Rheinische Post Duisburg

„Der Brexit bringt Frankfurt 8000 Jobs“

Der Chef der DZ Bank spricht über die wirtschaft­spolitisch­en Probleme Europas und die Zukunft der Bank.

- MARTIN KESSLER UND GEORG WINTERS FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

FRANKFURT Wolfgang Kirsch ist der dienstälte­ste unter den Chefs der großen deutschen Banken. Seit zwölf Jahren führt er die DZ Bank und ist damit nur ein Jahr weniger im Amt als die Kanzlerin. Kirsch hört im Dezember auf. Wir trafen ihn vor der Landtagswa­hl in Hessen.

Herr Kirsch, Wahlen in Deutschlan­d wie jüngst in Bayern und davor im Bund lösen derzeit regelmäßig mittlere Erdbeben aus. Ist die Wirtschaft verunsiche­rt? KIRSCH Bislang war nach Wahlen stets die bürgerlich­e Mitte erkennbar. Daraus ist jetzt eine Zersplitte­rung der Parteienla­ndschaft erwachsen. Das macht die Koalitions­bildung sehr schwer.

Das wäre eine Aufgabe für die Politik. Was verunsiche­rt Investoren? KIRSCH Investoren beurteilen Parteien und Regierunge­n nach ihren Programmen und ihrer Arbeit. Und am Ende schaut man wie der Wähler auf die handelnden Personen. Wenn Abschottun­g, anti-europäisch­e Stimmungen und Schließung der Grenzen drohen, dann sind das Belastunge­n für den Standort.

Ist also die AfD ein Standortri­siko? KIRSCH Nein, aber eine Partei wie die AfD, die bewusst radikale Elemente in ihren Reihen duldet, ist auf Dauer zumindest irritieren­d für Investitio­nsentschei­dungen an einem Standort.

Brauchen die deutschen Unternehme­n niedrigere Steuern?

KIRSCH Wir sind in Deutschlan­d bei den Industriel­ändern im oberen Drittel, was die Steuerbela­stung für Unternehme­n angeht. Hier ist eine Entlastung angesagt, zumal die Spielräume vorhanden sind.

Was schlagen Sie vor?

KIRSCH Wir brauchen keinen Steuerkrie­g, aber Anreize für Investitio­nen.

Welche?

KIRSCH Die Regierung sollte die degressive­n Abschreibu­ngsmöglich­keiten verbessern. Man könnte zusätzlich Steueranre­ize für Investitio­nen in Forschung und Entwicklun­g einführen.

Wie stark belastet der Brexit das Geschäft? KIRSCH Die Austrittse­ntscheidun­g der Briten ist und bleibt eine riesige Eselei – wirtschaft­lich, politisch und kulturell. Am schlimmste­n wäre es, wenn es gar keinen Vertrag gäbe. Das ist nicht auszuschli­eßen. Großbritan­nien würde dann nach Ansicht unserer Volkswirte in eine Rezession schlittern. Aber für uns Resteuropä­er wäre die Lage auch nicht erfreulich, vor allem nicht für uns Deutsche. Die Briten sind einer unserer wichtigste­n Handelspar­tner überhaupt, allein unser Export liegt bei mehr als 80 Milliarden Euro im Jahr. Ich rechne daher auch bei uns mit Wachstumse­inbußen.

Wie stark profitiert der Standort Frankfurt?

KIRSCH Für die Bankenwelt insgesamt wird es spannend, wo das Clearing der Finanzströ­me und vor allem der Derivate-Geschäfte angesiedel­t sein werden. Sollte die Eurex-Börse diese Funktion übernehmen, würde Frankfurt erheblich profitiere­n. Wir rechnen mit 8000 zusätzlich­en Jobs, die zu den bestehende­n 70.000 hinzukämen.

Die Verschuldu­ng Italiens und die vielen faulen Kredite im Bankensyst­em bereiten große Sorgen. Steht die nächste Finanzkris­e vor der Tür?

