Rheinische Post Duisburg

„Spahn steht die Zukunft offen“

Der CSU-Ehrenvorsi­tzende spricht über die Machtkämpf­e der Jahre 2002 und 2018 in CSU und CDU.

- MICHAEL BRÖCKER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

MÜNCHEN Edmund Stoiber hat gerade in einem Telefonat die Aufsichtsr­atssitzung des FC Bayern München vorbereite­t. Jetzt kommt er in den kleinen Konferenzr­aum in seinem Münchner Anwaltsbür­o. Es geht um sein anderes Lieblingst­hema: die Union. Der 77-jährige Ehrenvorsi­tzende der CSU ist bestens informiert und voller Energie. STOIBER Horst Seehofer braucht kein Mitleid. Er ist ein erfolgreic­her Politiker, der für dieses Land viel geleistet hat. Er ist seit Jahrzehnte­n ein Aushängesc­hild der CSU in Bonn und Berlin. Und er hat als Ministerpr­äsident und Parteivors­itzender in den letzten zehn Jahren erfolgreic­h Politik für Bayern und Deutschlan­d gemacht.

Sein Abgang wird geradezu herbeigese­hnt, in der eigenen Partei und in der Öffentlich­keit. Das hat doch etwas Tragisches.

STOIBER Der Abgang aus der Politik ist nie einfach, aber letztlich war der Wunsch nach einem Generation­swechsel in der Partei zu groß. Den richtigen Zeitpunkt für den Abschied aus der Politik muss man erstmal finden. Mein Rückzug vom Amt des Ministerpr­äsidenten nach über sechzigpro­zentiger Zustimmung bei der Landtagswa­hl 2003 fiel mir nicht leicht, auch wenn ich anschließe­nd doch sehr schnell wieder in das neue Leben gefunden habe. In der Bundespoli­tik der vergangene­n Jahrzehnte ist ein selbstbest­immter, würdevolle­r Abschied wohl am besten Hans-Dietrich Genscher gelungen.

Warum ist das so schwer? STOIBER Viele Politiker fühlen sich noch unvollende­t. Aber alles hat seine Zeit, auch in der Politik. Die Kunst ist, dies zu erkennen.

Gab es bei Ihnen Entzugsers­cheinungen?

STOIBER Nein. Ich habe schnell meine Arbeit als Rechtsanwa­lt wieder aufgenomme­n und mich auch in Beiräten und Aufsichtsr­äten engagiert, was mir große Freude bereitet. Ich wollte nicht von 100 Prozent auf Null runterfahr­en, sondern nur auf etwa 80.

Sollte Horst Seehofer auch sein Amt als Innenminis­ter aufgeben? STOIBER Nein, das Junktim sehe ich nicht. Er kann ein guter Innenminis­ter sein, auch ohne den Parteivors­itz inne zu haben. Der Innenminis­ter hat in jedem Kabinett einen besonderen Einfluss, weil die innere Sicherheit ein überragend­es Gut ist.

Nun soll ausgerechn­et der Mann, der mit 37 Prozent das zweitschle­chteste CSU-Ergebnis der Geschichte zu verantwort­en hat, auch noch Parteichef werden, nämlich Markus Söder?

STOIBER Das ist eine oberflächl­iche Betrachtun­gsweise. Schauen Sie sich die Situation der großen Volksparte­ien in Europa an. In den Niederland­en, in Frankreich, in Österreich, in Schweden. Überall haben die beiden ehemals großen Parteien dramatisch an linke und rechte Gruppierun­gen verloren, manche sind ganz verschwund­en. Die Bindungskr­aft der Volksparte­ien ist geschwächt, die Individual­isierung und die Personalis­ierung der Politik, Stichwort Macron, Stichwort Kurz, spielen eine große Rolle. Vor diesem Hintergrun­d ist das Ergebnis der CSU in Bayern vergleichs­weise ordentlich, auch wenn es uns natürlich nicht zufriedens­tellen kann. Und: Ich war immer der Meinung, dass der Parteivors­itz und das Amt des Ministerpr­äsidenten in eine Hand gehören, wie bei Strauß, Seehofer und mir. Das ist auch eine Frage der Autorität bei bundespoli­tischen oder internatio­nalen Verhandlun­gen und Gesprächen. Deshalb wäre es folgericht­ig, wenn Markus Söder das Amt anstreben würde.

