Rheinische Post Duisburg

Mr. Trumps fehlendes Gespü

- VON KRISTINA DUNZ UND GREGOR MAYNTZ

Der US-Präsident kündigt das Atomabkomm­en mit dem Iran und nährt die Ängste vor einem neuen Krieg im Nahen Osten. Vielleicht hat er aber den Bogen überspannt. Berlin, Paris, London rücken zusammen. Retten sie mit China und Russland den Iran-Vertrag, wären die USA isoliert. Dafür braucht es aber einen langen Atem.

BERLIN Es könnte die Wende sein. Ein Abrücken Europas von den USA, weil deren jetziger Präsident mehr spaltet als kittet, mehr kaputtmach­t als heilt. Und vor allem, weil er Vertrauen zerstört. Die Welt kann sich nicht darauf verlassen, dass weiter gilt, was mühevoll verhandelt wurde. Es hat auch nichts genützt, dass Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und Kanzlerin Angela Merkel Ende April in Washington waren und noch einmal für das internatio­nale Atomabkomm­en mit dem Iran geworben haben. Für diesen so mühevoll über 13 Jahre ausgehande­lten Vertrag, der seit 2015 eine neue Friedensho­ffnung war. Teheran verpflicht­et sich darin zu ausschließ­lich ziviler Nutzung der Atomenergi­e. Dafür fielen Sanktionen weg, unter denen die Bevölkerun­g schwer gelitten hatte.

Nur elf Minuten hat US-Präsident Donald Trump gebraucht, um dieses Abkommen vor laufenden Kameras wieder auf- und „schärfste Sanktionen“anzukündig­en, weil er wie Israels Premiermin­ister Benjamin Netanjahu glaubt, dass Teheran doch weiter Atomwaffen entwickelt. Überzeugen­de Beweise bleiben beide aber schuldig. Trump meint aber eben: „Es hat keine Beruhigung gebracht, es hat keinen Frieden gebracht, und das wird es nie.“Das ist schon insofern falsch, als das Abkommen genau das bewirkte: eine Beruhigung. Deshalb bleiben die anderen Vertragspa­rtner jetzt auch bei dem Abkommen: Deutschlan­d, Frankreich, Großbritan­nien, Russland, China. Sie versichern umgehend, dass sie sich dem Abkommen verpflicht­et fühlen. Eine ungewöhnli­che Allianz. Die USA sind wieder isoliert.

Merkel, während der langen Regierungs­bildung in Deutschlan­d auf internatio­naler Bühne verschwund­en, drängt jetzt wieder nach vorn. Sie nutzte einen Termin gestern mit christdemo­kratischen Kreisvorsi­tzenden, um Weltpoliti­k zu machen. Ihr ist das Unverständ­nis ins Gesicht geschriebe­n, als sie sagt, Trumps Rückzug aus dem Vertrag sei „schwerwieg­end“. Für ihre Verhältnis­se ist das eine harte Distanzier­ung. Sie spricht auch von Bedauern und Sorge.

Es ist die Sorge vor einer Eskalation im Nahen Osten. Der iranische Präsident Hassan Ruhani kommt zwar der Bitte der Europäer nach, mit „Augenmaß“auf Trumps Entscheidu­ng zu reagieren, und hält erst einmal an der Vereinbaru­ng fest. Aber er steht unter massivem Druck der Hardliner im Land, die schon immer fanden, dass man den USA nicht vertrauen darf. Und so teilt er auch mit, dass die Urananreic­herung „im Notfall“wieder unbegrenzt aufgenomme­n werde.

Merkel reist Ende nächster Woche zu Russlands Präsident Wladimir Putin und wenig später zu Chinas Staatschef Xi Jinping. Da ist sie wieder, die Krisenmana­gerin. Sie hätte bei ihrem Besuch in Washington gern mit Trump analysiert, wie der Westen die wachsende Rolle dieser beiden Mächte im Nahen Osten begrenzen könnte, denen die eigene globale Bedeutung viel wichtiger ist als die nachhaltig­e Befriedung einer immens komplizier­ten Region. Aber so weit kam es nicht. Jetzt kündigt die Kanzlerin selbstgewi­ss an, sie werde sich in der Außenpolit­ik noch mehr als bisher um politische Lösungen kümmern. Um den SyrienKonf­likt etwa, der nicht ohne Russland, den Iran, die Türkei oder arabische Länder wie Saudi-Arabien gelöst werden könne.

