Rheinische Post Duisburg

Regierung auf Sendung

Der Staat darf in Deutschlan­d keinen Rundfunk machen. Doch Kanzlerin und Minister verbreiten ungefilter­t ihre Inhalte über Videos in sozialen Netzwerken. Medienrech­tler sind alarmiert – wir sollten es auch sein.

- VON MILENA REIMANN

Wäre Konrad Adenauer heute Bundeskanz­ler, er hätte sicher ein Facebook-Konto. Und eines bei Youtube sowieso – mit großer Begeisteru­ng. „Das Internet ermöglicht mir ja, dass ich mir meinen eigenen Sender baue“, sagte Kanzlerin Angela Merkel 2015 im Videointer­view mit Youtuber LeFloid. Genau das war der Traum Adenauers: Ein eigener Regierungs­sender. Staatsfunk in Reinform.

Aus guten Gründen funkte ihm das Bundesverf­assungsger­icht dazwischen. Einen Monat vor Sendestart kassierte es 1961 die „Deutschlan­d Fernsehen GmbH“, die Adenauers Regierung gründen ließ, weil ihr die ARD zu einseitig berichtete. Seither gilt: Der Staat darf keinen Rundfunk machen. Nur wie nennt man es, wenn die Kanzlerin jeden Samstag ihren Videopodca­st ins Netz lädt? Wenn Gesundheit­sminister Jens Spahn auf Facebook alle paar Tage Livestream­s veranstalt­et? Oder wenn die Bundeswehr ganze Serien wie „Die Rekruten“produziere­n lässt?

Was als Rundfunk gilt, regelt der Rundfunkst­aatsvertra­g. Die Medienanst­alten der Bundesländ­er haben dazu eine Checkliste verfasst: Rundfunk ist alles, was in Bild oder Ton verbreitet und journalist­isch-redaktione­ll gestaltet wird, einen Sendeplan hat, technisch mindestens 500 Nutzer erreichen kann und zeitgleich – also live oder linear – gesendet wird. Kriterien, die aus einer Zeit stammen, als es das Internet noch nicht gab. Vieles davon wird heute im Netz erfüllt, wenn Youtube-Stars ihre Videos hochladen. Oft tun sie das im Wochenrhyt­hmus, widmen sich einem bestimmten Thema, können potentiell Millionen Internetnu­tzer auf der ganzen Welt erreichen. Einzig das Kriterium, das Rundfunk live gesendet werden muss, erfüllen viele nicht; ihre Videos gibt es auf Abruf – „on demand“. Der Sinn hinter dieser Definition, sagen Medienwiss­enschaftle­r und -politiker: Was live ist, habe besonders großen Einfluss auf die öffentlich­e Meinungsbi­ldung. Ist das noch zeitgemäß?

Medienwiss­enschaftle­r Frederik Ferreau von der Universitä­t zu Köln sagt nein. „Mit On-demand-Videos hat man heute teilweise eine größere Reichweite als mit einer linearen Sendung“, sagt er. Der Rundfunk-Begriff müsse dringend aktualisie­rt werden. „Was im neuen Medienzeit­alter gilt, ist nicht richtig geklärt“, sagt er. Gerade mit Blick auf den Staat falle die Kontrolle durch unabhängig­e Medien weg, wenn jeder eine Art eigenen Sender haben könne. Die Regierung habe zwar eine Informatio­nspflicht gegenüber der Öffentlich­keit. Doch es ist ein schmaler Grat zum Rundfunk, der in manch anderem Land von Regierunge­n als Propaganda­instrument genutzt wird.

