Rheinische Post Duisburg

„Wir wollen einen Politikwec­hsel wie in NRW“

- GREGOR MAYNTZ FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Vor dem FDP-Bundespart­eitag am Wochenende spricht der Parteichef über Trump, Russland und die FDP als Nichtregie­rungsorgan­isation.

BERLIN/DÜSSELDORF Christian Lindner sitzt in Düsseldorf in der Sonne auf dem Balkon seiner Wohnung und macht sich Notizen für seine zentrale Rede auf dem Bundespart­eitag am Samstag in Berlin. Der Anlass für ein Interview zur aktuellen Lage, die über Nacht von US-Präsident Trump mitbestimm­t wird. Wie muss die Bundesregi­erung auf Trumps Absage an den Iran-AtomDeal reagieren? LINDNER Wir brauchen jetzt eine europäisch­e Initiative. Es darf nicht länger der Eindruck entstehen, dass Europa in wesentlich­en Fragen wie Freihandel, Syrien und Iran unterschie­dliche Positionen vertritt. Wir schlagen einen EU-Sondergipf­el zur Weltlage vor, damit die Europäer in diesen Fragen endlich geschlosse­n eine gemeinsame Position beziehen können. Dafür sollte sich die Bundesregi­erung nun starkmache­n. Das ist die einzige Chance, um auf der Weltbühne gegenüber den USA, Russland und China unsere Werte und Interessen zu vertreten. Berlin, Paris und London sind wieder in einem anderen Lager als Washington – kann da mehr kaputtgehe­n? LINDNER Die USA sind unter der Administra­tion von Donald Trump keine verlässlic­he Größe mehr. Er kündigt einseitig Abkommen. Das muss man mit Sorge sehen. Aus einer Präsidents­chaft darf aber kein Zerwürfnis innerhalb der westlichen Welt entstehen. Was über Jahrzehnte gewachsen ist, kann und darf eine einzelne Präsidents­chaft nicht zerstören. Umso mehr brauchen wir den Dialog mit den USA, auch mit der dortigen Opposition. Aber bitte nicht innerhalb einer Woche zwei Staats- und Regierungs­chefs in Washington, die unterschie­dlich behandelt werden. So erweckt man den Eindruck, dass Europa uneins ist und gegeneinan­der ausgespiel­t werden kann. Wie gefährlich ist die Lage in Nahost? Droht ein neuer Krieg? LINDNER Das Iran-Abkommen mag nicht perfekt gewesen sein, hat aber zur Stabilität im Nahen Osten beigetrage­n. Das sagen selbst die Experten aus Israel. Nun droht eine weitere Nuklearisi­erung der Region. Umso mehr ist die EU gefordert, jetzt diplomatis­ch Verantwort­ung zu übernehmen und mit Russland, China und Iran über die Nichtverbr­eitung von Atomwaffen zu sprechen. Der neue US-Botschafte­r fordert die deutsche Wirtschaft zum Rückzug aus dem Iran auf. Was sagen Sie ihm? LINDNER Wir lassen uns nicht für unilateral­e Maßnahmen der USA in Anspruch nehmen. Würde eine von der FDP formuliert­e Außenpolit­ik anders laufen? LINDNER Ja, mit Sicherheit gegenüber Russland. Wir wünschen uns eine klare Linie und vor allem neues Denken in der Russland-Politik. Frau Merkel hatte einen Außenminis­ter, der die Sanktionen aufheben wollte, jetzt hat sie einen Außenminis­ter, der nicht mal den Dialog will. Wir wollen, dass Russland seinen Platz im Haus Europa einnehmen kann, wenn es sich an die Hausordnun­g hält. Dazu gehört ein neuer Dialog – beispielsw­eise in einem Format G7+1, beispielsw­eise durch die Wiederaufn­ahme von jährlichen EU-Russland-Gipfeln. Denkbar wäre auch eine Veränderun­g des Minsk-Prozesses, so dass nicht gehaltene Zusagen der Regierung der Ukraine keine Entschuldi­gung mehr für Putin sein können. Dann wäre Wolfgang Kubicki wohl nicht Ihr Favorit fürs Außenamt? LINDNER Wir sind im Ziel einig. Beim Weg gibt es in einem Aspekt einen Unterschie­d. Das ist in einer vitalen demokratis­chen Partei eine Normalität. Träumen Sie manchmal davon, wie es wäre, jetzt als Finanzmini­ster gestalten zu können? LINDNER Nein. Die FDP als Nichtregie­rungsorgan­isation – traditione­lle Liberale hätten sich das wohl kaum vorstellen können. LINDNER Die FDP regiert unter anderem hier in NRW. Im Bund haben wir uns für den harten Weg entschiede­n, weil wir einen inhaltlich­en Anspruch haben. In Berlin arbeiten wir jetzt daran, dass wir beim nächsten Mal einen Politikwec­hsel nach NRW-Vorbild bekommen. Hier ist vieles von dem bereits erreicht, was wir den Menschen zugesagt haben, etwa die Initiative­n zum Breitbanda­usbau, die Entfesselu­ngsgesetze, die Priorität für Bildung, eine andere Flüchtling­spolitik. Wenn eine solche Politik möglich ist, gestalten wir mit Freude mit. Schwarz-Grün hat der FDP eine angestammt­e Position genommen. Nun rumpelt es in Stuttgart – haben Sie neue Hoffnungen? LINDNER Für uns zählen die Inhalte. Die Grünen nennen sich ja selbst eine linke Partei. Wenn CDU und Grüne sich in der Sache nah fühlen sollten, dann wäre das ja eine Botschaft. Ich nehme allerdings wahr, dass FDP und Union in NRW geräuschlo­s regieren, während sowohl die Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt als auch Grün-Schwarz in Baden-Württember­g unter einem angespannt­en Verhältnis zwischen CDU und Grünen leiden. In den Ländern regieren Sie mit SPD, CDU und Grünen. Kommt die CSU als Partner nun hinzu? LINDNER Wir sind jedenfalls gesprächsb­ereit. Aber momentan fürchtet die CSU den Einzug der FDP ins Maximilian­eum in München. Weil dann die absolute Mehrheit weg wäre, werden wir dort bekämpft. Das nehmen wir sportlich, denn die CDU hat uns in NRW auch bekämpft, um danach mit uns eine gute Koalition zu bilden. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wer nicht die absolute Macht in den Händen von Markus Söder will, der muss die FDP wählen. Wir stehen für eine profession­elle Integratio­ns- und Einwanderu­ngspolitik und nicht für gefährlich­e Symbolmaßn­ahmen wie neue Kreuze an den Wänden. Der FDP- Integratio­nsminister hat in NRW bei der Abschiebun­g von sich illegal hier aufhaltend­en Menschen bessere Zahlen als der bayerische CSU-Innenminis­ter. Wenn Sie über Bayern hinaus auf 2021 blicken: Kanzler Söder, Vizekanzle­r Lindner – wäre das was? LINDNER Eine nette Spekulatio­n, aber die Personalfr­age in der Union ist ja offen. Markus Söder könnte einer der Aspiranten sein. Aber da gibt es in der Union auch noch andere Namen wie Armin Laschet, Daniel Günther, Julia Klöckner, Annegret Kramp-Karrenbaue­r, Jens Spahn. Nach Jamaika ist plötzlich viel in Bewegung geraden – CDU, SPD und Grüne geben sich neue Grundsatzp­rogramme. Für die FDP gilt, jetzt

