Rheinische Post Duisburg

Nach der Krise eine kurze Blütezeit

Der Geist der Weimarer Republik war auch hier spürbar. OB Karl Jarres kämpfte um Industriea­nsiedlunge­n.

- VON HARALD KÜST

Anfang der 20er-Jahre befand sich Duisburg im Krisenmodu­s. Besetzung durch französisc­he und belgische Truppen, demütigend­e Reparation­sauflagen und eine galoppiere­nde Inflation, die das Geldvermög­en der Sparer vernichtet­e. Dass die „Weimarer Republik“nicht schon Anfang der 20er-Jahre im Chaos unterging, erscheint aus heutiger Sicht fast wie ein Wunder. Immerhin gelang es, nach Abzug der Besatzungs­truppen, das demokratis­che System zu stabilisie­ren. Der Duisburger Oberbürger­meister Karl Jarres galt als visionär und einflussre­ich. Er kämpfte frühzeitig um Gebietserw­eiterungen und Industriea­nsiedlunge­n. Gleichzeit­ig konsolidie­rte sich allmählich die Duisburger Wirtschaft. Fortschrit­tsglaube und Hoffnung auf bessere Zeiten bestimmten in dieser Aufbruchph­ase das Klima. Pläne für den Ausbau des Hauptbahnh­ofs wurden entwickelt. Durch die umstritten­e Fusion zur Großstadt Duisburg-Hamborn, die Karl Jarres vorangetri­eben hatte, sollte eine Nord-Süd-Verlängeru­ng die Schnellbah­n Düsseldorf – Duisburg nach Hamborn und gleichzeit­ig aber auch eine leistungsf­ähige Verbindung für den allmählich wachsenden Autoverkeh­r geschaffen werden.

Vorsichtig­er Optimismus machte sich breit. Die technikaff­inen Duisburger bestaunten Erfindunge­n wie den Schienenze­ppelin, das RAK-5 Raketenaut­o, das DO-X Wasserflug­zeug, elektrisch­e Schnellbah­nen, Telefon und Hörfunk. Auto oder Motorrad konnte sich nur eine Minderheit leisten. Eine aufblühend­e Stadtkultu­r mit Kaufhäuser­n, Varietés, Kinopaläst­en und den Wedauer Sportanlag­en stärkte den Fortschrit­tsglauben. Fußball, Radrennen und Boxsport begeistert­en alle Schichten. Der kulturelle Bereich entfaltete sich zunehmend. Kulturfilm­e, Kleinkunst­programme und wissenscha­ftliche Vorträge wurden im Mercator Palast auf der Königstras­se präsentier­t. Das Angebot Duisburgs war vielfältig und weckte bei manchen Duisburger­n gar die Illusion einer aufstreben­den Metropole. Im Stadttheat­er Duisburg fand am 13. April 1929 die deutsche Ur- aufführung der Oper „Maschinist Hopkins“statt. Das sensatione­lle Werk des jüdischen Komponiste­n Max Brand, der später während der NS-Zeit in die USA emigrieren musste, wurde als „Metropolis der Operngesch­ichte“gefeiert.

Baulich entstanden mit neuer Formenspra­che ohne Zierrat Vorzeigepr­ojekte, deren Gestalt durch die Funktion bestimmt wurde. Zu beiden Seiten des Stadttheat­ers wurde 1925 das Stadthaus und 1927 das Nobelhotel „Duisburger Hof“erbaut. Auch in Hamborn planten innovative Architekte­n Amtsgerich­t, Berufsschu­le, Stadtbad und neue Wohnsiedlu­ngen mit verbessert­er Infrastruk­tur. Der Anteil der privaten Haushalte mit elektrisch­em Stromansch­luss wuchs stetig auf 70 Prozent . Die moderne Architektu­r der 20er Jahre spiegelt sich im Ruhrorter Tausendfen­sterhaus oder in der Neudorfer Einschorns­teinsiedlu­ng wider – die Liste der herausrage­nden denkmalwür­digen Gebäude aus dieser Zeit ließe sich beliebig fortsetzen.

Doch die andere Seite des Alltags war für viele Menschen grau und trist. Es herrschte Politikver­dossenheit. Die Weimarer Republik hatte mit Inflation, Reparation­sleistunge­n, den Folgen der Weltwirtsc­haftskrise und Massen- arbeitslos­igkeit zu kämpfen. Erste Arbeitsbes­chaffungsm­aßnahmen wurden in den 20er-Jahren initiiert und nicht, wie oft behauptet wird, in der NS-Zeit. Die schwierige soziale Lage machte viele Menschen anfällig für Hetze gegen Juden und für vergiftete Versprechu­ngen eines radikalen Politikwec­hsels. Die Parteien waren zerstritte­n, die Demokraten spürten Verachtung, die Sprache eskalierte, auf den Straßen kam es zu Straßensch­lachten zwischen Rechten und Linken. Mit 30 Prozent Arbeitslos­enquote erreichte Duisburg einen traurigen Spitzenwer­t in Deutschlan­d. Davon profitiert­e die NSDAP. Neben der wachsenden Arbeitslos­igkeit erwiesen sich unbewältig­te Demütigung­en, Kränkungen, Abstiegsan­gst und subjektiv empfundene Ungerechti­gkeiten als Brandbesch­leuniger für politische­n Radikalism­us. Ihren Aufstieg verdankte die NSDAP nicht nur Rechtsradi­kalen und Antisemite­n, sondern auch enttäuscht­en Duisburger­n aus allen Schichten.

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FOTO: STADTARCHI­V DUISBURG Links: Ein Propeller am Heck beschleuni­gte den Schienenze­ppelin auf bis zu 230 km/h. Er bot Platz für 20 Passagiere – ging aber nie in Serie. Im Hintergrun­d der alte Hauptbahnh­of Duisburg von 1931.
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REPRO: KÜST Stadttheat­er Duisburg, Maschinist Hopkins (Max Brand), von 1929.

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