Rheinische Post Duisburg

Menschlich in einer grausamen Welt

Das Schauspiel Hannover gastierte im Stadttheat­er mit „Die Nacht von Lissabon“nach Remarque.

- VON INGO HODDICK

Emigranten und Flüchtling­e sind heute mehr denn je ein großes Thema. Im deutschspr­achigen Schauspiel scheinen sie aber noch wenig auf künstleris­ch hochkaräti­ge Weise vertreten. Am Schauspiel Hannover ist das anders, das zeigte jetzt das Gastspiel „Die Nacht von Lissabon“im Duisburger Theater, nach dem vorletzten (geschriebe­n 1962) und letzten zu Lebzeiten veröffentl­ichten (1963) Roman von Erich Maria Remarque (1898-1970). Was in Hannover in einer kleineren Spielstätt­e ablief, war in unserer Stadt geschickt vor dem Eisernen Vorhang auf der Vorbühne platziert.

Der Abend beginnt hier als Universitä­ts-Vorlesung in Psychologi­e über „Postnomadi­sche Traumatisi­erungen infolge von Krieg und Flucht“– die Zuschauer wurden sogar ermahnt, sie sollten nicht wieder Kaugummis unter den Bänken hinterlass­en.

Der Regisseur und Bearbeiter Lars-Ole Walburg hat also die Rahmenhand­lung ersetzt. Im Origi- nal erzählt ein Emigrant im Jahre 1942 im Hafen von Lissabon einem Schicksals­genossen eine Nacht lang seine Lebensgesc­hichte – als Preis dafür, dass er ihm zwei Schiffsfah­rkarten in die Vereinigte­n Staaten samt Visa schenkt. Es handelt sich dabei um eine abenteuerl­iche Flucht von Osnabrück (das war die Heimatstad­t auch von Remarque) über die Schweiz, Frankreich und Spanien, mit und ohne seine Frau Helen, deren Bruder Georg Jürgens als Gestapo-Beamter sein Gegenspiel­er ist. Da gibt es nicht nur Angst, Bürokratie und Verzweiflu­ng, sondern auch die Lust auf Leben und die Liebe, durch die es mög- lich wird, in einer grausamen Welt menschlich zu bleiben.

Das spricht unmittelba­r an, auch weil der Autor darin viele eigene Erfahrunge­n verarbeite­te - wobei er selbst als internatio­nal erfolgreic­her Schriftste­ller oft besser durchkam, was im Text auch angesproch­en wird: „Bekannte Leute werden als Flüchtling­e bevorzugt behandelt - das ist fast das selbe wie ‚Übermensch­en‘ und ‚Untermensc­hen‘!“In Marseille bekommt der Erzähler von einem Amerikaner Schiffsfah­rkarten und Visa geschenkt, muss dann den ihn bereits abtranspor­tierenden Georg ermorden - und findet eines Tages seine krebskrank­e Frau tot vor, sie wollte nicht mit in die USA und nahm sich das Leben.

Auf 100 pausenlose Minuten ist das schlüssig eingedampf­t. Die spannende und auch sprachlich eindringli­che Geschichte wird von einem einzigen Darsteller herüber gebracht, Silvester von Hösslin spielt grandios zusammen mit dem Theatermus­iker Lars Wittershag­en. Zum herzlichen Applaus am Ende erhob sich der größte Teil des Publikums.

 ?? FOTO: KARL-BERND KARWASZ ?? Silvester von Hösslin (links) spielte grandios zusammen mit dem Theatermus­iker Lars Wittershag­en.
FOTO: KARL-BERND KARWASZ Silvester von Hösslin (links) spielte grandios zusammen mit dem Theatermus­iker Lars Wittershag­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany