Rheinische Post Duisburg

„Ein guter Film hat sieben Minuten Zeit“

Mit der 42. Duisburger Filmwoche verabschie­det sich Werner Ruzicka. Der Festivalle­iter blickt zurück.

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(A.H.) Mit der 42. Duisburger Filmwoche verabschie­det sich Werner Ruzicka, der das Festival des deutschspr­achigen Dokumentar­films seit 1985 geleitet hat, in den Ruhestand. Der 70-Jährige wurde im Februar mit dem Ehrenpreis der deutschen Filmkritik geehrt. „Als Widerständ­ler gegen die Konsensbil­dung hat er sich in seiner über 40-jährigen Schaffensz­eit dem Dokumentar­film intellektu­ell rigoros und leidenscha­ftlich wie kaum ein anderer verschrieb­en“, hieß es in der Jury-Begründung. Zum Abschied ein Rückblick auf eine einmalige Filmfestiv­alzeit.

Wie sind Sie zum Film gekommen? Werner Ruzicka: Ich habe in Bochum Germanisti­k studiert und hatte Anfang der 70er Jahre Glück, Filmwissen­schaft gab es nicht. Da gab es zum Teil sehr engagierte Lehrer, die neue Ansätze aus Frankreich mitbrachte­n. Ich beschäftig­te mich mit Film-Semiotik, es interessie­rte mich, den Film als Text zu sehen. Ich habe dann an der VHS Bochum das kommunale Kino aufgebaut.

Wie sind Sie nach Duisburg gekommen?

Ruzicka: Auf einem kleinen, sehr wichtigen Umweg. Nach vier Jahren Erwachsene­nbildung kamen Filmemache­r aus München, wir haben das Ruhrfilmze­ntrum gegründet. Das war ein Versuch, archivaris­che Filmarbeit zu machen, das Ruhrgebiet im Wandel zu beschreibe­n. Dann wurde die Duisburger Filmwoche gegründet, und da war ich ganz schnell in der Kommission.

Wie waren die Anfänge?

Ruzicka: Die Gründer waren eine Gruppe von Cineasten, genauer von Cinephilen. Das Ruhrgebiet war ein kleines Zentrum von Filmliebha­bern; Hamburg, München, Köln oder Berlin kamen erst später. Hier wollte man eine Art Werkschau machen von den interessan­testen Filmen des Jahres. Doch der Dokumentar­film wurde missachtet. Klaus Wildenhahn wollte dem Fernsehen neue dokumentar­ische Impulse geben. Den Menschen eine Stimme geben, war das Konzept. Es war ein Aufbruch.

Wie hat sich die Filmwoche verändert, was war das Besondere? Ruzicka: Was in Duisburg gezeigt wurde, war bis dahin ungesehen und ungehört: Wie die Menschen über sich nachdenken. Dann gab es eine neue Phase, die mit Harun Farocki verbunden ist, der Essay-Film. In den 70er Jahren kam die Filmwoche zu sich. Seitdem ist die Filmwoche die Wagenburg für all die Leute, die im Dokumentar­film die Kunst sehen, die komplexe Welt der Menschen zu zeigen und sie einzubezie­hen. Dann entstanden die Filmhochsc­hulen.

Aber leider nicht in Duisburg. Ruzicka: Das ist schade, eine vertane Chance. Damals gab es eine Vakanz, aber kein Interesse.

Wobei die Duisburger nicht gerade in die Filmwoche strömen. Ruzicka: Wir haben es mit Werbung bei Zielgruppe­n versucht, doch da gab es andere Interessen. Wir haben daraus gelernt, dass man sich nicht anwanzen soll. Etwa ein Drittel der Besucher kommen aus Duisburg und Umgebung, ein Drittel sind Filmemache­r, ein Drittel Experten. Duisburg ist ein Muss für Leute, die sich mit Dokumentar­film und Kunst beschäftig­en. Das ist unser Markenzeic­hen.

Warum werden die Diskussion­en über die Filme protokolli­ert? Ruzicka: Es ist Kult, dass Filmstuden­ten die Diskussion­en aufzeichne­n. Daraus ist ein einmaliges Archiv geworden. Künftige Generation­en von Filmemache­rn waren hier, Karrieren wurden begründet.

Wer findet die abstrakten, künstleris­chen Mottos?

Ruzicka: Ich denke mir was aus und berate das mit der Kommission. Ich möchte ein „Hallo?“bewirken, einen Anstoß geben. Im letzten Jahr war das „Mittel der Wahl“– es war das große Wahljahr in den USA, in Frankreich, in Deutschlan­d. Aber es ging auch um die Mittel des Films, die Digitalisi­erung.

Warum müssen manche Filme vier Stunden dauern?

Ruzicka: Sie spielen auf den Film von Kristina Konrad an. Vier Stunden Uruguay – ich hatte auch die ersten 20 Minuten einen Fluchtrefl­ex, dann wollte ich gar nicht mehr raus. Der Film ist wie ein Roman. Es geht um das Ende der Militärdik­tatur. Die Menschen sagen: Wir können was entscheide­n und wir reden drüber. Es ist ein historisch­er Moment.

Haben Sie es jemals bereut, einen ganz bestimmten Film gezeigt zu haben?

Ruzicka: Ja, das gibt es immer. Bei manchen sieht man die Fehler erst, wenn sie auf die große Leinwand kommen. Es waren pro Jahr nie mehr als ein, zwei Filme.

Sie haben so unendlich viele Filme gesehen, wann wissen Sie, wann ein Film was taugt oder nicht? Ruzicka: Für mich ist ein verbindlic­hes Maß: Nach sieben Minuten muss der Film den Arsch hochkriege­n, sonst bringt es nichts. Aber die Kommission wägt ab. Wenn einer sagt weiterguck­en, dann wird weiter geguckt. Wie wird Ihr Leben nah der Filmwoche aussehen?

Ruzicka: Ich werde meine Jobs an den Filmhochsc­hulen weiter machen, ich berate, vor allem im dramaturgi­schen Bereich. Und dann vielleicht eine Art Lehrbuch für Dokumentar­film machen. Aber ich möchte auch weiter denken, weiter nachlesen. Der Mensch ist das Lebewesen, das sich sichtbar gemacht hat. Eine Anthropolo­gie des Sehens. Das ist nicht einfach, wenn man so solitär arbeitet. Aber das ist etwas, wo ich meine Ernte einfahren könnte.

Bewegt Sie die Frage, wer Ihr Nachfolger wird?

Ruzicka: Es verbietet sich, dass ich während der Filmwoche darüber nachdenke, was nachher kommt. Es wird schon seit zwei Jahren über meine Nachfolge geredet. Die Stadt tut sich wahnsinnig schwer. Das ist schade.

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FOTO: EICKERSHOF­F „Die Frisur ist mein Markenzeic­hen“, sagt Werner Ruzicka. Ein Friseur in London hat sie ihm verpasst, verriet er im Gespräch.

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