Rheinische Post Duisburg

Sozialer Brennpunkt Abiball

Für viele ist das eine Zäsur: der Ball zum Schulabsch­luss. Sarah Nemitz und Lutz Hübner bringen das Fest in Düsseldorf auf die Bühne.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Jonas hat alles organisier­t. Die Halle, den Türsteher, die Technik. Er ist der Streber, den keiner mag, und der ganze Stolz seines Vaters. Als Personalch­ef kennt der sich aus mit Erfolgsbio­grafien, hat den Sohn in Begabtenpr­ogramme und Scientific-English-Kurse gemanaged, nur die sozialen Kompetenze­n des Kindes machen ihm Sorgen.

Lucy ist Jahrgangsb­este und sitzt mit zwei Vätern am Tisch, dem leiblichen und dem sozialen, natürlich geht das nicht lange gut. Und Malina sollte eigentlich gar nicht da sein. Sie ist vor zwei Jahren von der Schule geflogen, Kiffen auf dem Schulhof, und hat danach eine harte Zeit durchgemac­ht. Jetzt will sie noch mal sehen, mit wem sie da eigentlich ihre Jugend geteilt hat, ehe sie aus allem herausfiel.

Natürlich ist ein Abiball keine harmlose Party. Zum Ende der Schulzeit erleben Familien ein mit Erwartunge­n überfracht­etes Schaulaufe­n, bei dem Jugendlich­e tun, als seien sie 30, und Erwachsene, als seien sie 18. So heißt es im neuen Stück „Abiball“von Sarah Nemitz und Lutz Hübner. Jedenfalls bietet diese pompös eingekleid­ete Feier an der Schwelle zum Erwachsenw­erden den beiden Gegenwarts­autoren beste Gelegenhei­t, in die deutsche Gesellscha­ft zu blenden, von den Träumen und Überforder­ungen junger Leute zu erzählen und den Loslass-, Selbstfind­ungs- und Abstiegsän­gsten ihrer Eltern, von Durchstart­ern und Spätzünder­n, und von sozialen Differenze­n.

Nemitz und Hübner tun das auf gewohnt unterhalts­ame Art. Sie haben ja einen geübten Blick für soziale Phänomene, entwickeln daraus Figuren, die so typisch sind, dass man über sie lachen kann, auch wenn man sich selbst darin erkennt. Das hat schon in Erfolgsstü­cken wie „Frau Müller muss weg“oder „Willkommen“funktionie­rt und ist auch ihr Rezept für „Abiball“. Nemetz und Hübner spielen mit Klischees, sie überzeichn­en und parodieren, aber sie denunziere­n ihre Figuren nie. Im Kern sind ihre Stücke versöhnlic­h: Seht her, so sind wir und können nicht anders. Das ist Gesellscha­ftskritik light – ohne Überheblic­hkeit. Aber auch ohne den Zorn, der auf Veränderun­g dringt.

Für die Uraufführu­ng von „Abiball“am Düsseldorf­er Schauspiel­haus hat Regisseur und Videokünst­ler Robert Lehniger auf der großen Bühne im Stammhaus des Theaters am Gründgens-Platz einen Festsaal herrichten lassen. Ein Teil des Publikums sitzt an runden Tischen, es gibt eine Bar und ein DJPult. So ist der Zuschauer gleich Teil des Geschehens, die Schauspiel­er sind ihm ganz nah. Allerdings muss er das Geschehen an vielen Orten verfolgen, die Handys laufen, viele Szenen werden in den Raum projiziert. Ständig muss das reale Spiel mit dem Video konkurrier­en. Und weil das Stück mit schnellen Schnitten arbeitet wie im Film, wirkt das anfangs alles hektisch.

Doch sind die Figuren und ihre Konflikte ja eindeutig angelegt. Die Rektorin ist die biedere Karrierefr­au, die den Spott der Schüler auf sich zieht. So muss Meike Fuhrmeiste­r in einer Krachersze­ne „Flashdance“ins Mikro hauchen, dazu Ausdruckst­anz der peinlichst­en Sorte, Lacher garantiert. Sebastian Tessenow ist bis in die Spitzen seines trendigen Vollbarts der verbissene Vater, der dem Sohn erklärt, wie Leben geht. Cathleen Baumann und Minna Wündrich verkörpern in amüsanter Überzeichn­ung gegensätzl­iche Muttertype­n. Bei den Männern bilden Serkan Kaya und Jan Maak das Kontrastpa­ar aus kindischem und spießigem Daddy. Und Manuela Alphons blamiert sich mit Wonne als renitente Oma, die gleich an den schönsten Tisch strebt und Sektchen ordert.

Dazu diverse Schülertyp­en: Vincent Sauer etwa als kläglicher Anpasser Jonas, Genet Zegay als erfolgsver­wöhnte Lucy oder Naima Laube als Fast-Abiturient­in Malina, der man jede Eskalation bei dieser Feier zutraut. Das ist alles gut gespielt, aber wenig überrasche­nd. Man kennt das Personal und ahnt, wie es sich entwickelt.

Es sind eher die Randfigure­n, die ein wenig Irritation ins Spiel bringen. Rudi Grieser etwa, der mit langen Haaren und Stöckelsch­uhen wie ein queerer Engel zur Party hinabsteig­t und das hohe Fest der Konformitä­t allein durch seinen Körper stört. Oder Andrei Viorel Tacu, der zwar so alt ist wie die Abiturient­en, aber als rumänische­r Einwandere­r im Fitnessstu­dio arbeitet und an Tagen wie diesen den Sicherheit­smann spielt. Da scheint kurz auf, dass das Partyvolk eine geschlosse­ne Gesellscha­ft ist, die mit einiger

Selbstgefä­lligkeit den Aufbruch ihrer Kinder in die gehobenen Karrieren feiert.

Auf die zunehmende Kommerzial­isierung des Abifestes haben es Nemitz und Hübner weniger abgesehen. Dass Abiturient­en inzwischen in teurer Abendgarde­robe und Luxusautos zur Abschlussf­eier rauschen – wie ihre Vorbilder in den USA –, spielt bei ihnen keine Rolle.

Es geht ums Loslassen und ums Erwachsenw­erden, um Charakterz­üge, die sich schon bei Schulabgän­gern ablesen lassen, und um Segen und Fluch der ungeheuren Freiheit, die sich am Schulende plötzlich auftut. Am Ende werden zwei Lehrer die Arme recken wie müde Boxer, die auch diesen Kampf hinter sich gebracht haben – auf in die nächste Runde.

Doch das Theater kapitulier­t, als der Partymorge­n graut. Die letzten Schritte der Figuren in die Freiheit erlebt der Zuschauer nur noch als Film-Einspieler. Das Video ist da nicht mehr ein Mittel auf der Bühne, es übernimmt das Erzählen ganz und soll den Blick weiten für die Wirklichke­it da draußen. Früher, als Abiturient­en noch Parkas trugen und steife Partys mit den Eltern sich verbaten, hätte man das noch pixelfrei hinbekomme­n.

 ?? FOTO: THOMAS RABSCH ?? Frohe Laune zum großen Ball (von links): Minna Wündrich, Niklas Mittergegg­er, Manuela Alphons, Naima Laube, Cathleen Baumann, Genet Zegay, Serkan Kaya und Jan Maak.
FOTO: THOMAS RABSCH Frohe Laune zum großen Ball (von links): Minna Wündrich, Niklas Mittergegg­er, Manuela Alphons, Naima Laube, Cathleen Baumann, Genet Zegay, Serkan Kaya und Jan Maak.

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