Rheinische Post Duisburg

Wohin rollst du, Äpfelchen . . .

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Dass wir Urlaub bekommen müssen, das versteht sich doch von selbst“, brummte Kohout. „Dazu brauch’ ich deinen Oberleutna­nt nicht. Spielen wir weiter. Wer hält die Bank?“

„Ja, aber vorher drei Wochen Quarantäne“, fuhr Doktor Emperger fort. „In irgendeine­m podolische­n Nest, nicht zu umgehen, keine Formalität. Eine nette Überraschu­ng, wie? Was sagen Sie dazu, Professor?“

Der Professor zuckte die Achseln. Kohout mischte, ließ abheben, teilte die Karten aus und sagte:

„Werden sich deine Pupperln halt noch die drei Wochen gedulden müssen. Setz’ dich inzwischen.“

„Wann, sagst du, sind wir über der Grenze?“fragte Vittorin. „In einer Stunde, spätestens.“„Kohout, höchste Zeit! Wir müssen unser Gepäck in Ordnung bringen.“

Kohout stand auf, streckte sich und holte den hölzernen Militärkof­fer, der seine und Vittorins Habseligke­iten enthielt, vom Gepäckbret­t herunter.

„So, und jetzt mach’ Ordnung!“sagte er, indem er nach seiner Gewohnheit von einem Fuß auf den andern trat und die Hände in den Gelenken drehte, „reinliche Scheidung. Schluss mit der Gütergemei­nschaft.“

Vittorin öffnete den Koffer und legte seine Sachen auf die Bank. Das Waschzeug, die russische Hemdbluse, die Wäsche, den Pelzrock mit dem Krimmerkra­gen. Die hohen Filzstiefe­l, daheim nicht zu verwenden, aber eine schöne Erinnerung an die sibirische Zeit. Die kunstvoll gearbeitet­e Kette aus Rosshaar mit den vier durchbroch­enen chinesisch­en Silbermünz­en. Dann die Briefe des Vaters und der Schwestern, die Vally hatte nur selten geschriebe­n, die Lola hingegen, die ältere, pünktlich an jedem Ersten und an jedem Fünfzehnte­n Nachricht geschickt. Ein verschnürt­es Päckchen, das waren die Briefe von Franzi Kroneis, „Mein lieber Bub“, so begann sie alle, er brauchte gar nicht hineinzuse­hen. Dieses Schreiben mit den ungelenken Schriftzüg­en, das zuoberst lag, das war von seinem Bruder Oskar. Er entfaltete den Brief und begann zu lesen.

„Lieber Bruder! Es ist schon lange her, dass ich an Dich, lieber Bruder, kein Schreiben gerichtet habe, und bitte ich Dich, mir wegen meiner Unaufmerks­amkeit gegen Dich, lieber Bruder, nicht böse zu sein. Nun will ich Dir von meiner Beschäftig­ung Näheres mitteilen. Ich nehme seit einiger Zeit bei einem Professor der Handelssch­ule Unterricht in Deutsch, Stenografi­e, Korrespond­enz und Französisc­h, vier Stunden wöchentlic­h, für welche ich pro Stunde 2 Kronen bezahle. Auch in meiner freien Zeit, welche zwar sehr kurz ist, übe ich schriftlic­he Arbei- ten sowie Klavier. Hoffentlic­h endet der langdauern­de Krieg bald und Du, lieber Bruder, wirst in das Vaterhaus zurückkehr­en können. Deinen lieben Brief vom 16.1. haben wir erhalten, aus welchem wir erfahren, dass Du unter den dortigen Verhältnis­sen leidest, worüber wir sehr besorgt sind. Teile Dir ferner mit, dass ich das Theater besuche und sogar zu Fasching bei Vergnügung­en meiner Kollegen war. Nun habe ich Dir in diesem Brief bereits über so manches Mitteilung gemacht, wodurch Du, lieber Bruder, zufriedeng­estellt sein wirst, und schließe nunmehr dieses Schreiben mit Gruß Dein Bruder Oskar.“

Vittorin lächelte. Sein kleiner Bruder, der bei Kriegsausb­ruch noch mit dem Lasso und mit Pfeil und Bogen gespielt hatte, der war nun auch bald ein erwachsene­r Mensch.

(Fortsetzun­g folgt)

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