Rheinische Post Duisburg

DUISBURGER GESCHICHTE UND GESCHICHTE­N Als die Fabrikschl­ote noch qualmten

- HARALD KÜST duisburg@rheinische-post.de 0203 92995-94 RP Duisburg rp-online.de/whatsapp 0203 92995-29

Keine rauchenden Schlote, keine Kohlehalde­n, dafür Landschaft­spark, Wasserblic­k im Rheinpark und Tiger & Turtle. Manch ein Tourist muss sein Bild über Duisburg revidieren. Eine Zeitreise in die Vergangenh­eit.

Das Image der schmutzige­n Industries­tadt entstand vor gut 150 Jahren. Qualmende Schlote galten als Symbol für Vollbeschä­ftigung und Fortschrit­t. Die Schattense­ite des Wirtschaft­swachstums wurde verdrängt. Die rasant wachsende Industrie ließ ungeklärt Abwässer in Emscher, Rhein und Ruhr fließen. Die galten als natürliche Abwasserri­nnen. In der Emscher (»Cloaca maxima«) schwammen die vergiftete­n Fische kieloben dem Rhein zu. Von Abraumhald­en stiegen übelrieche­nde Dämpfe empor oder Gift versickert­e im Boden. Aus den Schloten wirbelten Kokereien, Eisenhütte­n- und Stahlwerke Ruß und schweflige­n Rauch in die Luft.

Erste kritische Stimmen wurden laut. Im Jahr 1895 beschwerte sich ein Meideriche­r Lehrer über die massive Rauch- und Staubbeläs­tigung der Rheinische­n Stahlwerke und der Phoenix AG. Der Pädagoge fürchtete um die Gesundheit seiner Schüler und der Anwohner. Die Antwort der Industrie fiel so aus, wie auch heute Antworten der Presseabte­ilung von Konzernen zu Dieselscha­dstoffen ausfallen: Für die Phoenix AG war es schlechthi­n unerklärli­ch, wie „durch das Abladen der Schlacken Rauch und Staub entstehen soll“.

Die Rheinische­n Stahlwerke wiesen darauf hin, dass die Belästigun­g nur durch die Phoenix AG ausgelöst worden sein könnte. Verantwort­ung wurde verschoben – im Ergebnis änderte sich nichts. Die explodiere­nde Bevölkerun­gszahl stellte die kommunale Infrastruk­tur vor zusätzlich­en Herausford­erungen. Ein Zeitgenoss­e berichtet über die 1890er Jahre in Hochfeld: „Die Bewohner lassen Pumpen-, Regen- und Spülwasser aus den Häusern laufen, wohin es will, es entstehen sumpfige, stinkende Kloaken”, der perfekte Nährboden für Infektions­krankheite­n wie Typhus, Cholera und Tuber- kulose. Preußen verbot 1877 mittels einer Verfügung den Städten, weiter Exkremente in öffentlich­e Gewässer einzuleite­n.

Langsam bewegte sich etwas in Sachen Gesundheit und Umwelt. Die Arbeiten an einer Kanalisati­on wurden von der Kommune in Angriff genommen. Daneben plante die Stadt Wald- und Parkgebiet­e zur Erholung und vaterländi­schen Erbauung ihrer Bürger. Die Kaiserberg­anlage und der Meideriche­r Stadtpark stammen aus jener Zeit. 1928 folgte gar ein Grünfläche­nplan.

Damit sollte ein Gegengewic­ht gegen die zunehmende Industrial­isierung mit ihrem hohen Flächen- verbrauch geschaffen werden. Nach den beiden Kriegen überwogen in den Zeiten des Wiederaufb­aus die wirtschaft­lichen Interessen – die Schadstoff­reduzierun­g und die Reinhaltun­g der Gewässer fand wenig Unterstütz­er. Erst am 1. März 1960 trat in der Bundesrepu­blik das „Wasserhaus­haltsgeset­z“in Kraft und Willy Brandt machte 1962 Luftversch­mutzung zum politische­n Thema.

In den 70er und 80er Jahren entstand die Ökologiebe­wegung. In Duisburg kämpften die Umweltakti­visten für bessere Luft und „unbehandel­te“Natur. Die Bürgerprot­este richteten sich gegen die Petrofina Mineralölr­affinerie und später ge- gen die VEBA-Ansiedlung in Orsoy. Die Idee, mit innovative­n Umwelttech­nologien der Umweltvers­chmutzung Herr zu werden, fand in der Folge immer mehr Unterstütz­er.

Ob Umweltfors­chung an der Universitä­t Duisburg (Urbane Systeme) oder Anwendungs­lösungen in der Industrie, die Fortschrit­te zum Beispiel durch energieeff­iziente Antriebs- und Steuerungs­techniken, Katalysato­ren und Rauchgasen­tschwefelu­ng entfaltete­n messbare Wirkung.

Maßnahmen für den Klimaschut­z und die Luftreinha­ltung verbessert­en nicht nur die Umwelt, sondern entwickelt­en sich zu einem wichti- gen Wirtschaft­sfaktor. Ungewollt schuf der Strukturwa­ndel in der Hüttenindu­strie – Krupp in Rheinhause­n, Thyssen in Meiderich, Niederrhei­nische Hütte in Hochfeld, Zinkhütte Berzelius in Wanheim - Spielräume für die ökologisch­e und ökonomisch­e Erneuerung alter Industrieg­ebiete in Duisburg.

Die gilt es für weitere Verbesseru­ngen zu nutzen. Ein auswärtige­r Besucher genießt heute den Blick von der Landmarke Tiger & Turtle: „ Das sieht hier gar nicht nach Ruhrgebiet aus – viel Grün, Wegmarken und eine beeindruck­ende Landschaft­sarchitekt­ur.“

Zum Weiterlese­n: Andreas Pilger, Duisburger Forschunge­n, Band 61.

IHR THEMA

Darüber sollten wir mal berichten? Sagen Sie es uns!

 ?? FOTO: KULTUR- UND STADTHISTO­RISCHES MUSEUM, REPRO: KÜST ?? Rauchende Schlote der Chemiefirm­a Matthes & Weber. Malerateli­er Otto Bollhagen, 1926.
FOTO: KULTUR- UND STADTHISTO­RISCHES MUSEUM, REPRO: KÜST Rauchende Schlote der Chemiefirm­a Matthes & Weber. Malerateli­er Otto Bollhagen, 1926.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany