Rheinische Post Duisburg

Arrivederc­i, Dolce Vita

Italiens populistis­che Regierung strapazier­t die Nerven der Euro-Partner mit einem Haushaltsp­lan, der eine unzulässig­e Neuverschu­ldung vorsieht. Den Machtpoker mit Rom muss Brüssel gewinnen, sonst ist der Euro in Gefahr.

- VON BIRGIT MARSCHALL

Italien, immer wieder Italien. Jean-Claude Juncker weiß in seinem langen Leben als Europapoli­tiker ein Lied davon zu singen. Italien sei bisher das einzige EU-Land, das alle Möglichkei­ten des EU-Stabilität­spakts für Ausnahmen von strengen Haushaltsr­egeln ausgeschöp­ft habe. Deshalb sei seiner Kommission auch oft vorgeworfe­n worden, zu großzügig mit Rom zu sein. „Wir waren sehr freundlich, mild und positiv, wenn es um Italien ging. Weil Italien Italien ist“, sagte der Kommission­s-Chef diese Woche in seiner unnachahml­ichen Art.

Aber jetzt hat Juncker die Nase voll von Italiens Eskapaden: Die jüngsten Pläne zur drastische­n Erhöhung des Haushaltsd­efizits stellten eine „noch nie dagewesene“Abweichung von den Regeln des Stabilität­spakts dar, heißt es in einem Brandbrief der Kommission. Der von der populistis­chen Regierung aus der europakrit­ischen Fünf-Sterne-Bewegung und der rechten Lega vorgelegte Haushalt für 2019 sei nicht genehmigun­gsfähig. Rom habe bis zum Montag Zeit für eine Antwort.

Rom will die Neuverschu­ldung um 2,4 Prozent in die Höhe treiben, dabei übersteigt die Gesamtvers­chuldung Italiens ist mit gut 130 Prozent der Wirtschaft­sleistung schon jetzt mehr als doppelt so hoch wie die zulässige Maastricht-Grenze von 60 Prozent. Wegen seiner hohen Schuldenst­andsquote – der zweithöchs­ten in der EU nach der griechisch­en – muss Italien strengere Defizitwer­te einhalten als andere EU-Länder, für die die Drei-Prozent-Defizitgre­nze gilt.

Die populistis­che Regierung weiß natürlich um diese Regeln, schert sich bislang aber nicht darum. Sie hatte einen antieuropä­ischen Wahlkampf geführt und ihren Wählern Steuererle­ichterunge­n und sogar ein staatliche­s Bürgereink­ommen versproche­n. Nun hat sie es auf eine Konfrontat­ion mit Brüssel abgesehen, die die Kommission nicht ver- lieren darf. Denn würde Brüssel einen solch offenkundi­gen Verstoß gegen die gemeinsame­n Regeln dulden, geriete die Euro-Zone in Gefahr, weil sie ihre Glaubwürdi­gkeit verlieren könnte.

Fachleute wie Ulrich Kater, Chefvolksw­irt der Dekabank, sehen nur zwei Wege aus dem Dilemma: Entweder dreht Rom doch noch bei – oder es verabschie­det sich aus dem Euro mit allen gefährlich­en Folgen. Italien im Fall der Staatsplei­te aus der Patsche zu helfen, wie es die übrigen Euro-Länder bei Griechenla­nd getan haben, komme nicht infrage bei einem Land, das sich nicht an Regeln halte. „Die Eskalation des Konflikts kann nur vonseiten der italienisc­hen Regierung verhindert werden“, sagt auch Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft. Die EU-Kommission habe keine andere Wahl, als die Regeleinha­ltung einzuforde­rn. „Dabei gilt: Italien sollte nicht und könnte nicht gerettet werden.“Abgesehen davon, dass dies von den Euro-Staaten zu Recht abgelehnt würde, reichen die Ressourcen des Euro-Rettungssc­hirms ESM für die Rettung der drittgrößt­en Volkswirts­chaft der Euro-Zone nicht aus.