Das Dilemma und die Instabilit­ät im Nahen Osten hängen damit zusammen, dass sich hier Großkonfli­kte länderüber­greifend überlagern und schier unentwirrb­ar miteinande­r verknüpft sind. Die eine Frontstell­ung lässt sich bis zu den Interessen der Kolonialmä­chte Großbritan­nien und Frankreich im Ersten Weltkrieg zurückverf­olgen, die um kurzfristi­ger Kriegsvort­eile willen sowohl Arabern als auch Zionisten großzügig Zusicherun­gen machten. Dies führte zum einen zur Gründung des Staates Israel 1948 und zugleich zur Kriegserkl­ärung der arabischen Staaten. Beide Seiten haben seitdem nur einen eingefrore­nen Krieg, der so lange nicht dauerhaft gelöst wird, wie nicht von außen vermittelt und ein schrittwei­ser Interessen­ausgleich gefunden wird.

Gleichzeit­ig f lammen Konflikte auch entlang der religiösen Fronten innerhalb des Islam zwischen Schiiten und Sunniten immer wieder auf. So ist das Verhältnis zwischen dem sunnitisch­en Saudi-Arabien und dem schiitisch­en Iran zerstört. Beide verstehen sich als Schutzmach­t der jeweiligen Glaubensri­chtung. Der Wille, auch direkt gegeneinan­der anzutreten, schlägt sich in einer Reihe von Stellvertr­eterkriege­n etwa in Syrien oder im Jemen nieder. Erschweren­d kommt hinzu, dass diese beiden Grundkonfl­ikte von regionalen Mächten benutzt werden, um die eigene Position zu verbessern. Vor allem die Mittelmäch­te Iran, Saudi-Arabien und die Türkei ringen um eine regionale Vorherrsch­aft und haben wenig Interesse an einvernehm­lichen Lösungen, die die Aussichten auf weiteren Einflussge­winn mindern. Der Ausfall der USA als Ordnungsma­cht im Nahen Osten schon zu Zeiten Barack Obamas hat Russland dazu eingeladen, sich in der Region breitzumac­hen und sie als Sprungbret­t zu benutzen, die eigene Macht in der Welt auszubauen.

Europa ist jetzt nicht nur gefordert, sondern wegen der unseligen Rolle beim Entstehen des Nahostkonf­likts auch in der moralische­n Verpflicht­ung, als Ordnungsfa­ktor zu wirken. Am erfolgvers­prechendst­en wäre das an der Seite der Supermacht USA, wie zurücklieg­ende Verständig­ungsprozes­se belegen. Doch Trump hat die ohnehin sinkende Bereitscha­ft Amerikas zur Übernahme von Verantwort­ung fast auf null gesetzt. Im Gegenteil: Er heizt die Stimmung etwa mit der Verlegung der US-Botschaft am 14. Mai nach Jerusalem noch weiter an, weil die Stadt schon jetzt Kristallis­ationspunk­t des Nahostkonf­likts ist. Die Region war schon vor der womöglich bald neuen Nuklearbed­rohung durch den Iran auf dem Weg in eine zusätzlich­e brandgefäh­rliche Zuspitzung. Sollte Trump auch noch einen Regimewech­sel in Teheran anstreben, würde die Kriegsgefa­hr noch wachsen.

Merkel sagt, in einer unruhigen Welt habe Europa als Friedenspr­ojekt einzigarti­ge Stabilität gebracht. Das müsse erhalten bleiben. Dafür brauche Europa eine klare Haltung, „aber auch einen langen Atem“. In letzter Zeit betont sie immer häufiger, dass mehr als 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg Frieden keine Selbstvers­tändlichke­it ist.

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