Der Sound der Stromer
Elektroautos sind leise. Das macht sie gefährlich für Fußgänger. Deshalb wurde den elektrischen Flüsterern künstlicher Lärm verordnet. Dafür gibt es Fachleute, die den Autos ihren Klang geben.
Ab Juli 2019 müssen alle neuen Elektroautos und Hybridfahrzeuge auch in der Europäischen Union EU mit einem akustischen Warnsystem ausgestattet sein. In den USA ist das schon Pflicht. Die amerikanische Verkehrsbehörde hatte Verkehrsunfälle ausgewertet und festgestellt, dass Hybridfahrzeuge bei langsamer elektrischer Fahrt in doppelt so viele Unfälle mit Fußgängern verwickelt waren wie Autos mit Verbrennungsmotoren. Deshalb müssen Autos im Elektrobetrieb künstlich erzeugte Geräusche von sich geben. In den USA liegt die Grenze bei unter 30 km/h, in Europa bei unter 20 km/h. Bei schnellerer Fahrt reicht das Rollgeräusch der Reifen auf der Fahrbahn. Ein Klangbeispiel für den Sound gibt es auf der Internetseite der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen.
Die gesetzlichen Vorgaben der EU darüber, wie der Warnton klingen soll, lassen den Herstellern viel Spielraum. Musikstücke dürfen nicht abgespielt werden, das würde auch keinen Sinn machen. „Der Klang soll ähnlich einem Verbrennungsmotor sein“, sagt Professor Hugo Fastl, Professor für Akustik an der Technischen Universität München. Er betreibt Grundlagenforschung zum künstlichen Sound an Elektrofahrzeugen. „Den Betriebszustand soll der Fußgänger am Geräusch erkennen“, so Fastl. Wenn ein konventionelles Auto losfährt und beschleunigt, wird der Ton höher. Das soll auch beim Warnton der Fall sein. Allerdings wird es keinen Einheitston geben, sondern produktspezifische Klänge. „Die Hersteller werden sich im Klang unterscheiden“, kündigt der Professor an. Der Ton macht den Unterschied zum Wettbewerb. Technisch ist die Lösung einfach: der Ton wird auf einem Computer im Auto gespeichert, bei einer Geschwindigkeit unter 30 km/h aktiviert und von einem Lautsprecher nach Außen abgestrahlt.
Die EU hat einen Mindestpegel für die Lautstärke vorgegeben. „Das ist ungefähr so laut, wie das, was nach außen dringt, wenn man im Auto bei geschlossenen Fenstern laut Musik hört“, sagt Renzo Vitale. Das sei laut genug, dass Fußgänger aufmerksam werden, aber leiser als ein Verbrennungsmotor. Vitale ist verantwortlicher Sounddesigner bei BMW in München.
Jeder Sound besteht aus unterschiedlichen Frequenzen. Frequenz ist die Anzahl von Schwingungen pro Sekunde. „Einen Klang kann man sich wie ein Bild, bestehend aus mehreren Farben vorstellen“, erklärt Vitale. Im Sounddesign werden passende Töne kombiniert. BMW kopiert nicht einfach den Sound von Verbrennern und spielt ihn in Stromern ab. „Der Klang ist etwas ganz Neues und steht für den Paradigmenwechsel der Antriebstechnologien.“Kollegen, denen Vitale den Sound vorspielte, hatten keine Assoziati- on mit vergleichbaren Klängen.
Hören darf man den Klang noch nicht, man kann ihn aber erklären. Bei BMW wird es künftig einen Marken-Grundsound und Derivate davon für unterschiedliche Modelle geben. Der Grundton fürs elektrische Fahren ist in allen Model- len identisch. Dieser wird für unterschiedliche Fahrzeuge mit passenden Tönen kombiniert. Vitale hat zunächst Gene der Marke definiert: visionär, elegant, dynamisch. Und die in Wortpaaren mit Modellen kombiniert. Beim i8 kam es so zum visionär progressiven Sound. Der drückt die sportlichen Gene dieses Autos in hohen Tönen aus.
Für Professor Fastl macht das EU-Gesetz derzeit Sinn, später nicht mehr, weil nach seiner Ansicht in wenigen Jahren autonome Autos zuverlässig funktionieren, sie Gefahren selbst erkennen und darauf reagieren. „Dann sollten die Systeme nur wenn nötig warnen und nicht permanent Schall aussenden, wie es vorgeschrieben ist.“