Tochter stellte Vater aus Verzweiflung Sauerstoff ab
Die 20-Jährige war mit der Pf lege des kranken Mannes völlig überfordert. Jugendschöffengericht urteilte mit viel Augenmaß.
(bm) Mit einem erschütternden Fall musste sich am Donnerstag das Duisburger Amtsgericht am König-Heinrich-Platz beschäftigen. Weil sich eine mit der Pflege ihres Vaters völlig überforderte 20-jährige Duissernerin nicht mehr anders zu helfen wusste, stellte sie dem 67-Jährigen im Februar und März bei zwei Gelegenheiten kurzzeitig den Sauerstoff ab. So wollte die erschöpfte junge Frau erreichen, dass der Mann für ein paar Tage ins Krankenhaus kam.
Die Anklage warf ihr gefährliche Körperverletzung und Misshandlung Schutzbefohlener vor. Bei dem ersten Vorfall hatte sie dem Vater auch noch ein Kissen auf das Gesicht gedrückt. Taten, welche die 20-Jährige unter Tränen gestand. „Ich wollte ihm doch nichts tun. Ich wusste nur nicht weiter“, sagte die junge Frau leise und hielt sich dabei an einem kleinen braunen Stoff-Teddybären fest.
Schon ihre ersten Lebensjahre waren nicht leicht: Sie kam mit einer Kiefer-Gaumen-Spalte zur Welt, in der Kindheit stellten sich Herzprobleme ein. Die Mutter starb 2003 an einer Alkoholerkrankung. Die Angeklagte wuchs beim Vater auf. Der Alleinerziehende war selbst phasenweise überfordert. Es soll zu Gewalt gekommen sein. Die 20-Jährige ver- teidigt ihn dafür. „Er hat alles für mich getan. Ich habe Papa so lieb gehabt.“
Als der Vater krank wurde, übernahm sie Haushalt und Pflege des Lungenkranken. Der erlitt 2017 auch noch einen Schlaganfall, war an Armen und Beinen gelähmt. Wenn er nicht im Krankenhaus war, kümmerte sich seine Tochter rund um die Uhr um ihn. „Sie litt unter akutem Schlafmangel, kam kaum noch aus dem Haus, konnte Maßnahmen des Arbeitsamtes nicht durchführen“, so ihr Anwalt.
Warum sie sich keine professionelle Hilfe geholt habe? Die Angeklagte lächelte müde: „Jemand vom Pflegedienst kam regelmäßig, wechselte die Windel und war wieder weg.“
Auch im Krankenhaus nahm offenbar niemand die Überforderung der jungen Frau wahr. Immer wieder wurde der Patient in ihre Pflege nach Hause entlassen. „Ich habe gedacht: Ich schaffe das schon irgendwie“, bedauerte die 20-Jährige. „Ich habe nicht gemerkt, wie überfordert ich war.“
Da zunächst wegen versuchten Totschlags ermittelt wurde, saß die Angeklagte einen Monat in Untersuchungshaft. Die richterlich angeordnete Kontaktsperre zum Vater wurde zu spät aufgehoben: Auf dem Weg zu ihm erreichte die Angeklagte im Mai die Todesnachricht. Da war die Wohnung schon geräumt. „Alle meine Papiere waren weg“, so die 20-Jährige. „Und ich habe kein Erinnerungsstück mehr an Papa.“Wegen eines Traumas ist sie inzwischen in Therapie.
Das Jugendschöffengericht sah keinen Anlass, die bislang unbescholtene Angeklagte noch mehr zu bestrafen, als es das Leben und das Versagen des Gesundheitssystems schon getan haben: Die 20-Jährige wurde verwarnt und zu vier Wochen Dauerarrest verurteilt. Die sind schon durch die Untersuchungshaft abgegolten.