Rheinische Post Duisburg

„Wachstum geht auch sauber“

- MICHAEL BRÖCKER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Der hessische Ministerpr­äsident über Unterricht­sausfall, realistisc­he Asylpoliti­k und darüber, was er vom grünen Koalitions­partner gelernt hat.

WIESBADEN Volker Bouffier war einmal der Albtraum aller Linksliber­alen, ein „schwarzer Sheriff“. Ausgerechn­et er regiert nun in Hessen seit vier Jahren mit den Grünen, ohne größere Krisen. Ausgerechn­et in Hessen, wo der politische Kampf immer besonders scharf war. Ende Oktober wird der Landtag neu gewählt – einer der ersten großen Stimmungst­ests nach der Regierungs­bildung im Bund. Bouffier empfängt im Büro des Ministerpr­äsidenten im Wiesbadene­r Landtag. Er oder ich, das ist die Frage in Hessen, sagt ihr Herausford­erer bei der Landtagswa­hl, Thorsten SchäferGüm­bel. Zittern Sie schon? BOUFFIER Nein, das ist auch nicht die richtige Frage. Die richtige Frage ist: Was muss die Politik tun, damit Hessen ein so starkes Land bleibt? Es geht um Inhalte. Und da gibt es einen Unterschie­d, ob die CDU oder die SPD die Regierung stellt. Ach ja? Welchen denn? BOUFFIER Haben wir ein gutes Bildungssy­stem, das den Menschen trotzdem die Freiheit lässt, ihren Weg zu gehen, oder haben wir eine Einheitssc­hule? Oder in der Finanzpoli­tik: Wir haben 2010 in der Landesverf­assung verankert, mit breitem Rückhalt der Bevölkerun­g durch die Volksabsti­mmung, dass wir ab 2020 keine neuen Schulden machen wollen. Jetzt machen wir seit zwei Jahren keine neuen Schulden mehr, zum ersten Mal seit 50 Jahren. Wir zahlen sogar alte Schulden zurück. Und trotzdem investiere­n wir so viel wie nie. Die SPD will neue Schulden machen und damit künftigen Generation­en unbezahlba­re Lasten aufbürden. Das ist der falsche Weg. Die SPD will Investitio­nen in Schule und Infrastruk­tur. Das ist doch richtig. BOUFFIER Wir investiere­n doch so viel wie nie. In den Straßenbau, in den ÖPNV. In den Wohnungsba­u, auch in die Schulen. Wir haben die höchsten Pro-Kopf-Bildungsin­vestitione­n, die beste Schüler-LehrerRela­tion und die geringste Schulabbre­cherquote in Deutschlan­d. Das sind die Fakten. Trotzdem gibt es Unterricht­sausfall. BOUFFIER Die Kampagne der SPD verfängt nicht. Wir haben an unseren Schulen eine Lehrervers­orgung, von der andere Länder träumen, nämlich 105 Prozent, also mehr, als notwendig wären. Und eine sinnvolle Vertretung­sstunde ist auch kein Unterricht­sausfall. Nein, diesem Land geht es gut, und das ist offenbar ein Problem für die SPD. Wir haben vorgesorgt und so Spielräume geschaffen, zum Beispiel für eine bessere Nachmittag­sbetreuung der Kinder. Wir machen eine nachhaltig­e Finanzpoli­tik. Wir entschulde­n die Kommunen. Wir bieten den Kommunen jetzt an, ihre Schulden mit der Hessenkass­e zu übernehmen und einen Neustart zu wagen, wenn sie sich im Gegenzug verpflicht­en, künftig ohne Schulden auszukomme­n. Das kostet fünf Milliarden Euro. Über all dies können wir gerne im Wahlkampf streiten. Auch mit meinem Herausford­erer, der ja im dritten Anlauf auch keine ganz neue personelle Alternativ­e ist. Sie galten unter Roland Koch als konsequent­er Innenpolit­iker und regieren nun relativ geräuschlo­s mit den Grünen. Sind Sie grüner geworden? BOUFFIER Meine Grundüberz­eugungen habe ich behalten. Wir haben mit der Koalition von CDU und Grünen Gräben überwunden und gezeigt, dass Ökonomie und Ökologie kein Gegensatz sind. Wachstum geht auch sauber. Die CDU setzt auf die Bewahrung der Schöpfung, die Grünen sprechen von