Häufig bekommen Patienten von ihren Ärzten honorarpf lichtige Zusatzleistungen angeboten. Wir haben geprüft, welche sinnvoll sind und welche nicht.
DÜSSELDORF Sie erinnern im Namen an das niedliche Stacheltier, doch im Unterschied zu ihm sind die Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) stark umstritten. Während Befürworter in ihnen ein zusätzliches Angebot zum Leistungskatalog der Krankenkassen sehen, werden sie von Kritikern eher als medizinisch wirkungslose Geldquelle gebrandmarkt, die den Ärzten jährlich mehr als eine Milliarde Euro in die Kassen spült. Ein näherer Blick auf die IGeL-Leistungen offenbart: Vieles davon ist tatsächlich überflüssig und fragwürdig, einiges davon aber auch durchaus sinnvoll. Ein Überblick.
Messung des Augeninnendrucks
Kaum etwas macht dem Menschen mehr Angst als das Erblinden. Augenärzte müssen daher in der Regel nicht viel Überzeugungsarbeit leisten, um bei ihren Patienten präventiv und IGeL-mäßig den Augeninnendruck messen zu dürfen. Denn sollte der erhöht sein, ist das ein potentieller Hinweis auf ein sich entwickelndes oder bereits bestehendes Glaukom („grüner Star“), das den Sehnerv schädigt und schließlich zur Erblindung führen kann. Keine andere IGeL wird den Patienten so oft angeboten wie die Augeninnendruckmessung.
Ihre Aussagekraft ist jedoch begrenzt. Etwa die Hälfte der Glaukome wird durch eine alleinige Augeninnendruckmessung übersehen, weswegen sie von Ludger Wollring vom Berufsverband der Augenärzte (BVA) sogar als „Kunstfehler“gebrandmarkt wird. Wird sie jedoch mit einer visuellen Untersuchung des Sehnervs kombiniert, taugt sie durchaus zur Früherkennung. Und das sei, wie Wollring betont, in Augenarzt-Praxen die Regel.
Ultraschall von
Brust und Eierstöcken Eierstockkrebs ist die fünfthäufigste Todesursache bei Frauen. Eine wirkungsvolle Prävention wäre hier also sehr wünschenswert, doch ob dazu auch die Ultraschalluntersuchung der Eierstöcke gehört, ist fraglich. In den letzten drei Jahren wurde sie fast jeder fünften Patientin angeboten, doch vom IGeL-Monitor wird sie ausdrücklich als negativ bewertet. In diesem Gutachten, das durch interdisziplinäre Wissenschaftler im Auftrag der Gesetzlichen Kranken- kassen angefertigt wird, heißt es: „Mit Ultraschalluntersuchung sterben gleich viele Frauen an Eierstockkrebs wie ohne Untersuchung.“Stattdessen würden nur viele Frauen unnötig durch Fehlalarme beunruhigt und sogar eigentlich gesunde Eierstöcke entfernt.
Beim Ultraschall zur Prävention von Brustkrebs fanden die Experten nicht einmal genug Daten, um ein positives oder negatives Urteil abgeben zu können. Trotzdem rangiert diese Leistung unter den Top Ten der beliebtesten IGeL.
HPV-Test zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs Humane Papillomviren (HPV) gelten als Hauptauslöser für den Gebärmutterhalskrebs, an dem jährlich rund 1500 Frauen sterben. Es gibt zwar schon für die Früherkennung den so genannten Pap-Test, bei dem Schleimhautzellen an Gebärmutterhals und Muttermund abgestrichen und unter dem Mikroskop begutachtet werden. Doch er gibt lediglich Aufschlüsse darüber, ob Zellen gesund oder krank sind, während der HPV-Test im Schleimhautabstrich gezielt nach dem Hauptverursacher des Tumors sucht.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum hält ihn daher für sinnvoll, „allerdings nicht für jüngere Frauen unter 30 Jahren“. Der Grund: Jüngere Frauen sind häufiger HPV-infiziert, doch bei ihnen heilt das auch relativ häufig folgenlos wieder ab. In den nächsten Monaten wird eine Kombination aus Papund HPV-Test ins gesetzliche Früherkennungsprogramm für Frauen über 35 aufgenommen. Sie können sich dann alle drei Jahre entsprechend untersuchen lassen, und die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen.
PSA-Test zur Früherkennung des Prostatakarzinoms
Die Prostata des Mannes schüttet mehr PSA-Eiweiß aus, wenn sie an Krebs erkrankt ist, und diese Veränderung lässt sich im Blut nachweisen. Das Problem: Der PSA-Wert steigt auch bei einer harmlosen Entzündung oder Vergrößerung der Vorsteherdrüse. Hier liegt es am Arzt, nicht vorschnell für Unruhe zu sorgen. „Die Probleme liegen weniger im Wert als in den Schlüssen, die man aus ihm zieht“, erläutert Markus Graefen vom Prostatakrebszentrum des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf.
