Toter Syrer – Minister in Erklärungsnot
Die Opposition in NRW wirft Justizminister Biesenbach Falschaussagen vor. Ein Bericht legt nahe, dass Amed A. hätte gerettet werden können.
KLEVE/DÜSSELDORF In dem Fall des zu Unrecht in der JVA Kleve inhaftierten Syrers Amed A. gerät NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) verstärkt unter Druck. Die Opposition im Landtag wirft ihm vor, Falschaussagen gemacht und das Parlament wahrheitswidrig unterrichtet zu haben. Sowohl die Grünen-Fraktionsvorsitzende Monika Düker als auch SPD-Fraktionsvize Sven Wolf forderten den Justizminister am Freitag auf, sein Amt niederzulegen. Ein Sprecher des Ministeriums wies die Forderungen am Nachmittag zurück.
Aus einem bislang nicht öffentlichen Bericht des Justizministeriums an den Rechtsausschuss geht hervor, dass A. am Abend des Brandes in seiner Zelle in der JVA Kleve die Gegensprechanlage betätigt hat. Noch am 10. Oktober sagte Biesenbach: „Der Gefangene hat die Rufanlage jedenfalls nicht betätigt.“Dabei berief er sich laut Ministerium auf Informationen der Justizvollzugsanstalt. Der Bericht, den das Justizministerium am Freitagnachmittag an die Presse verteilte, enthält Ermittlungserkenntnisse der Staatsanwaltschaft Kleve, die der Darstellung der JVA und des Ministers widersprechen.
Amed A., 26 Jahre alter Flüchtling aus Syrien, saß aufgrund einer Verwechslung der Polizei Kleve mehr als zwei Monate unberechtigt in Haft. Am 17. September brach aus noch immer ungeklärten Umständen in seiner Zelle ein Feuer aus, an dessen Folgen Amed A. am 29. September in einer Klinik verstarb. Die Polizei in Hamburg hatte mittels Haftbefehl einen Schwarzafrikaner aus Mali gesucht, der verschiedene Tarnnamen benutzte – darunter auch „Amed A.“. Die Behörde in Kleve hielt den Syrer für den Gesuchten, führte aber keine Identitätskontrolle durch. Ein Fotoabgleich hätte die Verwechslung beendet. Die Staatsanwaltschaft Kleve ermittelt deswegen gegen sechs Polizisten wegen Freiheitsberaubung.
Der dreiseitige Bericht des Justizministeriums enthält brisante, bislang unbekannte Details zu dem Fall. „Entgegen bisheriger Annahme wurde am Brandtag gegen 19.19 Uhr die Gegensprechanla- ge in dem Haftraum 143 betätigt“, heißt es darin. Um 19.22 Uhr riefen Angestellte der JVA Kleve die Feuerwehr. Was in diesen drei Minuten geschah, ist nun Gegenstand von Ermittlungen. „Ob und wann das durch die Gegensprechanlage ausgelöste Lichtsignal deaktiviert wurde“, wie es in dem Bericht heißt, erforsche nun die Staatsanwaltschaft Kleve. Demnach hätte A. möglicherweise früher aus dem Feuer gerettet werden können. Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit nicht gegen Mitarbeiter der JVA – bis auf einen Anstaltsarzt.
Der Bericht weist auf einen Widerspruch in A.s Akten hin. In der Gefangenenakte finden sich keine Hinweise auf eine psychische Erkrankung, in der Gesundheitsakte offenbar schon. Es hätten sich darin Informationen befunden, die „pflichtwidrig nicht zur Kenntnis gebracht worden sein könnten“, heißt es in dem Schreiben. Wäre A. als suizidgefährdet eingestuft worden, hätte die JVA andere Sicherheitsmaßnahmen vornehmen müssen. Die Staatsanwaltschaft ging bislang von einem Suizidversuch A.s aus.
Peter Biesenbach, der am Freitag im Bundesrat in Berlin auftrat, ließ einen Sprecher seines Ministeriums erklären, immer wahrheitsgemäße Angaben gemacht zu haben: „Das Ministerium tut alles zur Aufklärung.“Die Opposition zweifelt an Biesenbachs Glaubwürdigkeit und brachte einen Untersuchungsausschuss ins Gespräch.
Leitartikel