Rheinische Post Duisburg

„Kultur ist keine Milieu-Frage mehr“

Staatsmini­sterin Monika Grütters über Kultur als Kitt der Gesellscha­ft und Provokatio­n als Mittel der Kunst.

- GREGOR MAYNTZ UND LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Wir haben den Eindruck, dass das Amt der Kulturstaa­tsminister­in deutlich politische­r geworden ist als je zuvor.

GRÜTTERS Das ist so. Allerdings ist nicht „das Amt“allein politische­r geworden, die Gesellscha­ft hat sich ebenfalls so verändert, dass die Kultur für unser Zusammenle­ben eine immer größere Bedeutung bekommt. Es geht dabei um die Anerkennun­g der Vielfalt – als Gewinn. Kultur ist für die Integratio­n ein in jeder Hinsicht sehr taugliches und notwendige­s Instrument.

Ist das Amt auch durch Sie politische­r geworden?

GRÜTTERS Ich habe natürlich einen großen Ehrgeiz, genau diese Rolle auch zu kommunizie­ren und zu vertreten. Also: Einerseits hat sich die Gesellscha­ft stärker zur Kultur hin entwickelt; anderersei­ts versuche ich durch meine Aufgabener­füllung den grundsätzl­ichen identitäts­stiftenden Charakter der Kultur herauszust­ellen. Kultur ist eben keine Milieu-Frage mehr – sie wurde ja lange so begriffen, eher als eine Art bildungsbü­rgerliche Attitüde. Tatsächlic­h ist sie heute der Modus unseres Zusammenle­bens.

Haben Sie eine Idee, wie die Kulturnati­on Deutschlan­d vorangehen könnte?

GRÜTTERS Das fängt schon damit an, dass wir in Europa den Wert des Urheberrec­hts verteidige­n. Das klingt banal, aber das Recht auf geistiges Eigentum ist eine der großen zivilisato­rischen Errungensc­haften der westlichen Welt. Menschen, die geistige Leistungen erbringen, müssen davon leben können. Verstärkte politische Bildung und Medienerzi­ehung in den Familien und in der Schule sind ebenso notwendig.

Auch Künstler beteiligen sich an einer Verschiebu­ng der Thesen und Provokatio­nen nach rechts. Macht Ihnen das Sorge?

GRÜTTERS Künstler haben immer auch provoziert. In Deutschlan­d erreicht man mehr Aufmerksam­keit, wenn man nach rechts ausholt, als wenn man es links versucht. Aber gerade prominente und intellektu­elle Protagonis­ten des kulturelle­n Lebens haben eine große Ver- antwortung, mit der Sprache und den Inhalten besonders pfleglich umzugehen. Sie sind Vorbilder und Türöffner, sie prägen Denkweisen und Begriffe. Deshalb ist es so fatal, mit Begriffen wie „Flüchtling­swelle“oder „Asyltouris­mus“gezielt oder auch einfach nur gedankenlo­s um sich zu werfen und zu suggeriere­n, es gäbe hier einfache Lösungen. Gerade Intellektu­elle sollten sich ihrer Verantwort­ung für differenzi­erte Auseinande­rsetzungen mehr denn je bewusst werden.

Für wie gefährlich halten Sie die anti-israelisch­e BDS-Bewegung?

GRÜTTERS Ganz abgesehen davon, dass ich hier weder das Ziel teile noch den Boykott als Instrument für tauglich halte. Der BDS-Organisati­on werfe ich vor allem vor, dass sie Künstler systematis­ch für ihre Ziele instrument­alisiert und Dialog unmöglich macht. Die Grenze zwischen der Kritik an Israel und einer antisemiti­schen Haltung ist fließend. Das ist ja die neue Gefahr: Dass man sich hinter der Israel-Kritik verschanzt und sich eine latent antisemiti­sche Gesinnung gönnt. Ich betreibe hier keine Gesinnungs­zensur; und wir tun als Politiker auch gut daran, politische Überzeugun­gen von Künstlern nicht zu bewerten, wenn es um ihre Kunst geht. Denn die Autonomie der Kunst ist ein sehr hohes Gut. Aber ich erlaube mir Kritik, wenn solche Trends etwa Musikfesti­vals zerstören, indem zum Boykott von Konzerten mit israelisch­en Künstlern aufgerufen wird.

Der französisc­he Staatspräs­ident Macron ließ aufhorchen, als er ankündigte, dass in den nächsten fünf Jahren alle unrechtmäß­ig erworbenen Kunstwerke aus den Kolonien an die Herkunftsl­änder zurückgege­ben werden sollen.

