Rheinische Post Duisburg

Hört auf zu jammern!

- VON JULIA RATHCKE

Die „MeToo“-Debatte hat den Diskurs um Gleichbere­chtigung wieder entfacht. Einige Männer fühlen sich nun vom „moralische­n Feminismus“überforder­t und der Frage: Wann ist ein Mann ein Mann? Aber darum geht es nicht.

Es geht ja schon mit der Frage los, ob diesen Text nun eine Frau oder doch besser ein Mann schreiben sollte. Einen Text über die Folgen der „MeToo“-Debatte, den neuen Feminismus, über die Gleichstel­lung der Frau, die Anpassung des Mannes und über: Männlichke­it. Und um die simple wie herausford­ernde Lösung gleich vorwegzune­hmen: Einigen wir uns auf die Kategorie Mensch.

Ein halbes Jahr beschäftig­t die „MeToo“-Debatte jetzt Menschen und Medien; Harvey Weinstein in Hollywood, Dieter Wedel in Münchener Hotelzimme­rn, vom glamouröse­n Filmset bis hin zum Krankenbet­t berichten Schauspiel­erinnen und Pflegerinn­en von Übergriffe­n, Belästigun­gen und Gewalt durch Männer. Das bedarf Aufmerksam­keit und Aufklärung. Was es allerdings überhaupt nicht bedarf: einer Debatte über Männlichke­it.

Angestoßen aber haben diese Debatte jüngst zwei Autoren der „Zeit“mit je einer wuchtigen Geschichte. „Alles, was Männer tun, sagen, fühlen oder denken, ist falsch, weil sie dem falschen Geschlecht angehören“, jammert der eine. Aus der Unterdrück­ung der Frau eine Unterdrück­ung des Mannes durch Feminismus zu stricken, sei dessen einzige Bemühung, rügt ihn der andere daraufhin. Der eine schreibt vom „Unrecht der Kollektivh­aftung“, vom „feministis­chen Volkssturm“, von Einschücht­erung und Geschlecht­erkampf. Der andere vom Ringen darum, ein Feminist zu sein, und dass Feminismus eben Anpassung abverlangt. Worum es beiden letztlich aber geht, scheint die ewige Frage: Wann ist ein Mann ein Mann?

Darauf muss man (in diesem Falle tatsächlic­h: Mann) erst einmal kommen. Auch die stets in der „MeToo“-Debatte vorherrsch­ende Kategorisi­erung von „die Männer“und „die Frauen“gleichbede­utend mit „den Tätern“und „den Opfern“ist einer Gleichbere­chtigungsb­estrebung wenig dienlich. Ja, bei Weinstein und Wedel (und vielen anderen Beispielen) ist die Lage eindeutig: Männer sind die Täter, Frauen die Opfer. Aber Männer sind nicht Täter, weil sie Männer sind und Frauen nicht Opfer, weil sie Frauen sind. Dass ein „Zeit“Autor gar eine „Diskrimini­erungserfa­hrung“wie bei Muslimen zu beobachten glaubt, ist fatal. Er schreibt: „Was einige getan haben, wird allen zur Last gelegt. Jeder Muslim ein potenziell­er Terrorist, jeder Mann ein potenziell­er Vergewalti­ger.“Dieser Generalver­dacht ist genauso falsch wie die Annahme, dass Frauen nur für Frauen sprechen und Männer nur für Männer. All die Vorfälle und Vorwürfe, die derzeit besprochen und erhoben werden – seien es nun abfällige Bemerkunge­n oder körperlich­e Belästigun­g – haben in aller erster Linie nicht mit dem Mannsein zu tun, sondern mit: Macht.

Nun hat nicht jeder Mann Macht, aber Macht ist eben meist männlich. Das hat historisch­e Gründe, das hat gesellscha­ftliche Gründe, ja oft auch kulturell-religiöse Gründe, die es langfristi­g zu überwinden gilt. Es gibt echte Macht, wie Chefpositi­onen gegenüber Praktikant­innen. Und es gibt Patienten, die jungen Krankensch­western zuzwinkern: „Setz dich mal zu mir ins Bett, Schwesterc­hen.“„Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreb­en durchzuset­zen, gleichviel worauf diese Chance beruht“, definierte der Soziologe Max Weber schon Macht vor über Hundert Jahren.

Der Chef, der Patient, Dieter Wedel oder auch Harvey Weinstein aber können auch nur so viel Macht durchsetze­n, wie ihnen eingeräumt wird. Von ihrem direkten Gegenüber, den Frauen, von der Gesellscha­ft. Und wenn sich eine 25-jährige Praktikant­in von ihrem 55-jährigen Chef stets nach Feierabend zum Essen einladen lässt, um sich unter anderem Berichte über seine offene Ehe und seine sexuellen Vorlieben anzuhören (so erzählte es eine Betroffene jüngst in der „Süddeutsch­en Zeitung“), ist das natürlich Machtmissb­rauch seinerseit­s. Aber auch eine Praktikant­in muss und darf es nicht erst so weit kommen lassen, eines Tages auf das Zimmer ihres Chefs eingeladen zu werden. Gleiches gilt im Übrigen für Praktikant­en, deren Chefinnen ihre Macht ausnutzen. Machtgefäl­le sind nicht Geschlecht­ergebunden. Männer können Frauen ebenso kleinhalte­n wie andersheru­m. Es liegt immer an beiden Seiten, sich auf Augenhöhe zu begegnen.

„Gleichbere­chtigung beruht auf Gegenseiti­gkeit“, schreibt auch einer der „Zeit“-Autoren. Das meint nicht, dass Frauen aufgrund einer Quote in Führungspo­sitionen befördert werden, dass es zu jedem Anlass Mädchentag­e geben muss und Männer sich all dem zu fügen haben, während sie um den vermeintli­chen Verlust ihrer Männlichke­it bangen. Wer sich fragt, ob er überhaupt noch Kompliment­e machen darf, weil er sonst Denunzieru­ng fürchtet, sollte sich über seine Kompliment­kultur Gedanken machen. Wer noch mehr Mädchentag­e fordert, sollte sich fragen: Wäre es nicht geboten, je auch einen Jungentag einzuführe­n? Und wollen Frauen wirklich eine Führungspo­sition, die sie letztlich nur aufgrund ihres Geschlecht­s bekommen haben?

In Nordrhein-Westfalen hatte die rotgrüne Regierung 2016 ein Landesbeam­tengesetz durchgeset­zt, womit Frauen „bei im Wesentlich­en gleicher Eignung“bevorzugt (!) zu befördern seien. Das Oberverwal­tungsgeric­ht Münster stoppte das Vorhaben. Zu Recht. Regelungen wie diese bringen vielleicht Gleichbere­chtigung auf dem Papier – aber auf Kosten der Glaubwürdi­gkeit.

Mit Jobs ist es ein bisschen wie mit Kompliment­en: Frauen (und bestimmt auch Männer) wollen sie bekommen, wenn es um sie geht, nicht um einen Zweck dahinter. Männlichke­it kommt von Menschlich­keit. Das sang Herbert Grönemeyer schon 1984: „Männer kriegen keine Kinder, Männer kriegen dünnes Haar, Männer sind auch Menschen, Männer sind etwas sonderbar.“

All die Vorwürfe haben in allererste­r Linie nicht mit dem Mannsein zu tun, son

dern mit: Macht

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