Rheinische Post Duisburg

Tschechow als Fernseh-Show

Barbara Bürk und Clemens Sienknecht kreuzen Tschechows Tragikomöd­ie „Onkel Wanja“mit TV-Unterhaltu­ng der 1970er und -80er.

- VON DOROTHEE KRINGS

Es wird eine Sofa-Ecke geben, wie bei „Wetten, dass . . ?“, Rate-Pulte wie beim „Großen Preis“und einen Moderator mit Assistenti­n wie in „Am laufenden Band“. Vor allem aber wird es Kandidaten geben, die sich vor der Kamera genieren, und doch alles geben, um die Quiz-Aufgaben zu lösen: Diesmal geht es um ein Bildungsbü­rger-Thema, um Tschechows „Onkel Wanja“.

Wenn die Regisseuri­n Barbara Bürk und der Musiker und Schauspiel­er Clemens Sienknecht gemeinsam Theater machen, gibt es Reibung zwischen Inhalt und Form, dann treffen große literarisc­he Werke auf mediale Genres, die ihre große Zeit bereits hinter sich haben. So hat das Künstlerpa­ar „Effi Briest“, „Anna Karenina“und„Madame Bovary“mit Elementen des Hörspiels aus der frühen Privatradi­o-Ära gekreuzt und die gewichtige­n literarisc­hen Stoffe in berührende Theaterabe­nde verwandelt. So wurde „Effi Briest“2016 zum Theatertre­ffen nach Berlin eingeladen.

Für das Düsseldorf­er Schauspiel­haus haben sie sich nun einen dramatisch­en Text vorgenomme­n und lassen Tschechows „Onkel Wanja“auf die Fernsehunt­erhaltungs-Formate der 70er und 80er Jahre treffen. Kandidaten treten in einem Show-Hybrid auf, der aus Versatzstü­cken von Publikumsr­ennern wie „Dalli, Dalli“oder „Einer wird gewinnen“komponiert ist. Sie singen und tanzen und beantworte­n Fragen zu Tschechow. So ergibt sich aus den Antworten der Kandidaten die Geschichte von Onkel Wanja und den anderen Lebensmüde­n auf einem Gut in der russischen Pro- vinz, die hochfliege­nde Träume hatten und nun in einer enttäuscht­en Wirklichke­it festsitzen. Irgendwann wird einer von ihnen die Waffe ziehen, um den anderen etwas zu beweisen, doch wird auch das kläglich enden.

„Viele sehen in Tschechow ja nur das Tragische“, sagt Barbara Bürk, „ich muss oft lachen, wenn ich seine Stücke lese, und er hat auch selbst geschriebe­n, dass das Ernste in seinen Werken gebrochen werden muss. Tschechow hatte eine skep- tische und zugleich liebevoll-humorvolle Weltwahrne­hmung.“Diese Überlageru­ng von Verzweiflu­ng und Komik, von verdrängte­r Enttäuschu­ng und dem Bedürfnis, naiv Spaß haben zu dürfen, sehen Bürk und Sienknecht auch in den TV-Shows der Nachkriegs­zeit. Die beiden Theatermac­her haben sich stundenlan­g Abendunter­haltung mit Hans Rosenthal, Hans-Joachim Kulenkampf­f und Co. angeschaut, haben sich eingehört in den Duktus der Moderatore­n und die lampenfieb­rigen Auftritte ihrer Kandidaten. Dabei sei ihnen aufgefalle­n, wie der Schrecken der Kriegsjahr­e in diesen Shows durchschim­merte. „Kulenkampf­f hat in seinen Moderation­en immer wieder auf den Krieg angespielt“, sagt Clemens Sienknecht, „ich habe seine Shows als Kind geliebt, da habe ich das gar nicht begriffen. Aber wenn man die Abende heute schaut, ist offensicht­lich, wie erlebtes Grauen und Amüsierwil­le einander überlagern.“

In ihrem Stück „Wonkel Anja – die Show!“, das am 10. November im Central Premiere hat, spielt Sienknecht nun selbst den Moderator. „Natürlich mit Assistenti­n“, sagt Bürk, die Regie führt, „auch der Chauvinism­us jener Zeit hat uns interessie­rt, weil das ebenfalls ein Motiv bei Tschechow ist. Auch auf dem russischen Landsitz sind die Frauen Zierde, sie sind nur Liebes- und Sehnsuchts­objekte.“

Sienknecht, der seit Beginn seiner Theaterkar­riere in Hamburg als Musiker für Christoph Marthaler arbeitet, tritt aber nicht nur als Schauspiel­er auf, sondern hat auch für diese Inszenieru­ng Auswahl und Arrangemen­ts der Musik übernommen. Die TV-Abendunter­haltung vergangene­r Jahrzehnte bot da viel Material. „Wir imitieren aber nicht, sondern gehen offensiv andere Wege, etwa indem wir die Musik fürs Fernsehbal­lett auf Blockflöte­n spielen“, sagt Sienknecht. Mit derlei Verfremdun­gen lenken die Theater-

macher den Blick auf das Wesen der Formate, die sie zitieren. Sie irritieren, aber denunziere­n nicht.

Mit Nostalgie haben beide Künstler nämlich kein Problem. „Wir greifen solche alten Formate ja auf, weil wir wissen, dass unsere Zuschauer sie kennen. Wir teilen unsere Erinnerung und können uns in der Inszenieru­ng auf dieses gemeinsame Wissen beziehen“, sagt Bürk.

Freude an gepflegter Abendunter­haltung trifft auf Tschechows Blick für die Nöte von Menschen, die derlei Ablenkung brauchen, um mit den Vergeblich­keiten der Welt fertig zu werden. Auf solchen Spannungsf­eldern kann starkes Theater entstehen.

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Clemens Sienknecht und Barbara Bürk imCentral.

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