Rheinische Post Duisburg

Pfaffs Hof

- Von Hildtrud Leenders

Mama!“Mutter stand in der Waschküche und weichte Bettzeug ein. „Wie viel Uhr ist es?“„Halb vier“, antwortete sie. „Und du sollst nicht ,Mama’ zu mir sagen!“Sie hörte sich nicht streng an, nur müde.

„Ja, ich weiß, ,Mama’ sagen nur Katholiken.“

Das hatte sie mir schon hundertmal erklärt.

„Und Katholiken sind böse“, sagte ich.

Sie schaute erschrocke­n hoch. „Das habe ich nicht gesagt!“

Ich war still, irgendetwa­s verstand ich nicht, vielleicht war ich noch zu klein.

Vater war früher auch katholisch gewesen, war aber Mutter zuliebe evangelisc­h geworden. „Einen Katholiken hätte ich im Leben nicht geheiratet!“

Er war sogar ein halbes Jahr lang bei einem Pastor in den Unterricht gegangen, um alles über das Evangelisc­he zu lernen.

Wenn Mutter sich über Vater ärgerte, sagte sie oft: „Da kommt der Katholik wieder durch.“

Also waren Katholiken wohl nicht so gut.

Aber fast alle Menschen in unserer Gegend waren katholisch, und sie konnten doch nicht alle böse sein.

„Katholiken sind einfach anders“, beschied Mutter jetzt.

Ich sagte immer noch nichts. Dass nur Katholiken „Mama“sagten, konnte auch nicht stimmen, denn im Dorf hatten alle Kinder „Mama“und „Papa“zu ihren Eltern gesagt, und dort waren alle evangelisc­h.

Das Dorf war ja extra für die Evangelisc­hen gebaut worden, das hatte ich in Heimatkund­e gelernt:

Die Vertrieben­en aus den Ostgebiete­n hatten neuen Lebensraum im Westen gebraucht, und da hat- te man den Reichswald gerodet und zwei neue Dörfer gebaut, ein evangelisc­hes und ein katholisch­es, damit man jeweils nur eine Kirche und eine Schule bauen musste. Und die Menschen aus Schlesien, Pommern, Siebenbürg­en und Ostpreußen bekamen ein neues Leben als Gärtner oder Bauern.

„Aus Not und Tod zu Heim und Brot“stand draußen an der Wand vom Gasthof.

Die Kinder aus meiner Klasse sprachen alle wie ich, aber bei ihren Eltern und besonders bei ihren Großeltern konnte man hören, dass sie aus dem Osten kamen. Die hatten sich auch ihre Traditione­n bewahrt, bei Lieder- und Volkstanza­benden, wo sie alle bunte Trachten trugen.

Wir wohnten damals am Dorfrand, eigentlich schon ein paar Meter hinter der Grenze. Vater hatte das Grundstück nur bekommen, weil er mitgeholfe­n hatte, den Reichswald zu roden.

Dabei war auch sein Daumen verlorenge­gangen. Er hatte an der Kreissäge gestanden, und alles musste schnell, schnell gehen. Und weil es so bitterkalt war, merkte er erst gar nicht, dass er sich seinen Daumen abgesägt hatte.

Sie fanden ihn dann zwischen all den Sägespänen, er steckte noch im Handschuh, aber man konnte ihn nicht wieder annähen.

Deshalb hatte Vater jetzt an der linken Hand nur einen Stumpf, und es sah mühselig aus, wenn er seine Manschette­nknöpfe zumachte, aber keiner durfte ihm helfen.

Die Kinder aus meiner Klasse haben jedenfalls alle „Mama“und „Papa“gesagt, das wusste ich ganz sicher. Die Einzige, die ich hier kannte, die auch „Mutti“und „Vati“zu ihren Eltern sagen sollte, war Barbara, und die war katholisch.

(Fortsetzun­g folgt)

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