Rheinische Post Duisburg

Favre macht Dortmund besser

Die Detailarbe­it des Trainers trägt Früchte. Mit einem 4:0 in Stuttgart sichert der BVB die Tabellenfü­hrung.

- VON ROBERT PETERS

DORTMUND/STUTTGART Generation­en von Sportwisse­nschaftler­n mögen sich bereits den Kopf darüber zerbrochen haben, wie man einen Fußballer besser macht. Dabei ist die Antwort ganz einfach. Lucien Favre (60) hat sie bestimmt schon tausendmal gegeben: „Mit Arbeit.“Er könnte auch sagen: „Mit Kleinarbei­t.“Der Schweizer Fußballtra­iner ist geradezu verliebt in die Details des Spiels. Und er wird nicht müde, seinen Spielern die Fußhaltung um Zentimeter zu korrigiere­n, Abläufe einzustudi­eren, Ballannahm­e und die vielzitier­ten Laufwege zu üben. Es vergeht kein Trainingst­ag, an dem Favre keine kleinen Sonderschi­chten mit seinen Fußballern einlegt. Das zieht sich durch seine Karriere. Und das ist selbstvers­tändlich auch bei Borussia Dortmund so.

Ein Zwischener­gebnis dieser Arbeit ist die Tabellenfü­hrung in der Bundesliga, die der BVB mit einem 4:0-Erfolg beim VfB Stuttgart untermauer­te. Favre wird sich besonders darüber gefreut haben, dass es endlich mal kein Gegentor gab, und dass seine Mannschaft ausnahmswe­ise mal keinem Rückstand hinterherl­aufen musste. „Wir haben schnell nach vorn gespielt und den Ball gut laufen lassen“, sagte der Dortmunder Kapitän Marco Reus, „es war ein gelungener Nachmittag.“

Der erst 18-jährige Engländer Jadon Sancho trug mit seinem frühen Führungstr­effer entscheide­nd dazu bei. Er gehört zu denen, die mit großer Begeisteru­ng ihrem Fußballtra­iner folgen. Das ist typisch für Favres Fußballleh­rer-Laufbahn, bei jungen Spielern entfaltet er seine größte Wirkung. Das war in Berlin bei Hertha BSC so, das war bei Borussia Mönchengla­dbach so, und daran hat sich in Dortmund nichts geändert. „Er macht mich besser“, erklärte Jacob Bruun Larsen (20). Er steht damit für viele, die durch Favres Hände gegangen sind.

Natürlich wird der BVB-Trainer auch nach dem im Ergebnis bemer- kenswerten Erfolg beimVfB Stuttgart auf seine Erfolge in der Aufbauarbe­it bei talentiert­en Nachwuchss­pielern im Allgemeine­n und bei der westfälisc­hen Borussia im Besonderen angesproch­en. Er begegnet solchen Gesprächsa­nsätzen mit einem leise verhuschte­n Lächeln und seinem Mantra: „Wir müssen Geduld haben, und wir haben noch viel Arbeit.“In der Regel platziert er noch gern den Satz: „Es ist schwer.“Und manchmal sagt er auch: „Es ist nicht so leicht.“Dann zieht er die Augenbraue­n ein bisschen nach oben und bekommt ganz große Augen, damit auch niemand übersieht, dass das alles nicht selbstvers­tändlich ist. Und vor allem: Dass es nicht selbstvers­tändlich so weitergeht.

Favre hat sich auch immer als Mahner verstanden. Beifall findet er wie jeder in diesem Geschäft schön, aber er bremst euphorisch­e Erwartunge­n. Das ist durchaus keine Koketterie. Ein leiser Pessimismu­s liegt ihm im Wesen. In Berlin und ganz besonders in Mönchengla­dbach, wo er über vier Jahre arbeitete, führte das zu verzweifel­ten Rücktritts­gesuchen in vierteljäh­rlichen Abständen. Im größten Erfolg sah er stets die größten Berge vor sich. Er hat sie schließlic­h doch bestiegen, so dass seine jeweiligen Vereinsfüh­rungen die wiederkehr­enden Verzweiflu­ngsattacke­n („das geht nicht mehr, es ist zu schwer“) als kauzige Charakterm­erkmale abtaten. Als er dann doch mal Ernst machte und Gladbach zu Beginn der Saison 2015/16 verließ, war das eine echte Überraschu­ng.

Von Abschiedsg­edanken in Dortmund, das seine Detailarbe­it in kurzer Zeit an die Spitze der Bundesliga gespült hat, kann keine Rede sein. Und selbstvers­tändlich hält Favre seine Mission nicht für beendet. Er sieht Nachholbed­arf in der Schulung seiner jugendlich­en Defensive. Und ein leises Grausen erfasst ihn, wenn sein Team wie so oft in dieser jungen Saison mal wieder zurücklieg­t. Das passt so gar nicht in seinen Plan. Aber er hat dem BVB zumindest so viel Selbstvert­rauen verpasst, dass die Mannschaft mit Rückstände­n umgehen kann. Es wirft sie nicht aus der Bahn wie in der zurücklieg­enden Saison. Denn sie hat Lösungen gelernt – auch das ist ein Ergebnis seiner detailverl­iebten Arbeit. Lieber ist Favre allerdings ein Spielverla­uf wie in Stuttgart. Das Haar in der Suppe aber fand er auch da. Mit der Stuttgarte­r Systemumst­ellung habe sein Team Probleme gehabt, räumte er ein. „Wenn sie ein Tor machen, weiß ich nicht, was passiert“, sagte er. Dass es zum Zeitpunkt der kleinen Dortmunder Schwierigk­eiten bereits 3:0 stand, erwähnte er nicht. Solche Probleme hätte die Konkurrenz gern.

Bevor allerdings das begeisteru­ngsfähige BVB-Umfeld im Bewusstsei­n eines Vierpunkte-Vorsprungs auf den großen Rivalen Bayern München völlig abhebt, findet Favre in der augenblick­lichen Personalsi­tuation zu seinem eigenen Glück Anlass zu profunder Warnung. Manuel Akanji, Marcel Schmelzer, Christian Pulisic und Marius Wolf fallen zurzeit verletzt aus. „Die Belastung der Spieler ist viel zu hoch“, klagte der Coach. Das kann er jedoch nicht ändern. Am Mittwoch geht es im Champions-League-Gruppenspi­el gegen Atlético Madrid weiter. „Das ist eine gute Mannschaft“, sagt Favre und macht dabei anerkennen­d große Augen. Aber das hat er vor dem Spiel in Stuttgart auch gesagt.

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FOTO: DPA Wegweiser an der Seitenlini­e: Borussia Dortmunds TrainerLuc­ien Favre gibt Anweisunge­n.

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