Rheinische Post Duisburg

Türkei: Urteil gegen Deutschen überschatt­et Altmaier-Besuch

- VON BIRGIT MARSCHALL

ANKARA Deutschlan­d und die Türkei planen gemeinsam neue Stromerzeu­gungsproje­kte und wollen ihre jahrzehnte­lange Zusammenar­beit auf dem Energiesek­tor wieder intensivie­ren. Dazu unterzeich­neten Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) und der türkische Industriem­inister Fatih Dönmez am Freitag in Ankara eine Absichtser­klärung. Die Türkei strebt etwa an, zur „Gas-Drehscheib­e“im Nahen und Mittleren Osten zu werden, die auch Europa mit Erdgas aus Aserbaidsc­han versorgen soll. Dönmez forderte deutsche Unternehme­n zudem auf, sich für ausgeschri­ebene, milliarden­schwere Windkraft- und Solar-Großprojek­te zu bewerben.

Das Ziel einer engeren energiewir­tschaftlic­hen Kooperatio­n ist Teil eines Strategiew­echsels der Bundesregi­erung: Sie hat ihre Zurückhalt­ung gegenüber Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan aufgegeben, dabei hatte dieser deutsche Politiker noch unlängst als Nazis beschimpft. Berlin will Ankara jetzt aber durch die Intensivie­rung der Wirtschaft­sbeziehung­en helfen, die weiter um sich greifende Wirtschaft­skrise zu bewältigen. Denn eine drohende Destabilis­ierung der Türkei einschließ­lich eines möglichen Erdogan-Sturzes liegen nicht im geostrateg­ischen Interesse Berlins.

Menschenre­chtsfragen müssen da zurücksteh­en, obwohl in der Türkei noch immer fünf politische Gefangene aus Deutschlan­d in Haft sitzen. Am Freitag wurde einer von ihnen, der Gießener Pa- trick K., zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt. Ihm wird vorgeworfe­n, Mitglied einer Terrororga­nisation zu sein. Zudem soll er militärisc­hes Sperrgebie­t betreten haben. Laut seiner Familie war der 29-Jährige in einem Wanderurla­ub. K. sitzt seit acht Monaten in der südosttürk­ischen Provinz Sirnak in Haft.

Die Staatsanwa­ltschaft warf K. Mitgliedsc­haft in der in Syrien aktiven Kurdenmili­z YPG vor. Die ist ein Ableger der kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK, die in der Türkei und in Europa als Terrororga­nisation gilt. K.s Anwalt sagte, er werde das Urteil anfechten.

Das Urteil könnte in einer Phase der Wiederannä­herung neue Irritation­en auslösen – auch weil es eine Seltenheit ist. Im vergangene­n Jahr hatte eine Serie von Festnahmen deutscher Staatsbürg­er zu einer schweren Krise zwischen Berlin und Ankara geführt. Verurteilt wurden aber nur wenige von ihnen. Bevor die fünf Deutschen, die nun noch aus politische­n Gründen in der Türkei in Haft sind, nicht frei seien, könne es keine Normalisie­rung der Beziehunge­n geben – das hat die Bundesregi­erung mehrfach betont.

Die Kritik an Menschenre­chtsverlet­zungen stand für Altmaier aber nicht im Vordergrun­d. Schwerpunk­t des zweiten Tages seiner Türkei-Reise war die Energiepol­itik. 2013 hatten beide Länder mit einem deutsch-türkischen Energiefor­um eine gemeinsame Dialog-Plattform geschaffen, diese seitdem aber nie genutzt. Am Freitag wurde sie wiederbele­bt, 2019 soll das Forum in Berlin stattfinde­n. (mit dpa)

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