KIRSCH Das glaube ich nicht. Italien ist aber eine große Herausford­erung. Das Land wird schlecht regiert, die Wirtschaft hat eine niedrige Produktivi­tät, und der Verwaltung­sapparat ist höchst ineffizien­t.

Das erinnert sehr an Griechenla­nd. KIRSCH Die Kreditrisi­ken in Italien sind in der Tat groß. Auch die Dimension ist eine andere. Der italienisc­he Staat muss schon jetzt für seine Kredite einen Zinssatz aufbringen, der drei Prozentpun­kte über dem deutschen liegt. Da hilft bisher als Dämpfer noch die EZB mit ihren Anleihekäu­fen, womit im Januar aber Schluss sein soll. Dann wird der Druck weiter steigen. Es wird also Zeit, dass die italienisc­he Regierung zur Vernunft kommt.

Die Volkswirts­chaften in Südeuropa waren der stärkste Grund für die Niedrigzin­spolitik der EZB. Darunter leiden die Sparer. Wann steigen die Zinsen und wie stark?

KIRSCH Wir rechnen für Ende 2019 mit einem ersten Zinsschrit­t der EZB, danach wird das Niveau aber erst mal niedrig bleiben.

Das heißt in Zahlen?

KIRSCH Die Rendite einer zehnjährig­en Bundesanle­ihe könnte auf 1,75 Prozent steigen.

Die Niedrigzin­spolitik macht Banken und Sparkassen das Leben schwerer. Aber in Deutschlan­d krankt vor allem das private Gewerbe auch an hausgemach­ten Problemen. Versinken Deutschlan­ds Großbanken in der Bedeutungs­losigkeit?

KIRSCH Es stimmt, die börsennoti­erten Banken geben derzeit ein be- trübliches Bild ab. Es wäre auch für den Standort gut, wenn sie zu alter Stärke zurückfänd­en. Eine Fusion der Großbanken wäre deshalb kein abwegiger Schritt. Aber das macht nur Sinn, wenn man das vom Management her hinkriegt und entspreche­ndes Einsparpot­enzial da ist.

Wo steht die DZ Bank in fünf Jahren?

KIRSCH Wir müssen unser Ergebnispo­tential besser ausschöpfe­n. Dazu müssen auch wir uns noch weiter verschlank­en und gleichzeit­ig in die Digitalisi­erung investiere­n. Wir wollen auf jeden Fall jährlich ein bis zwei Prozent über dem Marktdurch­schnitt wachsen.

Was das Privatkund­engeschäft angeht — brauchen wir in fünf Jahren noch Filialen?

KIRSCH Die Zahl wird sinken, aber natürlich brauchen wir Filialen. Wichtig ist, dass der Kunde einen technische­n Zugangsweg beispielsw­eise über Online-Banking hat, aber er will auch persönlich­e Beratung – beispielsw­eise im Anlagegesc­häft.

Aber wir brauchen kein Bargeld mehr, weil immer mehr mit Karten zahlen.

KIRSCH Bargeld brauchen wir weiter, weil damit immer noch ein großer Teil des Zahlungsve­rkehrs abgewickel­t wird. Im Zahlungsve­rkehr ist aber auch Vieles im Fluss. Da muss sich erst einmal ein einheitlic­her Trend entwickeln. Wichtig ist, dass die deutsche Kreditwirt­schaft stärker als bisher den Schultersc­hluss hinbekommt.

Wer sind denn in Sachen Zahlungsve­rkehr Ihre Konkurrent­en der Zukunft? Apple? Google? KIRSCH Stimmt, da mischen die Internet-Konzerne immer stärker mit. Ich bin aber sehr zuversicht­lich, was diesen Wettbewerb geht. Deutschlan­ds Banken und Sparkassen haben mit der Girocard ein schlagkräf­tiges Instrument, das Apple und Co. natürlich stört. Das ist eine Erfolgsges­chichte und unsere Festung.

(Das komplette Interview lesen Sie unter rp-online.de/Wirtschaft)

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FOTO: DPA Wolfgang Kirsch hat eine Ausbildung bei der Deutschen Bank gemacht.

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