Ein PSA-Wert von über 2 ng/ml sei kein Grund zur Panik, so der Urologe, sondern lediglich eine Aufforderung, den Test im nächsten Jahr zu wiederholen. Erst bei über vier ng/l sollte schon vier Wochen später ein weiterer Test erfolgen. Wobei der Patient spätestens dann bestimmte Verhaltensregeln für die Stunden vor der Blutabnahme einhalten muss. So sollte er auf Sex und längere Fahrradtouren verzichten, denn sie können ebenfalls den PSAWert erhöhen.
Dermatoskopie zur Früherkennung von Hautkrebs
Bei der Dermatoskopie wird die Haut mit einer speziell beleuchteten Lupe untersucht, um frühzeitig bösartige Veränderungen entdecken zu können. Und tatsächlich: In einer internationalen Studie gaben 86 Prozent der Dermatologen an, dadurch mehr Melanome gefunden zu haben, und 71 Prozent sagten, dadurch weniger überflüssige Schnitte an gutartigen Läsionen durchgeführt zu haben. „Unsere Studie bestätigt die Dermatoskopie als wertvolles Werkzeug, die Melanomdiagnostik zu verbessern“, resümiert Studienleiterin Ana-Maria Forsea vom Elias University Hospital in Bukarest. Die rumänische Forscherin bemängelt allerdings, dass die Potenziale der Dermatoskopie – mittlerweile lässt sie auch mit einer hochauflösenden Digitalkamera durchführen – noch besser ausgeschöpft werden könnten.
Professionelle Zahnreinigung in der Zahnarztpraxis
Viele Zahnärzte empfehlen den Patienten, sich vierteljährlich bis jährlich die Zähne und Zahnzwischenräume säubern, von Belägen befreien, polieren und fluoridieren zu lassen. Denn dies soll angeblich vor Karies und Parodontose schützen. Doch die wissenschaftliche Da- tenlage dazu ist lückenhaft. In einer schwedischen Studie zeigte sich sogar, dass schon eine jährliche Anleitung zur richtigen Zahnpflege – ohne professionelle Reinigung – kaum noch Zahnfleischentzündungen aufkommen lässt. Der Grund: Wenn der Patient sein Gebiss daheim besser pflegt, wirkt sich das täglich aus, während die professionelle Zahnreinigung nur alle paar Monate stattfindet.
Infusionen gegen
Hörsturz und Tinnitus
Hartnäckig hält sich in der HNO-Medizin die Vorstellung, wonach Hörsturz und Tinnitus durch Durchblutungsstörungen im Innenohr ausgelöst würden. Der Patient bekommt deswegen IGeL-mäßig mehrere Tage lang Infusionen mit Arzneimitteln verabreicht, die den Blutfluss verbessern sollen. Eindeutige Belege für deren Wirksamkeit fehlen jedoch, dafür gibt es diverse Berichte zu Nebenwirkungen wie Schwindel, Kopfschmerzen und sogar zunehmende Ohrgeräusche. Der Grund: Die Infusionen können den Blutdruck so weit in den Keller sacken lassen, dass am Ende die Durchblutung im Innenohr eher schlechter als besser wird.
Akupunktur bei Migräne
Die Experten des IGeL-Monitors gehen bei ihrer Bewertung recht streng vor: Von den bisher 50 bewerteten Leistungen wurden 25 negativ bewertet, bei 20 lautete das Urteil „unklar“, weil man keine wissenschaftlichen Daten finden konnte. Gerade einmal drei erhielten eine tendenziell positive Note: die Lichttherapie gegen Depressionen, die Stoßwellentherapie beim Fersenschmerz – und die Akupunktur bei Migräne. Gerade Letzteres erstaunt, weil Wissenschaftler alternativen Heilverfahren in der Regel skeptisch gegenüber stehen. Doch im IGeL-Monitor heißt es: „Studien ergeben, dass Akupunktur Migräneschmerzen ebenso gut lindert wie Medikamente, deren Nutzen nachgewiesen ist.“Und dabei spiele es keine Rolle, wo die Nadeln gesetzt werden.
Was im Endeffekt bedeutet: Eigentlich muss der Akupunkteur gar nicht wissen, wo er nadelt – Hauptsache, er nadelt. Das klingt nicht gerade danach, als müsse er eine besondere Kompetenz besitzen. Doch am Ende zählt ja nur, dass er dem Patienten nachgewiesenermaßen geholfen hat.