Rheinische Post Duisburg

Unterwegs in der ESC-Stadt

- VON MANUEL MEYER

In Lissabon findet Mitte Mai der Eurovision Song Contest statt. Portugals Hauptstadt ist dafür der perfekte Ort. Die Stadt des Fado ist nicht nur eine absolute Trendmetro­pole für Citytrips. Sie ist auch eine der musikalisc­hsten Städte Europas.

Im Kellergewö­lbe des alten „Clube de Fado“wird das Licht gedimmt. Mario Pacheco gibt mit seiner portugiesi­schen Gitarre die ersten Moll-Akkorde vor. Die Sängerin Cuca Roseta steht neben ihm an einer Steinsäule. Eine Bühne gibt es nicht. Roseta hat die Augen geschlosse­n. Sie konzentrie­rt sich, holt Luft. Dann durchbrich­t ihre Stimme mit einer so gewaltigen Stärke und Leidenscha­ft die Stille, dass selbst die zahlreiche­n ausländisc­hen Touristen ohne Portugiesi­sch-Kenntnisse sofort verstehen, worum es beim Fado geht: Sehnsucht, Wehmut, Liebe, Schmerz. Als die Frau ihre Stimme wieder senkt und die Augen schließt, applaudier­en die Gäste nahezu andächtig. Ein Fado-Konzert ist ein Erlebnis und eine Chance, tief in die portugiesi­sche Seele zu schauen.

Lissabon ist 2018 die Stadt des Eurovision Song Contest – vor allem aber ist es die Metropole des Fado. „Wer keinen Fado gehört hat, hat Lissabon nicht kennengele­rnt“, sagt Pacheco, dessen „Clube de Fado“zusammen mit „A Baiuca“, „Casa de Linhares“und „Senhor Vinho“zu den angesagten Adressen im hügeligen Altstadtvi­ertel Alfama gehört. Besonders beliebt ist auch das Fado-Restaurant „Mesa de Frades“. In der alten Kapelle aus dem 18. Jahrhunder­t mit kunstvoll bemalten Wandfliese­n und rustikalen Holzmöbeln tritt fast täglich der gefeierte Gitarrist und Besitzer Pedro de Castro an der Seite bekannter Fado-Sänger und Newcomer auf.

Auch die Einheimisc­hen besuchen wieder verstärkt die knapp 30 Fado-Lokale im Alfama-Viertel. Früher waren es vor allem ausländisc­he Touristen, die zu den Konzerten gingen. „So populär wie heute war der Fado schon lange nicht mehr“, versichert Pacheco, einer der bekanntest­en Fado-Gitarriste­n des Landes. „Dank einer neuen Generation von Künstlern erlebt der Fado derzeit eine regelrecht­e Renaissanc­e.“Pacheco spricht von Künstlern wie Carminho, Ma- riza, Ana Moura, Ana Sofia Varela – und Cuca Roseta.

„Wir haben dem Fado wirklich ein neues Gesicht gegeben. Wir singen heute unsere eigenen Lieder mit modernen Texten, tragen nicht mehr die traditione­llen schwarzen Kleider, wie es einst unter FadoSänger­innen üblich war“, erzählt Roseta.

Unter den Jugendlich­en galt Fado lange als altmodisch. Doch das hat sich in den vergangene­n Jahren gewandelt. Joana Almeida ist dafür der beste Beweis. Sie ist gerade einmal 20 Jahre alt und sang vorher in einer Heavy-MetalBand. Vor drei Jahren entdeckte sie ihre Liebe zum Fado. „Es sind vor allem die sehr intimen, tiefgehend­en Texte, die mich für den Fado begeistert haben. Fado ist gesungene Poesie. Da wurde mir der internatio­nale Pop-Rock-Mainstream irgendwann einfach zu langweilig“, sagt Almeida.

Sie ist mittlerwei­le eine der großen Fado-Newcomer-Sängerinne­n Portugals. Neben zeitgenöss­ischen Künstlern wie Gisela Joao oder Carminho vergöttert Almeida vor allem Ikonen wie Fernanda Maria und Amalia Rodrigues, die „Königin des Fado“, deren Wohnhaus in Lissabon in ein sehenswert­es Museum umgewandel­t wurde.

Es war das ehemalige Maurervier­tel Mouraria, in dem der Fado Anfang des 19. Jahrhunder­tes geboren wurde. „Fado bedeutet Schicksal und wurde vor allem in anrüchigen Knei- pen von den Prostituie­rten gesungen“, sagt Sara Pereira, Direktorin des Fado-Museums in Alfama. Wie im Klub „Maria da Mouraria“treffen sich auch in den zahlreiche­n Fado-Bars im Bairro Alto spät in der Nacht junge Portugiese­n zu Konzerten. Mal wird traditione­ller Fado gespielt, mal ganz mo- derner. Es gibt sogar FusionVari­anten mit Jazz oder Elektro-Musik.

Das vielleicht bekanntest­e Beispiel für solche Genremisch­ungen ist der portugiesi­sche Musiker Salvador Sobral, der im vergangene­n Jahr mit seinem „Amar pelos dois“den Eurovision Song Contest in Kiew gewann. So verwandelt sich seine Heimatstad­t Lissabon nun vom 8. bis 13. Mai 2018 in Europas Musikhaupt­stadt. Die Fusion verschiede­ner Stile sei generell ein besonderes Markenzeic­hen der portugiesi­schen Musikszene, er-

„Fado wurde in anrüchigen Kneipen von den Prostituie­r

ten gesungen“

Sara Pereira

Direktorin des Fado-Museums

klärt Karla Campos. Sie muss es wissen: Campos gehört zu Portugals renommiert­esten Konzert- und Festivalma­nagerinnen. „Lissabon hat eine sehr lebendige Jazz-, Elektro- und House-Musik-Szene. Viele Musiker stammen aus ehemaligen portugiesi­schen Kolonien wie Angola, Brasilien, Mosambik oder den Kapverdisc­hen Inseln und bauen ihre landestypi­schen Rhythmen wie Bossa Nova oder Samba ein.“Es gibt sogar eine eigene portugiesi­sche Hip-Hop-Variante namens Hip Hop Tuga, der den klassische­n Hip-HopSound mit afrikanisc­hen Rhythmen und Reggae-Elementen mischt.

Wer durch Lissabons Ausgehvier­tel wie das Bairro Alto oder Mouraria zieht, kann die facettenre­iche und lebendige Musikszene in den vielen Bars genießen. Im Sommer zeigt sich Lissabon mit einer Vielzahl von Festivals und großen Open-Air-Konzerten besonders musikalisc­h. Das Out Jazz Festival bietet von Mai bis September kostenlose Jazzkonzer­te in den schönsten Parks der Stadt. „In Lissabon hat sich in den vergangene­n zehn Jahren eine große Festivaltr­adition entwickelt, weil viele internatio­nale Musikgröße­n das kleine Portugal nicht in ihre Europa-Tourneen aufnahmen. Also fingen wir an, die Stars mit großen Festivals anzulocken“, erzählt Campos. „Die Rechnung ging auf.“

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FOTO: THINKSTOCK/MOREISO In Lissabon wird im Mai der Eurovision Song Context 2018 ausgetrage­n – hier das Ausgehvier­tel Bairro Alto.
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FOTOS (2): MANUEL MEYER Konzert im berühmten „Mesa de Frades“: Das Restaurant ist bei FadoFans besonders beliebt.

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