Heimatsuche als Aufgabe
Ein spannendes neues Buch erzählt die Geschichte jüdischen Lebens in unserer Stadt von 1945 bis heute.
Für die meisten ist das eine Selbstverständlichkeit: zu Hause zu sein und eine Heimat haben zu können. Doch das gilt längst nicht für alle. Und wenn jetzt ein Buch über die Geschichte der Jüdischen Gemeinde seit 1945 eben diesen Titel trägt – „Zuhause in Düsseldorf“–, so ist das keineswegs banal, sondern immer noch etwas Besonderes, eine Entscheidung, eine Hoffnung, vielleicht auch ein Versprechen. „Wunderbar“nannte darum Oberbürgermeister Thomas Geisel den Titel bei der offiziellen, auch ein wenig feierlichen Buchvorstellung im Leo-Baeck-Saal der Gemeinde.
Zu feiern gibt es mit diesem von der Anton-Betz-Stiftung der Rheinische Post geförderten Buch viel, gerade mit Blick auf unsere Gegenwart: Mit 7000 Mitgliedern ist die jüdische Gemeinde Düsseldorfs inzwischen die drittgrößte in Deutschland, und wer die Entwicklung des jüdischen Lebens in unserer Stadt anhand des Wachstums betrachtet, muss seit der Neugründung 1945 insgesamt von einer Erfolgsgeschichte reden. Etwa mit der Einweihung der neuen Synagoge 1958, der Gründung des Sportvereins ein Jahr später, der Eröffnung des Nelly-Sachs-Hauses 1970, der Jüdischen Grundschule 1973, dem Familien- und Bildungszentrum 2007 und dem Albert-Einstein-Gymnasium 2016.
Nach der Shoa, dem Völkermord an den Juden, ist eine solche Entwicklung nahezu unglaublich, ein lebensfrohes Wunder und ein Vertrauensbeweis an Stadt und Land. Was in den Köpfen der 57 Jüdinnen und Juden vorgegangen sein mag, als sie sich in Düsseldorf 1945 zur Neugründung ihrer Gemeinde entschlossen haben? 5500 Juden hatten vor dem Krieg hier gelebt, hatten in der Stadt Harry Heines ihre Heimat gehabt. Nicht nur Thomas Geisel erinnerte an die Barbarei, in der die Stadt zur Nazizeit „versunken war“. Dr. Manfred Droste, Herausgeber der Rheinischen Post, konnte sich daran erinnern, wie er als Elfjähriger am Tag des Pogroms 1938 auf dem Heimweg von der Schule noch den Brandgeruch von der alten Synagoge an der Kasernenstraße in der Nase hatte und die Straßen mit Scherben übersät waren. Deutschland habe sich damals aus dem Kreis der zivilisierten Nationen verabschiedet, so Droste.
Die Journalistin Annette Kanis erinnert in ihrem Buch natürlich auch daran. Doch das Spannende an dem aufwendig recherchierten und sehr lesbaren Werk ist, dass vor allem das Aufblühen eines jüdischen Lebens beschrieben und nachgezeichnet wird. Dokumentiert in zahlreichen Bildern, erzählt in Interviews, Ana- lysen und Porträts. Wie das über die Eheleute Jekabs und Zelda Zagorje, die als sogenannte Kontingentflüchtlinge nach Düsseldorf kamen. 1995 war das, da war das aus Lettland stammende Paar schon über 60. Dann der Neuanfang, und was für einer. Sie fanden schnell Anschluss in der Gemeinde, weil sie den Anschluss aktiv suchten, sie entdeckten eine Heimat und Sicherheit. „Hier in Düsseldorf habe ich keine Angst, nicht vor der Polizei, nicht vor anderen Leuten“, sagt Jekabs Zagorje, der heute als 85-Jähriger ein „Minjan-Mann“ist, einer, der zum festen Stamm der Gottesdienstbesucher gehört. Eine wichtige Aufgabe ist das, denn in der jüdischen Religion benötigt man mindestens zehn erwachsene Männer, damit ein kompletter Gottesdienst stattfinden
kann. Und Zelda macht Krankenbesuche, hilft Neuankömmlingen mit ihren Sprachkenntnissen.
Es klappt nicht immer so gut und reibungslos. Die Zuwanderung vieler Juden vor allem aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion hat die Gemeinde seit 1990 zwar rasant anwachsen lassen, sie aber auch vor erhebliche Probleme gestellt. Die Menschen, die kamen und Zuflucht suchten, waren ihrem Glauben entfremdet. Und so stellen sich viele Aufgaben. Das Fehlen einer „gemeinsamen Wurzel“sei manchmal spürbar, sagt Michael Rubinstein, Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein, auch „das gemeinsame Streben, dass wir eine Gemeinde sind“. Viele von ihnen müssen Heimat noch erfahren und erleben, ein Zuhause, dem man vertrauen kann.
Wie schwierig das bis heute ist, zeigt das Jahr 2000. Das ist nicht nur das Jahr, in dem Paul Spiegel zum Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland gewählt wird und somit ein Düsseldorfer das höchste Amt bekleidet. Es gibt im Juli 2000 auch den Sprengstoffanschlag an der Wehrhahn-Station, bei dem sechs Mitglieder der jüdischen Gemeinde schwer verletzt werden. Keine drei Monate später wird ein Brandanschlag auf die Synagoge verübt.
„Zuhause in Düsseldorf“ist ein Bekenntnis und auch deshalb ein Lesebuch für alle Düsseldorfer. „Zuhause in Düsseldorf“bleibt aber auch eine Aufgabe. Und das erfährt man spätestens beim Verlassen des jüdischen Gemeindehauses, wenn der Weg durch die obligate Sicherheitsschleuse führt.