Die Nerven: Musik fürs Jetzt
Wer behauptet, die Nerven seien die „am miesesten gelaunte Rockband“des Landes, der lügt. Bei ihrem Auftritt im ausverkauften Bachsaal der Johanneskirche zeigte sich das Trio gut aufgelegt. Besonders Schlagzeuger Kevin Kuhn schien einen Clown gefrühstückt zu haben. In kurzer Hose und als junger Lookalike von Axl Rose machte er Faxen. In einem kurzen Moment der Stille verkündete er, er habe soeben beschlossen, mit der Musik aufzuhören, deshalb sei dies hier und heute das letzte Konzert. Als Zugabe stimmte er „We Are The Champions“an. A capella. Von mieser Laune keine Spur.
Vor einem halben Jahr hat die Band ihr hochgelobtes Album„Fake“veröffentlicht, ein quälendes, sperriges Ding, textlich schweres Zeug, wenn auch nicht mehr ganz so bleiern wie auf den Alben zuvor. Man könnte sagen: poppiger Noise-Rock. Verspielter Hardcore. Krach mit Pausen. Vor dem Konzert wurden jedenfalls Ohrenstöpsel verteilt. Als Warnung.
Im Video zu ihrer Single „Angst“hatten sie sich noch von der befreundeten Band Tocotronic doubeln lassen. Zum New Fall Festival standen sie nun selbst auf der Bühne: Neben Kuhn Gitarrist und Sänger Max Rieger und Bassist und Sänger Julian Knoth, der ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „Toxic“ trug, giftig. Nach sphärischem Intro wurde es hart und unbarmherzig. Erster Song: „Niemals“. Leider gingen die Stimmen im wütenden Gitarrengewitter unter und tauchten nicht wieder auf. Stattdessen Satzfetzen: „Lass alles los, gib alles frei.“Oder: „Immer nur dagegen, aber gegen was?“Die ersten vier Lieder liefen ineinander über. Einmal tanzte Rieger so, wie man tanzt, wenn man nicht tanzen kann, was goldig anzusehen war. „Explosionen“hieß eines der Stücke und ja, manchmal war es wie im Krieg. „Es bricht über uns herein, die Explosionen, wir waren dabei.“Die Nerven hatten mehr Fragen als Antworten. Ihre Zerrissenheit passt zur Jetzt-Zeit.