Rheinische Post Duisburg

Pfaffs Hof

- Von Hiltrud Leenders

Dass es die gab, wusste ich aus der „Bravo“, aber außer mir hatte keiner so eine. Die Mädchen in der Schule beneideten mich alle darum, aber ich wusste nicht so recht, was ich damit anfangen sollte.

Auch wenn sie einen „Atombusen“hatte, wie Vater das nannte, war es doch einfach nur eine Puppe. Und mit Puppen spielte ich nicht mehr, seit Omma gestorben war.

Aber Barbara war völlig aus dem Häuschen. „Der können wir ganz schicke Kleider nähen, Mensch!“

Barbara wollte nämlich Modeschöpf­erin werden und entwarf dauernd auf ihrem Zeichenblo­ck alle möglichen Ensembles.

Und so saßen wir den ganzen Winter über fast jeden Nachmittag in Onkel Maaßens Werkstub und schneidert­en Barbieklei­der. Barbara konnte das gut.

Ich war nicht so geschickt, weil die Nähte ganz fein sein sollten und man winzige Stiche machen musste.

Aber Onkel Maaßen war sehr lieb zu mir. Trennte vorsichtig auf und zeigte mir noch einmal, wie man die Abnäher für den Busen machte oder einen Druckknopf annähte.

Mutter freute sich wohl darüber, denn sie ließ mich in Ruhe und ging abends selbst die Milch holen.

Oft kam sie auf dem Rückweg herein und redete ein bisschen mit Onkel Maaßen.

Meist, wenn die neue Tante Maaßen in der Stadt war.

Einmal brachte Mutter ein weißes Kaninchenf­ell mit, das Opa ihr geschenkt hatte.

„Vielleicht habt ihr ja Verwendung dafür . . .“

Das hatten wir. Wir nähten gera- de ein schulterfr­eies, rotes Ballkleid mit ganz weitem Rock und setzten den Saum damit ab. Aus dem restlichen Fell schneidert­en wir eine passende Stola.

„Und wenn ihr was bestickt haben wollt, müsst ihr es nur sagen.“

Barbara und ich guckten uns in die Augen und schüttelte­n beide den Kopf.

Unsere Barbie in bestickten Kleidern?

Das passte überhaupt nicht. Es war gemütlich in der Werkstub mit dem glühenden Bollerofen und dem Geruch nach neuen Stoffen, Rauch und Schneiderk­reide.

Vater freute sich immer, wenn er samstags keinen Spätdienst hatte, denn dann konnte er um sechs Uhr im Fernsehen die Sportschau gucken.

Dirk und ich durften nie dabei sein, weil er es ruhig haben wollte.

Meistens hatte er hinterher schlechte Laune. „Immer muss man sich den scheiß FC Köln angucken . . .“

„Stefan!“, schimpfte Mutter. Aber manchmal, wenn sie „Schalke“gezeigt und die auch noch gewonnen hatten, war er obenauf. „Schalke 04“war sein Verein.

Vor dem Krieg waren er und seine Freunde immer mit dem Fahrrad zu den Spielen gefahren, vier Stunden hin und vier Stunden zurück. „Auf Vollgummir­eifen!“

Eigentlich guckte Vater nicht viel Fernsehen. Nur wenn ein alter Film mit Zarah Leander lief, musste er den unbedingt sehen.

Dann setzte Mutter sich sogar dazu. „Verschmäht­e Liebe“, seufzte sie dann, „das geht einem so richtig schön ans Herz.“

Vater sang alle Lieder laut mit und rollte das „r“genauso wie Zarah Leander.

„Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n . . .“

Oft merkten sie dann gar nicht, dass ich noch auf war.

Saßen ganz dicht beieinande­r. Als Mutter dann auch mitsang: „Nur nicht aus Liebe weinen. Es gibt auf Erden nicht nur den einen. Es gibt so viele auf dieser Welt. Ich liebe jeden, der mir gefällt“, ging ich freiwillig ins Bett. Aber auch das kriegten sie nicht mit.

Herr Struwe bestellte Mutter ein und sagte ihr, dass ich auf die höhere Schule gehen sollte.

„Wenn Sie das Mädchen nicht zum Gymnasium schickten, das wäre ein Verbrechen!“

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.

Sicher, ich würde dort Gabi und Klara wiedertref­fen, aber die kannte ich doch eigentlich gar nicht mehr.

Aus meiner Klasse sollte nur die dicke Cornelia mit den geschieden­en Eltern aufs Mädchengym­nasium gehen. Außer ihr würde ich niemanden kennen. Und dann die vielen fremden Lehrer . . .

Ich hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch.

Mutter sagte nur: „Mal gucken . . .“Zu Hause schrieb ich einen Brief an Guste und brachte ihn sofort zur Post.

Ihre Antwort kam nur ein paar Tage später, obwohl sie sich sonst meist viel Zeit damit ließ.

Sie hatte auf Notenpapie­r geschriebe­n.

„Selbstvers­tändlich musst Du aufs Gymnasium gehen, Annemie!

Mit dem Abitur steht Dir die Welt offen. Du kannst sogar studieren und Dir jeden Beruf aussuchen, den Du Dir wünschst. Und Du wirst Englisch lernen, stell Dir vor, und endlich verstehen können, was die Beatles da singen.

Ach, ich wünschte, die Zeiten wären anders gewesen und ich hätte studieren können. Dann wäre ich heute Musikprofe­ssorin oder Richterin.

Ist doch klar, dass Du ein wenig Sorge hast. Die hat man immer, wenn man etwas Neues beginnt, ganz normal.

Augen zu und durch, Wicht! Später bist Du froh, das weiß ich genau.

Ich freue mich so für Dich.“

Als ich Barbara davon erzählte, wurde sie teufelswil­d.

„Ich kann auch einen tollen Beruf haben, wenn ich nach der Schule eine Lehre mache!“

Onkel Maaßen war genauso wenig begeistert.

„Ein bisschen abgehoben, findest du nicht? Außerdem ist so ein Studium teuer. Wovon sollen deine Eltern das denn bezahlen? Findest du es richtig, denen jahrelang auf der Tasche zu liegen? Die haben doch wohl schon genug für dich gedarbt.“

„Genau“, schimpfte Barbara. „Außerdem heiratest du sowieso irgendwann. Dann ist das ganze Geld zum Fenster rausgeschm­issen.“

Und Onkel Maaßen nickte dazu.

„Wim ist dagegen“, sagte Mutter beim Abendessen.

Vater runzelte die Stirn. „Was geht den das an? Der ist doch bloß neidisch. Das Kind geht auf die höhere Schule und damit Schluss!“

(Fortsetzun­g folgt)

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