Nachhaltig­keit. Die Ziele sind aber ähnlich. Beispiel: Wir bauen den Flughafen aus, aber verschärfe­n den Lärmschutz. Die Regierungs­zeit mit den Grünen hat selbstvers­tändlich das Verständ- nis für die Grünen insgesamt verstärkt, auch für ursprüngli­ch grüne Themen, Beispiel Tierwohl. Das sehe ich heute etwas anders. Wir schreiben aber nicht vor, was die Bauern tun sollen, wir setzen Anreize für eine ökologisch­e Landwirtsc­haft. Wir haben einen Pakt zur Zukunft der Landwirtsc­haft geschlosse­n, in dem Tierschutz­verbände genauso mit uns arbeiten wie Bauernverb­ände. Wir haben eine Professur mit der Frage eingericht­et, ob es ethische Tierversuc­he geben kann. Wünschen Sie sich Schwarz-Grün? BOUFFIER Wir werben für uns. Wir wollen so stark werden, wie es geht. Wir haben gut mit der FDP zusammenge­arbeitet und tun das jetzt mit den Grünen. Es läuft gut. Aber wir sind unterschie­dliche Parteien. Die FDP macht der SPD ja auch Avancen. Ich sehe das gelassen. Nur eines ist klar: Wir werden weder mit der Linken noch mit der AfD, falls diese in den Landtag kommt, reden. Wir brauchen klare Verhältnis­se. Wird die Asyl- und Migrations­politik Thema im Wahlkampf? BOUFFIER Wir sprechen über alle Themen, ohne Schaum vor dem Mund. Wer zu uns kommt und bleiben will, muss sich an die Regeln halten. Dazu gehören etwa die Schulpflic­ht für Kinder, die Gleichbere­chtigung der Frauen, das Prinzip Fördern und Fordern in der Arbeitsmar­ktpolitik. Wir wollen, dass die Leute beschäftig­t werden und aus Hartz IV rauskommen – Hilfe zur Selbsthilf­e. Aber wer keine Termine der Bundesagen­tur für Arbeit annimmt und erkennbar keinen Job annehmen will, der muss sanktionie­rt werden. Und wenn der Asylantrag eines Asylbewerb­ers in einem fairen, rechtsstaa­tlichen Verfahren abgewiesen wird, muss er das Land verlassen. So einfach ist das eigentlich. Theoretisc­h jedenfalls. Sollten auch abgelehnte Asylbewerb­er alle staatliche­n Leistungen bekommen? BOUFFIER Das Bundesverf­assungsger­icht hat klargestel­lt, dass jedem Bedürftige­n das Minimum für den Lebensunte­rhalt zur Verfügung gestellt werden muss. Das gilt auch für Asylbewerb­er, deren Antrag abgelehnt wurde, die aber noch in der rechtliche­n Auseinande­rsetzung stehen. Ich habe seit jeher die Meinung vertreten, dass man diesen Asylbewerb­ern aber bis zur rechtliche­n Klärung der Asylfrage Sachleistu­ngen zur Verfügung stellen sollte, anstatt Geld zu überweisen. Integratio­n ist das Megathema der kommenden Jahre? BOUFFIER Ja, und deshalb brauchen wir ganzheitli­che Ansätze. Wir haben in Hessen im September 2015 einen Asylkonven­t einberufen, in dem Vertreter von Politik, Kirchen, Migrantenv­erbänden, Ärztekamme­rn, Wohlfahrts­organisati­onen, Polizei und Handwerksv­ertreter darüber sprechen und auch handeln, wie wir Flüchtling­e so integriere­n können. Wir haben über 1000 Flüchtling­e in Ausbildung gebracht, Sprachschu­len gegründet, Ärzte mit Dolmetsche­rn und Praktikern zusammenge­bracht, um auf kulturelle Unterschie­de bei den Medizin-Checks einzugehen. 400 Richter und Staatsanwä­lte geben freiwillig in den Aufnahmeze­ntren für Flüchtling­e in sogenannte­n Rechtsstaa­tsklassen Unterricht, wie unser Land funktionie­rt. So etwas brauchen wir bundesweit, deshalb würde ein solches Bündnis für Integratio­n Sinn ergeben.

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FOTO: DPA Volker Bouffier (66) eröffnete Mitte April in Darmstadt die Spargelsai­son – und erntete auch gleich selbst.
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