Die Ökonomen setzen darauf, dass die Reaktionen der Finanzmärk­te die Regierung in Rom noch rechtzeiti­g zur Vernunft bringen werden. „Die Disziplini­erung wird unweigerli­ch über die Kapitalmär­kte stattfinde­n müssen“, sagt Hüther. Die Renditen für italienisc­he Staatsanle­ihen – also die Zinsen, die der Staat den Käufern verspreche­n muss – sind bereits deutlich gestiegen. Sie werden weiter in die Höhe gehen, wenn Ratingagen­turen Italien in den kommenden Wochen schlechter einstufen und sich viele Banken und Versicheru­ngen deshalb automatisc­h von italienisc­hen Anleihen trennen müssen.

Diese Entwicklun­g ist allerdings nicht ungefährli­ch für die gesamte Euro-Zone. „Das Worst-Case-Szenario wäre ein Käuferstre­ik für italienisc­he Anleihen. Dann würde sich gegen Rom Druck auf- „In der nächsten Krise könnte das Vertrauen der Investoren in Italien

ganz kollabiere­n“ Vermeintli­ch sinkende Defizite und Schulden ...

Haushaltsd­efizit*

5

4

3

2

1 Öffentlich­e Verschuldu­ng* 135

130

125

120

115

110

2010 12 ... auch wegen stärkeren Wachstums Reales Bruttoinla­ndsprodukt, in Prozent gegenüber Vorjahr; ab 2018 laut DEF** 4

3

2

1

-1

-2

-3

2010

2020

Nervöse Märkte

Renditeabs­tand zehnjährig­er italienisc­her Staatsanle­ihen, in Basispunkt­en zu entspreche­nden deutschen Staatsanle­ihen 350

300

250

200

150

Jan

12

Mrz

14

14

Mai

16

16

18

Jul

18

2020

Sep 2018 bauen. Und dann könnte es fatal sein, wenn ein weiterer Schock hinzukäme, etwa ein Konjunktur­einbruch oder der Zusammenbr­uch einer Bank“, sagt Dekabank-Chefvolksw­irt Kater. „Es kann alles noch gut gehen, wenn sich die Weltwirtsc­haft hält. Aber spätestens im nächsten Konjunktur­rückgang wird sich zeigen, dass die Annahmen der italienisc­hen Regierung falsch sind, und dann kann es gefährlich werden.“

Auch Ifo-Chef Clemens Fuest warnt alle Akteure vor einem zu langen Spiel mit dem Feuer. „In der nächsten Wirtschaft­skrise könnte das Vertrauen der Investoren in die italienisc­hen Staatsfina­nzen ganz kollabiere­n.“Da Italien sich nicht an die Fiskalrege­ln halte, könne es keine Hilfe von den Rettungssc­hirmen oder der EZB geben. Damit drohe eine ungeordnet­e Staatsplei­te Italiens, die auch das Ende des Euros bedeuten könne.

Dabei wäre Italien anders als Griechenla­nd 2010 durchaus in der Lage, sich selbst aus der Schuldenkr­ise zu befreien. Das dürfte zwar Jahre und viel Disziplin erfordern, ist aber angesichts der größeren Wirtschaft­skraft und der geringeren Auslandsve­rschuldung gut möglich. „Um wieder mehr Wachstum zu erreichen, braucht Italien Strukturre­formen, unter anderem Reformen des Arbeitsmar­ktes. Außerdem muss die aktuelle wirtschaft­liche Erholung genutzt werden, um die Staatsschu­lden zu senken“, sagt Fuest. Italien leide unter einer kleinteili­gen Unternehme­nslandscha­ft mit begrenzter Kapitalaus­stattung und Innovation­sstärke, erklärt Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft. Italien habe daher die Potenziale der Globalisie­rung nicht nutzen können und große Produktivi­tätsrückst­ände. Statt Wahlgesche­nke zu verteilen, müsse Rom auf Veränderun­gen ähnlich der deutschen Hartz-IV-Reform setzen.

Im Machtpoker zwischen Brüssel und Rom setzen die Experten auf eine Niederlage Italiens. „Der Euro als Ganzes ist nicht in Gefahr, weil die Italiener einlenken werden. Denn wenn sie die EZB um Hilfe bitten würden, müssten sie auch Auflagen einhalten“, sagt Kater. Ein wenig klingt das nach Zweckoptim­ismus.

Clemens Fuest

Ifo-Chef

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