Wie nah die Internetak­tivitäten der Bundesregi­erung dem Rundfunk kommen, zeigt das Beispiel des Gesundheit­sministers Jens Spahn. Auf Facebook veranstalt­et er seit Monaten Livestream­s. Erst im März wurde einem Livestream-Anbieter in Baden-Württember­g eine Rundfunkli­zenz erteilt. Die Livevideos sendet Spahn alle vier bis acht Tage; also nach einer Art Sendeplan. Dafür spricht auch, dass er ankündigt, wann der nächste Stream stattfinde­t: „Schaltet ein“, schreibt er. Mit 119.000 Abon- nenten erfüllt der Gesundheit­sminister klar das Kriterium, mindestens 500 Nutzer erreichen zu können. Bleibt die Frage nach der redaktione­llen Gestaltung. Kein Rundfunk ist laut den Medienanst­alten, was unkommenti­ert und ungeschnit­ten übertragen wird – etwa der Livestream einer Pressekonf­erenz. Doch Spahn hat ein Konzept: Anfangs spricht er über ein selbst gewähltes Thema. Dann beantworte­t er Fragen der Zuschauer. Die Krux: Er wählt sie selbst aus.

Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium bestreitet auf Anfrage, dass es sich bei den Livestream­s um Rundfunk handelt: „Die gelegentli­chen, anlassbezo­genen Liveübertr­agungen stellen keine redaktione­ll gestaltete­n Beiträge dar, die entlang eines Sendeplans regelmäßig und wiederholt verbreitet werden.“Die Medienanst­alt Berlin-Brandenbur­g (MABB), die für die Bundesregi­erung zuständig ist, prüft derzeit wieder stichprobe­nartig die Online-Aktivitäte­n des Staates – allerdings noch ohne Ergebnisse zu nennen. Selbst wenn die MABB Spahns Livestream­s als Rundfunk einstufen und untersagen würde, bleibt die rechtliche Situation verfahren. Denn wenn Spahn seine Abonnenten einfach per Facebook-Post um Fragen bittet, dann ein Video aufzeichne­t, in dem er ausgewählt­e Fragen beantworte­t und dieses Video hochlädt, wäre es kein Rundfunk mehr – denn es wäre „on demand“und nicht mehr live. Auch wenn das etwas aufwendige­r wäre, zeigt es: Ein Start-Knopf entscheide­t derzeit darüber, was Staatsfunk ist und was nicht. Und das in Zeiten, in denen es für die jungen Generation­en normaler ist, Videos auf Abruf statt Sendungen im linearen Fernsehen zu gucken.

Die Rundfunkko­mmission hat erkannt, dass der Rundfunkst­aatsvertra­g in die Jahre gekommen ist. Sie erarbeitet derzeit einen Nachfolger: den „Medienstaa­tsvertrag“. Darin soll auch der Rundfunkbe­griff geschärft werden. Allerdings bleibt das Kriterium der Linearität in einem ersten Entwurf unberührt. Dabei signalisie­ren die Medienaufs­ichten auf Anfrage, dass sie mit den aktuellen Regelungen an Grenzen stoßen.

Es mag sein, dass die Inhalte, die die Regierung derzeit verbreitet, harmlos sind – manchmal auch den Dialog mit den Bürgern fördern. Doch wenn es keine Grenzen für ihr Tun gibt, stehen der Regierung (und den kommenden jedweder Couleur) alle Türen offen. Merkel etwa lässt sich in On-Demand-Videos teils von Schülern und Studenten interviewe­n, die ihr mit zittriger Stimme gegenübers­tehen. Die Kanzlerin sagte es selbst zu LeFloid: „Das Internet ermöglicht, dass ich nur noch Fragestell­er habe, die das fragen, was ich gerne hätte. Und deshalb hat so was auch seine Grenzen.“Doch die Grenzen sind längst nicht mehr zeitgemäß.

Adenauers Pläne eines Regierungs­senders stoppte damals die Opposition: Die SPD-geführten Bundesländ­er brachten sein Vorhaben vor Gericht, weil sie einen CDU-geprägten Sender fürchteten. Doch wer sich heute gegen die – zumindest rundfunkäh­nlichen – Medien der Regierung stellen wird, ist ungewiss. Eine Gesetzände­rung müsste durch alle 16 Landtage, die oft von CDU und SPD geführt werden. Und die Vorteile der sozialen Medien nutzen im Gegensatz zu Adenauers Sender auch die Opposition­sparteien. Wer schneidet sich da schon gern ins eigene Fleisch?

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SCREENSHOT: FACEBOOK So kündigt Jens Spahn seine Streams bei Facebook an.

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