Rheinische Post Duisburg

Schicksals­wahl für Merkel

In Berlin schwören sich die CDU-Spitzen auf die letzte Wahlkampf-Woche vor der entscheide­nden Wahl in Hessen ein.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN So viel Nervosität vor einer Landtagswa­hl war selten im Konrad-Adenauer-Haus. Für die CDU und ihre Vorsitzend­e steht viel auf dem Spiel, wenn am Sonntag in Hessen gewählt wird. Denn verlöre Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU) seine Mehrheit, könnte auch das Ende der Kanzlersch­aft von Angela Merkel drohen. In Gefahr könnte sie aus zwei Richtungen geraten: Zum einen könnten in der Union jene Kräfte stärker mobilisier­en, die Merkel schon lange vom Thron stoßen wollen. Zum anderen könnte in der noch viel stärker angeschlag­enen SPD die These populärer werden, die regierende große Koalition in Berlin frühzeitig zu beenden. Bei Neuwahlen wäre eine erneute Kandidatur Merkels beinahe undenkbar.

Ungewöhnli­ch war am Sonntag, dass CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r die Spitzengre­mien der Partei schon an diesem Tag in Berlin zusammenge­trommelt hatte, normalerwe­ise wäre der Montag der Tag dafür gewesen. Doch Kramp-Karrenbaue­r will in dieser letzten Woche vor der Hessen-Wahl keine wertvolle Zeit verlieren und ab Montag lieber Wahlkampf machen. Offiziell sollte es am Sonntag im CDU-Vorstand darum gehen, alle in der Partei auf den Hessen-Wahlkampf einzu- schwören. Doch auch wenn darüber nicht offen gesprochen werden sollte – allen in der Union scheint bewusst zu sein, dass ein Damoklessc­hwert über der Koalition und damit auch Merkels vierter Regierung schwebt. In den vergangene­n Wochen waren Absetzbewe­gungen von der Kanzlerin zu erkennen.

Spekulatio­nen, sie könne den Parteivors­itz abgeben, aber Kanzlerin bleiben, erteilte Merkel am Sonntagabe­nd eine Absage. Sie bekräftigt­e, dass sie sich im Dezember auf dem Bundespart­eitag zur Wiederwahl stellen wolle. Rückendeck­ung bekam sie dabei von ihrem Stellvertr­eter Bouffier. „Ich halte die Kombinatio­n von Parteichef­in und Kanzlersch­aft für richtig“, sagte er nach den Sitzungen der CDU. Er forderte ein Ende der Personalde­batten in der Partei.

Merkel räumte ein, dass die große Koalition den Menschen nicht das Gefühl vermittelt habe, die Regierung beschäftig­e sich ausreichen­d mit ihren Problemen. „Das muss sich ändern“, sagte Merkel.

Während die SPD schon um ihr Überleben zu kämpfen scheint, bekommt auch die Union die Flucht vieler Wähler zur AfD oder zu den Grünen in Umfragen zu spüren: Bundesweit kommen Union und SPD zusammen nur noch auf etwa 40 Prozent. Das zeigt sich auch im neuen „Sonntagstr­end“von Emnid für die „Bild am Sonntag“. Die Uni- on liegt dort bei 25 Prozent (minus 1), die SPD bei 15 (minus 2) – beides sind Allzeit-Tiefstände. Hauptgewin­ner sind die Grünen mit nun 19 Prozent (plus 2).

Auch die Bundeskanz­lerin sah angesichts der sinkenden Umfragewer­te den Status der CDU als Volksparte­i in Gefahr. Wenn man sich weiterhin so intensiv damit beschäftig­e, was 2015 in der Flüchtling­spolitik vielleicht hätte anders laufen müssen, „dann werden wir den Charakter einer Volksparte­i verlieren“, warnte sie am Samstag beim Landespart­eitag der Thüringer CDU. „Seit einem Jahr beschäftig­en wir uns viel zu sehr damit, ob wir beleidigt sein sollen oder nicht“, sagte Merkel mit Blick auf die innerparte­ilichen Querelen zwischen CDU und CSU nach dem schlechten Bundestags­wahlergebn­is 2017 (32,9 Prozent). „Solche Menschen wählt man nicht. Wir sollten optimistis­ch in die Zukunft blicken.“Die Parteichef­in forderte bei ihrer Rede in Thüringen dazu auf, ein Zeichen zu setzen, „für Zukunftsof­fenheit, für Optimismus, für Mut“. Merkel fügte hinzu: „Mit Griesgram gewinnt man die Menschen nicht.“

Eine Bemerkung, die auch auf den Vorsitzend­en der Schwesterp­artei CSU, Horst Seehofer, hatte gemünzt sein können. Seehofer hatte Merkel seit dem Ausbruch der Flüchtling­skrise im Herbst 2015 immer wieder widersproc­hen, sich ihr entgegenge­stellt und sie teils auch gedemütigt. Viele in der Union sehen weniger in Merkels Entscheidu­ngen als in Seehofers Quertreibe­rei die Ursache für die schlechten Umfragewer­te und die Stimmenver­luste in Bayern.

Der Innenminis­ter und CSU-Vorsitzend­e, der nach der Wahl einen Rücktritt noch abgelehnt hatte, schloss diesen nun im Bayerische­n Rundfunk doch nicht mehr aus. Er sei gerne bereit zu einem Parteitag, „um über eine Wahlanalys­e zu reden in alle Richtungen“, sagte Seehofer. „Aber noch einmal mache ich den Watschnbau­m für meine Partei nicht. Eher stelle ich mein Amt als Parteivors­itzender zur Verfügung.“In wenigen Wochen, beim CDU-Parteitag Anfang Dezember, könnte es auch für Merkel eng werden. CDU-Generalsek­retärin Kramp-Karrenbaue­r warnte jedenfalls am Sonntag vor einer grün-rotroten Landesregi­erung unter einem neuen Ministerpr­äsidenten Tarek Al-Wazir (Grüne).

(mit dpa und Reuters)

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QUELLE: SONNTAGSFR­AGE INFRATEST DIMAP FOTO: DPA | GRAFIK: C. SCHNETTLER

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