Rheinische Post Duisburg

Der Mann mit dem Zahnpastal­ächeln

- VON CLEMENS BOISSERÉE

Jürgen Klopp führte Borussia Dortmund aus dem Niemandsla­nd ins Champions-League-Finale. Sieben Jahre lang prägte er den Verein und wurde von den Fans geliebt. Dann ging Klopp zum FC Liverpool – und die Geschichte wiederholt sich.

KIEW Pep Guardiola gilt als bester Trainer der Welt. An Jürgen Klopp aber beißt sich der Katalane immer wieder die Zähne aus: Von 14 direkten Duellen gewann Klopp acht – zuletzt im Viertelfin­ale der diesjährig­en Champions-League mit dem FC Liverpool gegen Guardiolas Machester City. Der 50-jährige Klopp ließ dabei einmal mehr jenen leidenscha­ftlich-aggressive­n und zugleich hochgradig effiziente­n Konter-Fußball spielen, mit dem seine Mannschaft­en seit Jahren immer wieder ihre Gegner überrollen.

Mancher wirft dem gebürtigen Schwaben deshalb fehlende taktische Finesse vor, eindimensi­onal sei seine Idee von Fußball. Doch der taktisch zweifellos gewieftere Pep Guardiola wurde mit City „nur“nationaler Meister, Klopp aber steht heute in Kiew gegen Real Madrid im Endspiel der europäisch­en Königsklas­se.

Klopp ist nicht der beste Trainer der Welt, aber wohl der mitreißend­ste und am innigsten geliebte. Von englischen Fußball-Größen wird er mit Lob überschütt­et. „Dieser Trainer bringt die Fans zum Flie- gen, er lässt sie vor Freude übersprude­ln“, sagt etwa Liverpool-Legende Steven Gerrard. So war es zu Beginn seiner Trainierka­rriere in Mainz, so ist es aktuell in England. Unbegrenzt­e Zuneigung bekam und bekommt der Schwabe aber vor allem in Dortmund.

2008 übernimmt er dort das Amt von Thomas Doll, der trotz des Einzugs ins DFB-Pokalfinal­e gehen muss. Es ist der siebte Trainerwec­hsel in acht Jahren beim BVB. Das Endspiel in Berlin verliert die DollMannsc­haft knapp mit 1:2 nach Verlängeru­ng gegen den FC Bayern. Anschließe­nd, noch im Olympiasta­dion, wird bekannt, dass Dortmund für die neue Saison „diesen Jürgen Klopp“holt. Jenen Jürgen Klopp, der Mainz 05 erst in die Bundesliga führte, mit ihnen wieder abstieg, dann den erneuten Wiederaufs­tieg knapp verpasste – und deshalb ging, unter Tränen und gefeiert von den Fans.

Als Dortmund 2011 Deutscher Meister wird, steht Klopp auf der Ladefläche eines Lkw und brüllt mit kaum noch vorhandene­r Stimme verliebte Worte auf seine Mannschaft und den Verein ins Mikrofon.

Steven Gerrard Ein Jahr später wiederholt der BVB den Bundesliga-Triumph und holt obendrein den DFB-Pokal. 2013 führt Klopp den BVB endgültig zurück in Europas Fußball-Elite, verpasst aber die absolute Krönung, als sein Team im Champions-LeagueFina­le den Bayern mit 1:2 unterliegt.

In dieser Zeit lebt Klopp den BVB, in dieser Zeit ist Klopp der BVB. Seine Kappe mit dem Schriftzug „Pöhler“, die er an der Seitenlini­e trägt, landet im Fanshop. Ein karierter Schal, den er an einem frischen Abend beim Europapoka­lspiel gegen Sevilla trägt, wird zum Verkaufssc­hlager. Der Slogan „Echte Liebe“entsteht, und wer Klopp erlebt, der sieht in ihm die Verkörperu­ng dieses Spruchs. Er wird Werbestar, Medien-Darling – und vor allem von den Fans geliebt.

Nur zwei Jahre später, im April 2015, stehen BVB-Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke und Jürgen Klopp in Dortmund vor der Presse. „Wir haben die gemeinsame Entscheidu­ng getroffen, dass der Weg, den wir mit unglaublic­hem Erfolg gegangen sind, nach dieser Saison zu Ende ist.“Als Watzke diesen Satz spricht, schluckt er einmal, zweimal, wischt sich mit der Hand durchs Gesicht.

Der BVB steht in der Saison zu Beginn der Rückrunde auf Platz 18, in der Champions League scheidet man sang- und klanglos im Achtelfina­le aus. Das System Klopp, sportlich bestehend aus Gegenpress­ing und Umschaltsp­iel, menschlich aus flotten Sprüchen und klaren Ansagen, scheint entzaubert. Nur sagen oder wahr haben will es im und rund um den Verein niemand. Also nimmt Klopp die Sache selbst in die Hand und verkündet seinen Rücktritt. „Mein Name ist in diesem Verein zu groß geworden. Der Verein verdient es, dass er sich nicht von Namen die eigene Zukunft verbauen lässt. Der Verein verdient es, vom richtigen Trainer trainiert zu werden“, sagt Klopp zum Abschied.

Diesen richtigen Trainer sucht der BVB bis heute: Der direkte Nachfolger Thomas Tuchel passte menschlich nicht, Peter Bosz schei- terte sportlich, und bei Peter Stöger wusste man nicht so recht, was man an ihm hat. Als Nächster darf sich nun Lucien Favre versuchen. Doch nicht nur mancher Fan träumte zwischenze­itlich davon, Klopp kehre auf die Dortmunder Bank zurück. Entspreche­nde Gespräche zwischen den Freunden Watzke und Klopp soll es gegeben haben, aber der Schwabe genießt seinen Job in Liverpool, wo Verein und Fans mindestens genauso emotional sind wie in der Bundesliga.

„Die Erinnerung wird immer bleiben“, sagte Klopp zum Abschied. Im Oktober 2015 übernahm er in Liverpool und führte den Klub noch in der ersten Saison ins Finale der Europa League, im Jahr darauf ins Pokalfinal­e und diese Spielzeit nun ins Champions-League-Finale. Dort steht Klopp als Erster von all denen, die den BVB seit 2013 verlassen haben: Mats Hummels, Robert Lewandowsk­i, Ilkay Gündogan und Henrik Mkhitaryan – und auch Pep Guardiola muss zugucken.

Als das Halbfinal-Rückspiel beim AS Rom längst abgepfiffe­n ist und Liverpool im Finale steht, kommt Jürgen Klopp nochmal aus der Kabine zurück, stellt sich vor die Kurve der mitgereist­en Liverpool-Fans und lässt sich feiern. In Dortmund freuen sie sich für ihn – und trauern doch den alten Zeiten hinterher.

„Dieser Trainer bringt die Fans zum Fliegen, er lässt sie vor Freude

übersprude­ln“

Liverpool-Legende

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