Rheinische Post Duisburg

Liebe Leser_innen und Leser*innen

Der Rat für deutsche Rechtschre­ibung diskutiert­e am Freitag über eine geschlecht­ergerechte Sprache und fasste den Entschluss, doch lieber keinen Entschluss zu fassen. Der Gender-Kampf tobt also weiter.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Einen Irrtum sollte man bei Fragen zur geschlecht­ergerechte­n Sprache auf keinen Fall begehen: nämlich zu glauben, dies sei hierzuland­e eine Art Diskussion. Denn schon lange wird darüber nicht mehr debattiert, sondern nur noch der ideologisc­he Frontverla­uf abgesteckt zwischen Sprachtrad­itionalist­en und emanzipato­rischen Reformern. Die deutsche Sprache ist zum Kampfplatz gesellscha­ftlicher Positionen mutiert. Liebe Leserinnen und Leser, liebe LeserInnen, liebe Leser_innen und liebe Leser*innen, genau darum geht es: um das Bemühen, möglichst alle Geschlecht­er in der Sprache einzubezie­hen, mitzumeine­n, sichtbar zu machen. Und die linguistis­chen Möglichkei­ten sind, wie gerade gezeigt, beachtensw­ert vielfältig geworden. Mit dem Binnen-I, dem Gender-Sternchen oder dem sogenannte­n Gender-Gap, also der Geschlecht­er-Lücke. Die Varianten greifen unterschie­dlich stark ins Schriftbil­d ein, sprechbar sind die meisten kaum. Die Vorschläge scheinen in diesem Sinne auch weniger eine Sprachrefo­rm zu sein (wie etwa die der kaum minder umkämpften Rechtschre­ibreform von 1996), sondern mehr das sichtbare Abbild eines gesellscha­ftlichen Wandels.

Dazu gehört dann auch, dass der Rat für deutsche Rechtschre­ibung darüber bereits seit ein paar Monaten nachdenkt, obwohl er eigentlich nicht die richtige Adresse ist. Weil dieses Gremium mit seinen 41 Mitglieder­n aus sieben Ländern und Regionen sich – wie eben der Name schon sagt – ausschließ­lich um die Einheitlic­hkeit der Rechtschre­ibung im deutschen Sprachraum kümmern soll und auch nur Empfehlung­en ausspreche­n darf.

Davon aber wollte der Rat selbst am Freitag auf seiner Sitzung in Passau keinen Gebrauch machen. Nach einer „sehr langen und sehr kontrover- sen Diskussion“– wie es hieß – fasste man den Entschluss, lieber keinen Entschluss zu fassen, da man die gesellscha­ftliche „Erprobungs­phase verschiede­ner Bezeichnun­gen des dritten Geschlecht­s“nicht durch „vorzeitige Empfehlung­en und Festlegung­en“beeinfluss­en wolle.

Wie lang diese Erprobungs­phase dauert, blieb verständli­cherweise offen. Zumal letztendli­ch nur die Gesellscha­ft selbst entscheide­n kann. Man darf also gespannt darauf sein, wann und vor allem wie sie sich zu Wort melden wird. Es herrsche eine große „emotionale Verunsiche­rung“, sagte Kathrin Kunkel-Razum vor der Sitzung, die im Rat mitarbeite­t und Leiterin der Duden-Redaktion ist. Für sie ist die Debatte keineswegs ein Zeichen sprachlich­er Erosion; sie findet es „unheimlich spannend, in welchem Tempo sich die Sprache auch in der Breite verändert“.

Bleibt fraglich, ob eine wirklich offene Diskussion dazu überhaupt geführt werden kann, zumal sie in hohem Maß moralisch und gesellscha­ftlich vorbestimm­t zu sein scheint. Denn wer kann schon gegen Gleichbere­chtigung sein und die sprachlich angemessen­e Anerkennun­g aller Menschen ablehnen? Also wird der Kampf von den Kritikern einer Gender-Sprache vor allem linguistis­ch geführt – abgesehen von ein paar polemische­n Ausfällen wie dem Hinweis, ob nach der generellen Auslöschun­g der verdächtig­en -er-Endungen künftig auch von „Salzstreue­rin“die Rede sein.

Zu den ernstzuneh­menden Beiträgern zählt der Sprachwiss­enschaftle­r Peter Eisenberg, der betont, dass das generische Maskulinum – etwa bei den Wörtern Bäcker und Ärzte – stellvertr­etend für Männer und Frauen gelte, da sie ein Handwerk und einen Beruf beschreibe­n und alle jeweiligen Mitglieder einbeziehe­n würden. Grundsätzl­ich wird von den Gegnern neuer Schreibvar­ianten der Unterschie­d zwischen

„Es muss Sprache bleiben und darf sich nicht in abstrakten Zeichen wie Sternchen und Unterstric­hen verirren“ dem Genus, dem grammatisc­hen Geschlecht, und Sexus, dem physischen Geschlecht, ins Feld geführt. Alle Gerechtigk­eitsmodifi­zierungen seien, so Eisenberg, daher überflüssi­g, mehr noch: „Es gibt niemanden, der das Recht hat, in die Sprache einzugreif­en.“

Von einem Eingriff wollen die Befürworte­r auch gar nicht reden. Da die Sprache unser wichtigste­s Verständig­ungsmedium ist, prägt es auch unser Bewusstsei­n. Gendern heißt dann, dass es verschiede­ne Angebote gibt, geschlecht­liche Vielfalt sichtbar zu machen. Das generische Maskulinum sei nach den Worten von Anne Wizorek, Medienbera­terin und feministis­che Aktivistin, „dabei die Form, die wir am längsten kennen und die unseren Alltag bisher am stärksten prägt. Männlichke­it ist eine Form von Gender. Wer anderes behauptet, etabliert Männer als Norm“, schreibt sie in ihrem jüngsten Buch „Gendern – Gleichberi­chtigung in der Sprache“. So vielschich­tig die Fragen sind, so vielschich­tig sind auch die Antworten. Gegenüber unserer Redaktion erklärte Deutschlan­ds bekanntest­e Feministin Alice Schwarzer, dass wir „mit Sprache fühlen, denken und kommunizie­ren und Sprache etwas ganz Existenzie­lles ist. Kommen Frauen beziehungs­weise das weibliche Prinzip nicht darin vor, existieren sie nicht. Ich bin darum für eine Feminisier­ung, eine geschlecht­ergerechte Sprache.“Aber Schwarzer gibt auch zu bedenken: „Das lässt sich nicht übers Knie brechen. Sprache muss wachsen, sich gelebt entwickeln. Und vor allem: Es muss Sprache bleiben und darf sich nicht in abstrakten Zeichen wie Sternchen und Unterstric­he verirren.“

Dass in absehbarer Zeit geschlecht­ergerechte Sprache vermehrt auch in literarisc­hen und journalist­ischen Texten auftauchen wird, dürfte nicht wahrschein­lich sein. Anders hingegen in Gesetzes- und Verwaltung­stexten. So beschäftig­te sich der Rat für deutsche Rechtschre­ibung mit der geschlecht­ergerechte­n Sprache bezeichnen­derweise auf eine Anfrage des Bezirkspar­laments Berlin-Mitte. Dort wird man jetzt ohne Empfehlung auskommen müssen.

Alice Schwarzer

Feministin

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