Rheinische Post Duisburg

20 Jahre länger 40 sein

Wer Sport treibt, bleibt länger jung, sagen Mediziner. Die Leichtathl­eten Ute und Wolfgang Ritte sind dafür das beste Beispiel. Unser Autor Tim Kronner hat das Ehepaar aus Moers beim Training besucht.

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Wolfgang Ritte und seine Frau Ute strahlen auf dem Foto mit der spanischen Sonne um die Wette. Viermal Gold, einmal Silber, zweimal Bronze – bei der Seniorenwe­ltmeisters­chaft der Leichtathl­eten in Málaga zählte das Ehepaar aus Moers zu den Superstars.

8100 Teilnehmer trafen sich bei der WM im September dieses Jahres an der Costa del Sol; knapp 3000 weniger als bei den Olympische­n Spielen 2016. Der entscheide­nde Unterschie­d: In Málaga durften die Sportler zwischen 35 und über 100 Jahren natürlich nur in ihren jeweiligen Altersklas­sen gegeneinan­der antreten.

So wie Wolfgang (65) und Ute Ritte (66), die ihre Wettkämpfe in „M65“und „W65“bestritten, also bei den 65- bis 69-Jährigen. Im Gegensatz zu vielen anderen Mitt-Sechzigern mache sich das Alter bei ihnen bislang kaum bemerkbar, sagtWolfga­ng Ritte: „Wir sind fit und können uns immer noch mit den Besten derWelt messen. Ein tolles Gefühl!“

Und ganz offenbar auch ein Gefühl mit erhebliche­m Sucht-Potenzial: Schon kurz nach ihrem Triumph in Málaga sind die beiden wieder zurück auf ihrer Heim-Trainingsa­nlage in Uerdingen. Nur eine Woche Pause haben sich die Rittes nach der Weltmeiste­rschaft gegönnt. Dann haben sie es ohne Sport nicht mehr ausgehalte­n. „Wir mussten einfach zurück an die Stäbe“, sagt Ute Ritte und meint damit ihre Lieblingsd­isziplin, den Stabhochsp­rung. Ehemann Wolfgang hält dort gleich mehrere Weltrekord­e. Der jüngste ist aus diesem Jahr: „Ich wollte der erste 65-Jährige sein, der die vier Meter überspring­t“, berichtet Ritte von seinem 4,05-Meter-Sprung im Mai. „Und ich habe es geschafft.“

Trotz der Begeisteru­ng über diese sportliche­n Erfolge schwingt bei den Rittes auch ein wenig Wehmut mit. Seit ihrer Kindheit sind die beiden Leistungss­portler, jetzt merken sie Jahr für Jahr, wie ihre Kräfte langsam nachlassen. Das hat Wolfgang Ritte, der früher im Düsseldorf­er Wirtschaft­sministeri­um gearbeitet hat, Anfang des Jahres noch schmerzlic­h erleben müssen. „Ich habe mich bestimmt 30- bis 40-mal imWettkamp­f an den vier Metern versucht und sie einfach nicht übersprung­en.“Dabei liegt sein Weltrekord aus der Altersklas­se „M60“noch bei stattliche­n 4,32 Metern. „Wenn man heute mit vor fünf oder zehn Jahren vergleicht, dann stellt man schon fest, dass die physische Kurve nach unten geht“, sagt Ritte. „Oder wie Franz Beckenbaue­r gesagt hat: Der Altersverf­all ist nicht aufzuhalte­n.“

Ab dem 30. Lebensjahr nehme die körperlich­e Leistungsf­ähigkeit durchschni­ttlich um ein Prozent pro Jahr ab, nach dem 65. Geburtstag um fünf Prozent jährlich, sagt Sportarzt Michael Fritz aus Viersen. „Es gibt aber einen großen Unterschie­d zwischen dem kalendaris­chen und dem biologisch­en Alter“, erklärt der 62-Jährige. „Durch regelmäßig­e sportliche Betätigung lässt sich der Alterungsp­rozess verlangsam­en. Ein 50-Jähriger kann von der körperlich­en Fitness her entweder noch 30 oder auch schon 70 Jahre alt sein“, sagt Fritz.

Das kann Wolfgang Ritte bestätigen: „Bei den Kraftwerte­n bin ich heute noch fast so gut wie vor 30 Jahren.“Und auch Ute, früher Lehrerin in Kamp-Lintfort, sagt: „Wenn ich die letzten Jahre nehme, fühle ich mich schon noch recht flott auf den Beinen.“Und dass man das nicht nur fühlen, sondern sogar messen kann, hat ihr Mann in Málaga eindrucksv­oll bewiesen: „Eigentlich darf man ja nicht den Fehler machen, sich mit Jüngeren zu vergleiche­n, sondern nur mit den Besten im gleichen Alter“, sagt Wolfgang Ritte. Er hat es trotzdem getan. Das Ergebnis: Mit seiner Weltmeiste­r-Höhe von 3,90 Metern in der Altersklas­se „M65“, hätte Ritte auch bei den fünf und sogar zehn Jahre jüngeren Konkurrent­en Gold im Stabhochsp­rung geholt. „Das sind natürlich Phasen, in denen man denkt: Vielleicht bist du ja noch gar nicht 65“, sagt Ritte schmunzeln­d.

Nicht nur vielleicht, wenn man nach Sportarzt Fritz geht. „Wer seit vielen Jahren sauber und konstant Sport betreibt, kann ohne Probleme 20 Jahre länger 40 bleiben“, sagt Fritz, der zu diesem Thema auch Vorträge an der Sporthochs­chule Köln hält. Regelmäßig­er Sport hat seiner Meinung nach viele Vorteile. Ob Herz, Gefäße, Adern, oder Gehirn – Sport wirke sich auf fast alle Bereiche des Körpers positiv aus.

„Bei aktiven Sportlern brechen Erkrankung­en erst viel später oder auch gar nicht aus“, erklärt Fritz und verweist auf ein gestärktes Immunsyste­m. Und der Mediziner geht noch weiter: „Die Lebenserwa­rtung von Sportlern ist deutlich höher.“Ein Beispiel: Die Teilnehmer des Radrennens „Tour de France“wurden in der Vergangenh­eit im Schnitt acht Jahre älter als der Rest der Bevölkerun­g. Für ein längeres Leben muss man aber nicht unbedingt Spitzenspo­rtler sein. „Selbst wer erst im Alter von etwa 50 Jahren mit Sport anfängt, und auf Nikotin verzichtet, gewinnt im Schnitt 2,84 Lebensjahr­e“, sagt Fritz.

Trotz ihrer sportliche­n Aktivität können aber auch die Rittes ihr kalendaris­ches Alter nicht ganz verleugnen. „Das Aufstehen fällt morgens schon mal schwerer“, gibt Ute Ritte zu. Und Wolfgang stellt fest, dass ihm die Sprintschn­elligkeit mehr und mehr abhanden kommt. „Aber gerade die ist beim Stabhochsp­rung für den Katapult-Effekt so wichtig“, sagt Ritte.

Deshalb weiß er auch, dass ihm langsam, aber sicher die Zeit davon „Ein 50-Jähriger kann von der körperlich­en

Fitness her entweder noch 30 oder auch schon 70 Jahre alt sein“ läuft. Denn für das nächste Jahr hat er noch ein Ziel vor Augen: Nach dem Weltrekord unter freiem Himmel will er nun auch in der Halle vier Meter überspring­en. In diesem Jahr scheiterte er unterm Dach stets bei 3,96 Metern. Wenn es nächstes Jahr nicht klappt, wird es natürlich schwer. „Ich bin da deshalb ein bisschen in Eile“, sagt Ritte.

Damit das noch klappt, trainieren er und seine Frau nahezu täglich. Natürlich nicht jeden Tag an der Stabhochsp­rung-Anlage, aber 24 Stunden ohne Kraft-, Technik-, oder Ausdauer-Training gibt es so gut wie nicht. Selbst im Urlaub sind die Rittes aktiv. „Drei Wochen Urlaub am Stück kennen wir gar nicht“, sagt Ute Ritte und lacht. Aus Sicht von Sportarzt Fritz macht das nichts. „Sportler regenerier­en einfach schneller“, erklärt Fritz. Der 62-Jährige hat vor kurzem an seinem 17. Triathlon teilgenomm­en. Auch er trainiert in der Woche bis zu 25 Stunden.

Wolfgang und Uwe Ritte hoffen, dass sich ihre Leidenscha­ft noch so lange wie möglich mit dem Al- tern vereinbare­n lässt. „Der Weltrekord bei den 95-Jährigen liegt im Stabhochsp­rung bei 2,10 Metern“, sagt Wolfgang Ritte mit einem verschwöre­rischen Grinsen. „Aber mal im Ernst: „Wenn die Voraussetz­ungen da sind, wieso soll ich dann auf so tolle Erlebnisse wie in Malaga verzichten?“

An der Costa del Sol hat das Ehepaar zudem gesehen, was in der Leichtathl­etik alles möglich ist. Der älteste Teilnehmer war der Italiener Giuseppe Ottaviani. Er ist 102 Jahre alt und ein echtes Vorbild für Wolfgang Ritte und seine Frau Ute: „Da wollen wir auch hin.“

Michael Fritz

Sportarzt

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FOTO: THOMAS LAMMERTZ Ute und Wolfgang Ritte trainieren fast täglich in Uerdingen: Kraft, Ausdauer oder Technik an der Stabhochsp­rung-Anlage.
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FOTO: BAYER Viermal Gold, einmal Silber und zweimal Bronze – keine schlechte Ausbeute bei der Senioren-WM in Málaga.
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