisc­he Idee.

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FOTO: NORBERT PRÜMEN Gudrun Heyens bei ihrer Lesung in Baerl.

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