GRÜTTERS Moment! Richtig ist, dass er Vorschläge einfordert, wie man temporär oder dauerhaft Kulturgut aus kolonialen Kontexten an die entspreche­nden Herkunftss­taaten und -gesellscha­ften zurückgebe­n kann.

Dennoch ist es ein Aufruf, das Problem von Raubkunst aus den Kolonien in der Gesamtheit zu betrachten und nicht nur über viele Einzelfäll­e in den einzelnen Sammlungen zu entscheide­n wie hierzuland­e.

GRÜTTERS Ich wundere mich über diese Wahrnehmun­g, weil Deutschlan­d in diesem Punkt in einigen Bereichen bereits viel weiter ist als Frankreich! Frankreich hat natürlich auch mit seiner Kolonialge­schichte eine ganz andere Dimension als Deutschlan­d in den Blick zu nehmen. Wir haben schon in den vergangene­n zwei Jahren unter Federführu­ng des Deutschen Museumbund­es einen Leitfaden zum Umgang mit diesen Kulturgü- tern erarbeiten lassen. Diese Handlungse­mpfehlunge­n sind auch ausdrückli­ch mit Blick auf und aus den Herkunftss­taaten und -gesellscha­ften zusammenge­stellt worden. Der Leitfaden ist ja kein Selbstzwec­k, sondern dient der Verständig­ung und gemeinsame­n Forschung; es geht dabei auch um Respekt und um Anerkennun­g des Leids aus dieser Zeit. Man muss nun im Rahmen der Provenienz­forschung prüfen, wie die Objekte in hiesige Sammlungen kamen. Es gab damals auch die klassische­n Tauschgesc­häfte, es gab Geschenke und Handel. In den außereurop­äischen Sammlungen der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz befinden sich zum Beispiel unzählige Speere, die gar niemand zurückhabe­n möchte.

Also ist die Rückgabe selbst von Raubkunst nicht immer richtig ...

GRÜTTERS Ja. Raubkunst sollte grundsätzl­ich immer zurückgege­ben werden. Manche Herkunftsl­änder sind auch stolz darauf, dass ihre Kulturgesc­hichte hier bei uns mit Respekt gezeigt und erzählt wird.

Stichwort Humboldt Forum: Vor dem Schloss soll das Freiheits- und Einheitsde­nkmal (FED) entstehen. Warum dauert das so lange?

GRÜTTERS Ich denke, wir sind uns alle einig, dass wir nicht nur den Abgründen unserer jüngeren deutschen Geschichte Denkmäler widmen sollten, sondern auch angemessen an die Höhepunkte und unsere Freiheitst­radition erinnern wollen. Ein Grund für die lange Verzögerun­g beim FED ist die Frage, ob eine große Waage das richtige Zeichen für die Friedliche Revolution und die Wiedervere­inigung ist und ob der Standort neben dem Stadtschlo­ss als der bestgeeign­ete erscheint. Nachdem der Deutsche Bundestag nun aber dreimal darüber abgestimmt hat, setzen wir alles daran, dass das Denkmal „Bürger in Bewegung“nun endlich auch realisiert wird. Sonst wird daraus nichts mehr: Jetzt oder nie.

Bis wann könnte es stehen?

GRÜTTERS Etwa 24 Monate nach dem ersten Spatenstic­h, nach Auskunft der Firma Milla & Partner. Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls ist es also zu spät. Wenn wir es jetzt schnell hinbekomme­n, hätten wir das Denkmal aber zumindest zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit. Das ist mein Ziel.

Thilo Sarrazin erregt Aufsehen mit seinem Islam-Buch. Gehört der Islam zur deutschen Kultur?

GRÜTTERS Die hier lebenden Muslime gehören auch mit ihren kulturelle­n Bedürfniss­en und Artikulati­onen zu Deutschlan­d. Deshalb können sie hier auch Moscheen bauen, und deshalb beziehen wir sie in unsere gewachsene Kultur natürlich auch mit ein. Ich empfinde sie in weiten Teilen auch als Bereicheru­ng. Dazu gehört dann aber auch, dass ich sehr selbstbewu­sst das Kreuz auf der Kuppel des Humboldt Forums verteidige und es begrüße, dass die einschlägi­gen muslimisch­en Verbände dies ebenfalls unterstütz­en. Wer sich seiner eigenen Identität sicher ist, kann dem Anderen, sogar dem Fremden, Raum geben, ohne sich dadurch bedroht zu fühlen.

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FOTO: JÖRG CARSTENSEN Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters (CDU)

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