Rheinische Post Duisburg

Giffey wirbt für „Rütlischwu­r“in Chemnitz

Ministerin bringt Neuköllner Erfahrunge­n nach Sachsen und will eine „andere Geschichte erzählen“.

- VON GREGOR MAYNTZ

CHEMNITZ Die Bundesfami­lienminist­erin kam am frühen Morgen und legte am Tatort sechs weiße Rosen im Gedenken an den erstochene­n Daniel H. nieder. Als erstes Kabinettsm­itglied besuchte die SPD-Politikeri­n Franziska Giffey die sächsische Stadt Chemnitz, um jenen den Rücken zu stärken, die gegen Hass, Hetze und Gewalt Position beziehen. Angespannt stand sie minutenlan­g ganz allein am Blumenmeer in der Chemnitzer Innenstadt. Das sei für sie ein „zutiefst emotionale­s Erlebnis“gewesen, berichtete sie anschließe­nd.

Die frühere Bezirksbür­germeister­in von Neukölln rief in Chemnitz zu einem „Rütlischwu­r“auf. Sie spielte damit auf die Zustände an der Neuköllner Rütli-Schule an, die die Institutio­n wie den Bezirk in Verruf brachten. Inzwischen ist die Schu- le durch große Anstrengun­gen vieler Beteiligte­r jedoch zu einem Vorzeige-Projekt geworden. Auch Chemnitz sei „mehr als ein brauner Mob“, sagte Giffey. Auch hier sollten die Verantwort­lichen nun „eine andere Geschichte erzählen“. Sie bot für den Bund an, sich mit „Demokratie-leben“-Programmen stärker zu engagieren.

Nach den rechtsextr­emistische­n Vorgängen werde es in den anstehende­n Haushaltsb­eratungen auch darum gehen, die Bundesprog­ramme über die bisherigen 120 Millionen Euro auszuweite­n. Giffey warb für ein „Demokratie­fördergese­tz“, das die Werteerzie­hung in Deutschlan­d stärker in den Fokus rücke.

Oberbürger­meisterin Barbara Ludwig befürchtet, dass auch die nächsten Tage für Chemnitz „nicht leicht“werden. Bereits für diesen Samstag und Sonntag sind die nächsten Kundgebung­en von AfD, dem Bündnis „Chemnitz nazifrei“und kirchliche­n Gruppen angekündig­t. Am Montag wollen Bands Tausende von Besuchern anlocken, um damit zu unterstrei­chen, dass die große Mehrheit nicht ausländerf­eindlich eingestell­t ist.

Der mutmaßlich­e Haupttäter der tödlichen Messerstec­herei vom vergangene­n Sonntag, ein 22-jähriger Iraker, hätte nach Angaben des Verwaltung­sgerichts in Chemnitz bereits 2016 abgeschobe­n werden können. Ministerpr­äsident Michael Kretschmer wies eine Verantwort­ung des Freistaate­s für das Versäumnis zurück.

Nach einer Befragung des ZDF-Politbarom­eters sehen inzwischen drei Viertel der Deutschen im Rechtsextr­emismus eine echte Bedrohung. Unter den AfD-Anhängern empfinden das jedoch lediglich 34 Prozent. AfD-Chef Alexander Gauland rechtferti­gte die Ausschreit­ungen in Chemnitz. „Ausrasten ist nach einer solchen Tat legitim“, sagte er im ZDF. Der baden-württember­gische AfD-Abgeordnet­e Stefan Räpple bezeichnet­e den Justizbeam­ten, der den Haftbefehl gegen den Iraker entgegen den gesetzlich­en Vorgaben veröffentl­icht hatte, als Helden und bot ihm eine Stelle an.

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FOTO: DPA Familienmi­nisterin Franziska Giffey am Tatort in Chemnitz.

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