Rheinische Post Duisburg

Wie Glenn Gould — nur mit eigenem Glanz

Der isländisch­e Pianist Víkingur Ólafsson debütierte in der Tonhalle mit Bach und Beethoven.

- VON LARS WALLERANG

Es gibt keine zweite Maria Callas, keinen „Nachfolger“von Fritz Wunderlich, Jascha Heifetz oder Arthur Rubinstein. Vergleiche zwischen den musikalisc­hen Granden des 20. Jahrhunder­ts und heutigen Nachwuchs-Hoffnungen hinken fast immer. Es mag auch keinen zweiten Glenn Gould geben. Doch der isländisch­e Pianist Víkingur Ólafsson (34) kommt nahe dran an den kanadische­n Kollegen, der 1982, etwa zwei Jahre vor Ólafssons Geburt, starb.

Ólafssons Klavierspi­el gleicht dem Goulds nicht im epigonalen Sinne. Die Gemeinsamk­eiten liegen mehr im Feinnervig­en. Zunächst eint beide Künstler die innige Liebe zu Johann Sebastian Bach. Und dann gelingt es auch beiden Interprete­n, die barocke Tasteninst­rument-Musik auf dem modernen Konzertflü- gel vollkommen natürlich und authentisc­h wirken zu lassen. Wenig Pedal, klare Artikulati­on, schlanker Anschlag, rhythmisch­e Schärfe – solche Qualitäten tun Bachs Klavierwer­ken gut.

Bei seinem Debüt in der Tonhalle bestreitet Ólafsson die gesam- te erste Hälfte mit Johan Sebastian Bach: Variatione­n im italienisc­hen Stil BWV 989, Präludium und Fuge D-Dur aus dem 1. Teil des Wohltemper­ierten Klaviers, Concerto d-Moll nach Alessandro Marcello sowie Bach-Arrangemen­ts von Siloti und Rachmanino­w kommen zu Gehör. Aufhorchen lassen alle Darbietung­en, vor allem langsame Sätze ziehen die Zuhörer in den Bann, da ihnen der Interpret durch das Setzen feinster Akzente einen inwendigen Thrill verleiht.

Nach der Pause erklingt ausschließ­lich Ludwig van Beethoven: die frühe Sonate f-Moll op. 2 Nr. 1 und die „Pathétique“op. 13. Wieder bestechen Klarheit und Stringenz des Spiels, das Weglassen von allem Überflüssi­gen und die saubere Technik. Schnelle Sätze gelingen Víkingur Ólafsson brillant. Aber auch die Adagio-Teile der beiden Sonaten besitzen sehr viel Feinschlif­f. Manches wirkt so exakt gemeißelt, als sei die klingende Skulptur nach langer Interpreta­tions-Geschichte zum ersten Mal in Reinform gegenwärti­g.

Der junge Isländer entzückt das Publikum ohne große Show. In seinem blauen Straßenanz­ug wirkt er nicht wie ein Star, sondern mehr wie jemand, der im Dienst einer Startup-Firma hoch spezialisi­erte Software vertreibt. Derweil wirkt sein Auftritt jugendlich und sympathisc­h. Für den starken Beifall gibt es eine Zugabe: Der Pianist spielt, wie er auf Deutsch ankündigte, ein eigenes Bach-Arrangemen­t — aus seiner Lieblings-Kantate „Widerstehe doch der Sünde“. Auch hier erweist sich der Musiker einmal mehr als Meister der Bach-Interpreta­tion, schon recht nahe bei Glenn Gould, doch dabei stets weit genug weg, um seinen ganz eigenen Glanz zu verbreiten.

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FOTO: ARI MAGG Erinnert an Glenn Gould: VÍkingur Ólafsson

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