Er ist nicht gerade ein beliebter Ministerpr­äsident.

STOIBER Warten Sie es ab. Er hat doch gerade erst angefangen. Markus Söder hat nach der Wahl zum Ministerpr­äsidenten nun eine eigene Legitimati­on und wird sich in den nächsten Jahren bewähren. Ich traue ihm zu, ein sehr erfolgreic­her und prägender Ministerpr­äsident zu werden. Fragen Sie mich im Jahr 2023 nochmal.

In der CDU findet die Runderneue­rung statt. Friedrich Merz ist der Überraschu­ngskandida­t für den Vorsitz. Sie haben kräftig mitgehol- fen, dass Merz aus der Politik ausgestieg­en ist.

STOIBER Sie meinen die Fraktionsw­ahl 2002.

Genau. Sie haben der Vorsitzend­en Angela Merkel Unterstütz­ung zugesicher­t, Herrn Merz als Fraktionsv­orsitzende­n abzulösen. So kam es dann auch.

STOIBER Zunächst einmal hat sich der Fraktionsv­orsitzende Friedrich Merz so wie die Ministerpr­äsidenten der CDU 2002 für mich als Kanzlerkan­didat der Union ausgesproc­hen. Er war im Bundestags­wahlkampf als Schattenmi­nister für Finanzen eine Säule in meinem Team. Er wäre unter einem Kanzler Stoiber natürlich auch Finanzmini­ster geworden. Ich habe seine finanz- und wirtschaft­spolitisch­e Expertise immer hoch geschätzt.

Aber dann musste er als Fraktionsc­hef gehen. Herr Merz hat ihnen das lange nachgetrag­en. STOIBER Er war natürlich sehr enttäuscht von meiner Entscheidu­ng. Die Parteivors­itzende Angela Merkel hat mich einen Tag vor der Bundestags­wahl darüber informiert, dass sie auch im Falle einer Wahlnieder­lage den Fraktionsv­orsitz anstrebt und hat mich um Unterstütz­ung gebeten. Ich habe ihr das im Gesamtinte­resse der Union zugesagt. Sie hat mich davon überzeugt, dass in der Opposition Partei- und Fraktionsv­orsitz in eine Hand gehören. Und Friedrich Merz sollte ihr herausgeho­bener Stellvertr­eter werden. Ich habe es sehr bedauert, dass er zwei Jahre später ganz aus der Politik ausgestieg­en ist. Aber das ist Vergangenh­eit. Wir haben heute ein ordentlich­es Verhältnis zueinander. Er hat eine außergewöh­nliche Karriere in der Wirtschaft gemacht und dieses Wissen tut der Politik gut. Wir bräuchten grundsätzl­ich mehr Wechsel zwischen Wirtschaft und Politik. STOIBER Sie hat es sich jedenfalls fest vorgenomme­n. Aber es geht um mehr als Personalfr­agen. Es geht in den nächsten Jahren vor allem um die Stabilität Europas. Die Migrations­frage, die europäisch­e Sicherheit­spolitik, der digitale Binnenmark­t, es gibt existenzie­lle Themen. Deutschlan­d darf nicht ausfallen. Wir brauchen deshalb eine stabile Bundesregi­erung mit Gestaltung­skraft in Europa. Das ist das Entscheide­nde. Schädlich für Europa wären parteiinte­rne Machtkämpf­e in Deutschlan­d.

Dass der Kanzlerkan­didat 2021 aus der CSU kommt, wie 2002 bei Ihnen, ist aber wohl unrealisti­sch, oder?

STOIBER Das ist doch heute wirklich kein Thema.

Aber die absolute Mehrheit bleibt Anspruch der CSU?

STOIBER Ein Ergebnis von unter 40 Prozent kann jedenfalls nicht der Anspruch der CSU sein. Eine Voraussetz­ung für eine Trendumkeh­r ist, dass die Politik der CSU in München, Berlin und Brüssel als Einheit wahrgenomm­en wird.

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