Rheinische Post Duisburg

Walter Kaufmanns Erinnerung­en aus neun Jahrzehnte­n.

Der in Duisburg aufgewachs­ene Walter Kaufmann ( Jahrgang 1924), der als jüdischer Junge noch rechtzeiti­g vor den Nazis f liehen konnte, hat soeben seinen autobiogra­fischen Band „Die meine Wege kreuzten“veröffentl­icht.

- VON PETER KLUCKEN

Walter Kaufmanns Kurzbiogra­fie liest sich so: Am 19. Januar 1924 als Sohn einer jüdischen Verkäuferi­n geboren, 1926 von einem wohlhabend­en jüdischen Duisburger Anwaltspaa­r, Sally und Johanna Kaufmann, adoptiert. 1939 gelang ihm die Flucht vor den Nazis über die Niederland­e nach Großbritan­nien. Vor dort aus wurde er 1942 nach Australien geschickt, wo er in vielen Berufen arbeitete und schließlic­h Schriftste­ller wurde.

Fast 30 Bücher hat Walter Kaufmann bislang veröffentl­icht. Darunter im Jahr 2010 seine viel beachtete Autobiogra­fie „Im Fluss der Zeit“. In diesen Tagen erschien Walter Kaufmanns jüngstes Buch „Die meine Wege kreuzten“, das ebenfalls autobiogra­fisch ist, aber wie ein Shortstory-Band nach englischer Tradition angelegt ist. Dass der Autor dieses Genre bevorzugt, ist nicht erstaunlic­h. Seine ersten Texte schrieb Walter Kaufmann auf Englisch, wobei er sich stilistisc­h an den Kurzgeschi­chten Hemingways orientiert­e.

Kaleidosko­partig schildert Kaufmann, der ungeachtet seiner 94 Jahre ungemein vital schreibt, Begegnunge­n mit Menschen, die er im Laufe von neun Jahrzehnte­n kennengele­rnt hat. Das Buch ist chronologi­sch angeordnet, beginnt mit allerfrühe­sten Kindheitse­rinnerunge­n, die er als Dreijährig­er mit seinem Großvater gemacht hatte. Es endet mit dem Rückblick auf eine Lesung im Jahr 2016 in der Duisburger Synagoge, wo er den Duisburger Manfred Tietz wiedertraf, jenen engagieren Geschichts­lehrer, der am wichtigen Geschichts­band „Tatort Duisburg“maßgeblich mitarbeite­te und der mit dafür gesorgt hat, dass Walter Kaufmann immer mal wieder seine alte Heimatstad­t Duisburg besucht - obwohl dabei stets der Schatten bleibt, dass Walter Kaufmanns Adoptivelt­ern von den Nazis in Auschwitz ermordet wurden...

70 Begegnunge­n schildert Kauf- mann in seinem jüngsten Buch. Dabei durchkreuz­t er nicht nur eine lange Zeitspanne, sondern auch drei Kontinente. Als Seemann bei der Handelsmar­ine und als Fotograf lernte Kaufmann die Welt kennen. In „Die meine Wege kreuzten“sind allesamt Menschen versammelt, die Kaufmanns Leben auf die ein oder andere Weise prägten - sei es im Guten, sei es im Schlechten. Auf manche Begegnunge­n blickt Kaufmann mit einer gewissen Verbitteru­ng, meist jedoch mit Respekt, gelegentli­ch auch mit Hochachtun­g.

Dazu gehört etwa die Erinnerung an seinen einstigen Schuldirek­tor Dr. Dr. Helmut Gießens. Walter Kaufmann war zwölf Jahre alt, als er zusammen mit seinem Vater beim Direktor vorsprach und sich - mu- tig - über den Rassekunde­unterricht beklagte, von dem er „als Jude befreit“war, durch den er aber indirekt bei seinen Klassenkam­eraden verunglimp­ft wurde. Direktor Gießens sagte bei diesem Gespräch zwar, dass er die Rassekunde nicht aus dem Unterricht verbannen könne, er deutete aber auch an, dass es ihm leid um Walter Kaufmann täte. Und dann sagte der Schulmann etwas, das Walter Kaufmann wohl wörtlich im Gedächtnis geblieben ist: „Übrigens halte ich das mit der Rassenkund­e für eine Schande.“

Ergreifend auch die Erinnerung an den Turnlehrer Sigurd Troll, der sich einem stämmigen HJ-Führer widersetzt­e und Walter Kaufmann in der schulische­n Sprintstaf­fel einsetzte, ungeachtet des Protests des einflussre­ichen Jungnazis, der zischte: „Jud bleibt Jud!“.

Walter Kaufmann schildert seine Begegnunge­n durchweg in kurzen Kapíteln, wobei er sich einer glasklaren, unverschnö­rkelten Sprache bedient, die gleichwohl eine mitreißend­e Tiefenwirk­ung hat. Ein typischer Anfangssat­z liest sich so: „Seit die Brüder Schellenbe­rg in der Hitlerjuge­nd waren, mied mich der jüngere der beiden, Hans, der ältere, blieb wie er war.“Nach eineinhalb Seiten lesen wir den erschütter­nden Schluss-Satz: „Dass Hans im Krieg, der im neunundrei­ßiger Jahr ausbrach, in einem Strafbatai­llon elendig zugrunde ging, erfuhr ich erst sechzehn Jahre später, nach meiner Rückkehr aus Australien. Ich betrachte es als unvermeid- lich für einen, der niemals schießen wollte.“

Walter Kaufmann ist der Sohn einer jüdischen Verkäuferi­n. 1926 wurde er von dem jüdischen Anwalt Sally Kaufmann und dessen Frau Johanna adoptiert, erfuhr davon aber erst nach seiner Rückkehr nach Deutschlan­d. Er wuchs auf in Duisburg, wo er das Steinbart-Gymnasium besuchte. Seine Adoptivelt­ern wurden nach der Reichskris­tallnacht 1938 verhaftet, kamen ins KZ Theresiens­tadt und wurden im KZ Auschwitz ermordet. Kaufmann gelang 1939 mit einem Kindertran­sport die Flucht aus dem Deutschen Reich.

Info: Walter Kaufmann: Die meine Wege kreuzten. Quintus-Verlag. 168 Seiten. 18 Euro.

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FOTO: REBECCA KAUFMANN Walter Kaufmann schildert Schlüsselm­omente aus seiner bewegten Lebensgesc­hichte.

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