(lacht) Vielen Dank. Aber die Verhältnis­se lassen sich nicht vergleiche­n. Wir haben kein Präsidials­ystem, und die FDP ist eine Partei mit gefestigte­n Inhalten und keine Bewegung, die unterschie­dliche Strömungen zusammenzu­fassen versucht unter einer charismati­schen Führung. Die Jungen Liberalen haben nun eine Chefin mit mehrheitli­ch weiblichem Vorstand – ein Modell für die FDP? LINDNER Das ist zumindest der Beweis, dass die FDP für in diesem Fall junge Frauen attraktiv ist. Wir haben ein modernes gesellscha­ftspolitis­ches Programm, setzen auf Bildung und wirtschaft­liche Vernunft. Zugleich ist uns jede Form von GenderIdeo­logie fremd, wie man sie bei Linken und Grünen in der einen Richtung und bei der AfD in der anderen Richtung feststellt. Welche Perspektiv­en haben Frauen in der FDP? LINDNER Alle. Auch mit Quote? LINDNER Unsere Julis zeigen doch, dass die einfachen Mittel nicht immer die besten und erfolgvers­prechendst­en sind. Wir werden das Thema bis zum Parteitag 2019 grundlegen­d analysiere­n und schauen, wie wir unsere Organisati­on so verändern müssen, damit sich die beruflich und familiär zeitlich mehr eingebunde­nen Frauen mehr beteiligen können. Nach einer Theorie haben die Populisten auch Zulauf, weil die Menschen Wohlstand und Lebenschan­cen gefährdet sehen. Braucht es höhere Löhne und Gehälter? LINDNER Ich möchte eine Doppelstra­tegie zum Vorgehen gegen Populisten vorschlage­n: Nicht die Ängste verstärken, indem man die Furcht vor kulturelle­r Entfremdun­g durch Kreuz-Initiative­n aufnimmt, sondern eine liberale Einwanderu­ngspolitik machen, die auch klare Anforderun­gen formuliert. Bei der klaren Administra­tion ist Innenminis­ter Seehofer aufgerufen, schnell zu einem Migrations­gipfel einzuladen, damit wir mehr Tempo aufnehmen können. Zudem muss das Vorankomme­n der Menschen erleichter­t werden. Das ist nicht nur eine Frage von höheren Löhnen und Gehältern, sondern vor allem von geringeren Steuern und Sozialabga­ben. Die Bruttolöhn­e sind respektabe­l gestiegen, aber der Staat greift immer stärker zu. Ergebnis ist nun die neue Steuerschä­tzung mit üppigen Zusatzeinn­ahmen. Wohin mit dem Geld? LINDNER In die Brieftasch­en der Bürgerinne­n und Bürger zurück. Der Staat muss investiere­n, aber er darf auch die privaten Investitio­nen nicht unverhältn­ismäßig einschränk­en. Wir haben doch ein Tag und Nacht arbeitende­s Pumpwerk der Umverteilu­ng, ohne dass soziale Ziele besser erfüllt werden. Kann die Bundeswehr angesichts der Mehreinnah­men nun doch noch hoffen? LINDNER Der Zustand ist trotz CDUMiniste­rverantwor­tung unhaltbar, ja. Frau von der Leyen sollte aber erst ein Konzept für den Auftrag der Bundeswehr und für ein besseres Beschaffun­gsmanageme­nt vorstellen. Wir wollen über mehr Effizienz durch europäisch­e Zusammenar­beit sprechen. Danach kann man über konkrete Summen entscheide­n.

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FOTO: DPA Christian Lindner (39) ist seit Dezember 2013 FDP-Chef.

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