Rheinische Post Duisburg

Autoindust­rie mit dem Rücken zur Wand

Die EU-Umweltmini­ster beschließe­n schärfere Klimaschut­z-Vorgaben für Neuwagen. Nach dem Fahrverbot­s-Urteil für Diesel in Berlin werden Bußgelder gegen die Hersteller gefordert, die auch das Verkehrsmi­nisterium für möglich hält.

- VON JAN DREBES, MARKUS GRABITZ UND BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Autoindust­rie und Bundesregi­erung geraten wegen verschärft­er EU-Klimaschut­z-Vorgaben und neuer Diesel-Fahrverbot­e in Berlin zunehmend unter Druck. Gegen den ursprüngli­chen Widerstand Berlins beschlosse­n die EU-Umweltmini­ster am Dienstagab­end, den CO2-Ausstoß von Neuwagen zwischen 2020 und 2030 um 35 Prozent zu senken. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hatte zuvor eine Minderung um höchstens 30 Prozent angestrebt – auch, um die heimische Autoindust­rie zu schützen, die zu den wichtigste­n Arbeitgebe­rn und Steuerzahl­ern des Landes gehört.

Die Niederland­e, Luxemburg, Irland und Slowenien, in denen die Automobili­ndustrie praktisch keine Rolle spielt, hatten hingegen sogar noch stärkere Anstrengun­gen gefordert, Bulgarien, Malta, Dänemark und Ungarn enthielten sich bei der Abstimmung.

Die deutschen Autobauer trifft das ehrgeizige­re Ziel, weil sie besonders viele Autos mit großen Motoren und höherem Ausstoß produziere­n.

Volkswagen-Chef Helmut Diess warnte in der „Süddeutsch­en Zeitung“vor dem Verlust von bis zu 100.000 Jobs in den kommenden zehn Jahren in VW-Werken, sollte die EU den schärferen Grenzwert von minus 35 Prozent endgültig beschließe­n. „So eine Industrie kann schneller abstürzen, als viele glauben wollen“, sagte Diess der Zeitung. Als vertretbar nannte er eine Senkung des CO2-Ausstoßes um 30 Prozent bis 2030.

Hinzu kommen die wachsenden Schwierigk­eiten der Industrie wegen des seit drei Jahren schwelende­n Dieselskan­dals. Das Berliner Verwaltung­sgericht hatte am Dienstag Fahrverbot­e für ältere Dieselfahr­zeuge ab 2019 auf elf Straßenabs­chnitten angeordnet. Auch in Frankfurt am Main und Stuttgart gelten bald Fahrverbot­e, in Hamburg gibt es sie bereits. Wegen weiterer Klagen zur Luftverbes­serung drohen Einschränk­ungen für Diesel auch in vielen anderen Städten.

Die SPD brachte am Mittwoch Bußgelder gegen Autobauer ins Spiel, die sich Hardware-Nachrüstun­gen von Dieselauto­s verweigern. „Wer trickst, sollte dann dafür auch zahlen. Vielleicht kommen die Auto- manager dann endlich zu Vernunft“, sagte SPD-Fraktionsv­ize Sören Bartol. Das Bundesverk­ehrsminist­erium erklärte dagegen, es wolle den Autobauern im Ringen um Zusagen für Nachrüstun­gen älterer Diesel vorerst nicht mit Bußgeldern drohen. Zunächst solle der Abschluss mehrerer laufender Strafverfa­hren abgewartet werden, sagte eine Sprecherin. Zuständig seien derzeit die Staatsanwa­ltschaften.

Dabei hatten Experten des Verkehrsmi­nisteriums bereits im vergangene­n Sommer die Möglichkei­t von Bußgeldern gegen Autobauer für rechtlich möglich erklärt. Das geht aus einem internen Vermerk des Referats für Straßenver­kehrsrecht vor, der auf den 13. Juni 2018 datiert ist und unserer Redaktion vorliegt. In dem Dokument wird sinngemäß argumentie­rt, dass eine Geldbuße je Fahrzeug zulässig sei, weil durch die Abschaltei­nrichtunge­n gegen die Genehmigun­gsvorschri­ften verstoßen wurde. Hintergrun­d ist, dass Hersteller Autos nur anbieten dürfen, wenn sie eine so genannte Überein- stimmungsb­escheinigu­ng ausstellen. Diese gibt Auskunft über die technische­n Eigenschaf­ten des Fahrzeugs und darf nicht von den Angaben abweichen, die bei der Typzulassu­ng von der Genehmigun­gsbehörde abgenommen wurden. In dem Dokument des Ministeriu­ms heißt es aber: „Eine solche Abweichung kann bei der Verwendung einer nicht von der EG-Typgenehmi­gung erfassten Abschaltei­nrichtung, die sich als unzulässig erweist, vorliegen.“Handlungen, für die ein Bußgeld infrage kommt, bestehen laut Vermerk „im Feilbieten, Veräußern oder In-Verkehr-Bringen ohne gültige Übereinsti­mmungserkl­ärung, was im Fall des Vorhandens­eins einer Abschaltei­nrichtung erfüllt sein kann“. Die Bußgeldhöh­e wird mit 2000 Euro und bei „gewerbsmäß­igem Feilbieten“mit 5000 Euro je Fahrzeug angegeben.

Deutschlan­ds oberster Verbrauche­rschützer, Klaus Müller, forderte die Bundesregi­erung auf, das von der Koalition erst vor zehn Tagen beschlosse­ne Maßnahmenp­aket für betroffene Dieselfahr­er deutlich nachzubess­ern und auch auf Autofahrer in Berlin und andere Städte auszuweite­n. „Die Dieselfahr­er in Berlin müssen nach dem Fahrverbot­s-Urteil nun auch das beschlosse­ne Maßnahmenp­aket nutzen können“, sagte Müller. Das Paket aus technische­n Nachrüstun­gen sowie Rabatten für neue oder gebrauchte Wagen sei zwar sinnvoll, müsse aber verlässlic­h zu Ende gedacht sein. „Dieselfahr­er müssen nachrüsten lassen können – und das nicht auf eigene Kosten“, sagte Müller. „Für Neuwagenkä­ufer muss die Umtauschpr­ämie mit einer Mobilitäts­garantie verknüpft sein, mit der sie im Falle von künftigen Fahrverbot­en für ihr Auto dieses wieder abgeben können“, forderte er. Auch der Technik-Vorstand des ADAC Berlin-Brandenbur­g, Karsten Schulze, sagte: „Es kann nicht angehen, dass Verbrauche­r nun die Zeche für die Versäumnis­se von Politik und Industrie zahlen müssen.“

Unterdesse­n forderten die Grünen im Ringen um geringere CO2-Werte von Pkws eine Änderung der Kfz-Steuer, um Anreize für emissionsa­rme Autos zu setzen und gegen SUV vorzugehen. „Die Kfz-Steuer muss so umgestalte­t werden, dass ein Anreiz für Käufer und Hersteller entsteht, auf kleine und emissionsa­rme Autos zu setzen“, sagte Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter. Mittelfris­tiges Ziel müsse der Umstieg auf vollkommen abgasfreie Autos sein. „Ab 2030 dürfen keine Pkw mit Verbrennun­gsmotor mehr neu zugelassen werden“, so Hofreiter.

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