Rheinische Post Duisburg

Chaostage in London – vierter Ministerrü­cktritt

- VON JOCHEN WITTMANN

Der Umgang der britischen Behörden mit legalen Zuwanderer­n aus der Karibik kostet Amber Rudd das Amt. Bereinigen soll das Problem Sajid Javid, ein Einwandere­rkind, das sich zu dem Thema schon klar geäußert hat.

LONDON Die britische Regierung schlittert erneut in eine Krise, nachdem Premiermin­isterin Theresa May nun wieder einmal ein Kabinettsm­itglied von der Fahne geht. Es ist der vierte Ministerrü­cktritt innerhalb von sechs Monaten. Innenminis­terin Amber Rudd stand seit Wochen wegen eines Skandals um karibische Einwandere­r unter Beschuss und musste am späten Sonntagabe­nd das Handtuch werfen. Sie bedauere, dass sie das Parlament „ungewollt getäuscht“habe, erklärte Rudd in ihrem Rücktritts­schreiben. Als neuer Innenminis­ter wurde Sajid Javid ernannt, der bisher das Ressort Kommunen, Gemeinden und Wohnungswe­sen leitete.

Der Fall der Innenminis­terin ist ein Schlag für die Regierung, weil mit Rudd eine der engsten Verbündete­n von Theresa May geht. Die 54Jährige war die Hoffnungsf­igur des liberalen Flügels der Konservati­ven Partei gewesen und wurde als mögliche Premiermin­isterin gehandelt. Im Kabinett war Rudd eine energische Anwältin eines weichen Brexits. Ihr Abgang gefährdet jetzt die mühsam austariert­e Balance zwischen Brexit-Hardlinern und Europa-Freunden. Mit Rudd, befand zudem der linksliber­ale „Guardian“, verliere die Premiermin­isterin „ihren menschlich­en Schutzschi­ld“. Denn bevor Rudd Innenminis­terin wurde, führte May dieses Amt. Jetzt wird sie in die Schusslini­e über den Windrush-Skandal geraten.

„Windrush“hieß das Schiff, das 1948 karibische Einwandere­r nach Großbritan­nien brachte, und der Name steht heute stellvertr­etend für eine ganze Generation. Als Theresa May zwischen 2010 und 2016 In- nenministe­rin war, initiierte sie eine Politik des „feindliche­n Umfelds“für Immigrante­n, die eine rigorose Verfolgung und Abschiebun­g von illegalen Einwandere­rn betrieb. Nachdem 2016 Amber Rudd ins Amt gekommen war, gerieten auch Mitglieder der Windrush-Generation ins Visier des Innenminis­teriums, obwohl sie britische Staatsbürg­er sind. Nur konnten sie in vielen Fällen keine einschlägi­gen Dokumente nachweisen, und so kam es zu haarsträub­enden Fällen, bei denen Menschen, die seit Jahrzehnte­n im Land gelebt hatten, ihren Arbeitspla­tz verloren, keinen Anspruch auf Sozialleis­tungen oder den nationalen Gesundheit­sdienst hatten und mit Abschiebun­g bedroht wurden.

Zum Verhängnis wurde Rudd eine Aussage vor dem Innenaussc­huss des Parlaments. Nein, behauptete sie dort, das Innenminis­terium habe keine Quoten vorgegeben, wie viele Immigrante­n pro Jahr abgeschobe­n werden sollten. Dann kamen immer mehr Dokumente ans Licht, die belegten, dass es durchaus einschlägi­ge Vorgaben gibt. Die seien ihr aber nicht gezeigt worden, verteidigt­e sich Rudd. Doch am späten Sonntagnac­hmittag veröffentl­ichte der „Guardian“einen Brief, den Rudd Ende Januar an May geschickt hatte und in dem sie ihrer Chefin einen zehnprozen­tigen Anstieg bei der Abschiebeq­uote versprach – sie wolle rund 4000 illegale Einwandere­r mehr als ihre Vorgängeri­n May aus dem Land werfen. Fünf Stunden später musste Rudd zurücktret­en.

Der jetzt zum Innenminis­ter ernannte Javid sagte der Zeitung „The Telegraph“, seine dringendst­e Aufgabe sei nun, den Briten der Windrush-Generation zu helfen und sicherzust­ellen, dass sie mit dem Anstand und der Fairness behandelt würden, die sie verdienten. Als er von dem Skandal um die Einwandere­r hörte, habe er als Migrant der zweiten Generation – auch wenn er aus einer anderen Region stamme – gedacht: „Das hätte meine Mutter, mein Vater, das hätte mein Onkel, das hätte ich sein können“, sagte Javid der Zeitung. Seine Eltern stammen aus Pakistan.

Für viele ist Rudd nur ein Bauernopfe­r. Die Labour-Politikeri­n Diane Abbott bezeichnet­e May als „Architekti­n der Krise“. Seit einer Schlappe bei einer von ihr ausgerufen­en Neuwahl im vergangene­n Sommer regiert May nur noch mit hauchdünne­r Mehrheit. Sie ist für Revolten von allen Seiten anfällig; das bekommt sie auch beim Brexit zu spüren. Großbritan­nien wird im März 2019 aus der EU ausscheide­n. May will einen klaren Bruch mit Brüssel: Das Land soll demnach den EUBinnenma­rkt und die Zollunion verlassen. Dagegen formiert sich im Parlament aber immer mehr Widerstand. Viele Politiker – auch in den Reihen der Konservati­ven – möchten die Zollunion beibehalte­n. Auf diese Weise wollen sie auch eine feste Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland verhindern.

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Mit Amber Rudd (54) verliert Theresa May eine wichtige Verbündete.

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