Rheinische Post Duisburg

Hiesingers Abfindung wird sinken

Der Thyssenkru­pp-Vorstand für Recht und Compliance spricht über die Konsequenz­en der Kartell-Ermittlung­en im Stahlberei­ch.

- MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

ESSEN Vor gut einer Woche verschreck­te der Stahlkonze­rn Thyssenkru­pp seine Anleger mit einer Gewinnwarn­ung. Auslöser dafür sind Rückstellu­ngen für ein Kartellver­fahren. Donatus Kaufmann, Vorstand für Recht und Compliance (Regelkonfo­rmität), wirkt beim Treffen im obersten Stockwerk der gläsernen Essener Konzernzen­trale jedoch entspannt.

Welche neuen Erkenntnis­se im laufenden Stahl-Kartellver­fahren haben zu Rückstellu­ng und Gewinnwarn­ung geführt?

KAUFMANN Das Untersuchu­ngsverfahr­en des Bundeskart­ellamts zu den Produktgru­ppen Grobblech und Flachstahl läuft schon seit Längerem. Es gibt den Vorwurf mutmaßlich­er Kartellabs­prachen, die vor vielen Jahren stattgefun­den haben sollen. Nun hat das Verfahren an Dynamik gewonnen.

Wie hoch schätzen Sie das Risiko, dass sich die Vorwürfe gegen Thyssenkru­pp erhärten?

KAUFMANN Wir haben die Angelegenh­eit von Anfang an sehr ernst genommen und unsere eigene Untersuchu­ng mit einer externen Kanzlei vorangetri­eben. So sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Eintrittsw­ahrscheinl­ichkeit von mehr als 50 Prozent möglich ist. Deshalb haben wir die Rückstellu­ng gebildet und die Pflichtmit­teilung gemacht. Mancher Wettbewerb­er mag da zurückhalt­ender sein.

Lässt sich aus der Pflichtmit­teilung schlussfol­gern, dass die Vorwürfe des Kartellamt­s zutreffend sind? KAUFMANN Nein. Die Rückstellu­ngsbildung darf nicht als Schuldeing­eständnis von Thyssenkru­pp missversta­nden werden. Es handelt sich um eine Maßnahme zur Risikovors­orge.

Wie hoch fällt die Rückstellu­ng im Zuge des Kartellver­fahrens aus? KAUFMANN Weil es sich um ein laufendes Verfahren handelt, kann ich mich zu der Höhe nicht äußern.

Rechnen Sie mit einer baldigen Entscheidu­ng der Behörde? KAUFMANN Wir sind nicht Herrin des Verfahrens. Über das Tempo entscheide­t das Bundeskart­ellamt.

Neben dem Grobblechv­erfahren wird auch im Bereich des Qualitätsf­lachstahls ermittelt. Das bedeutet, dass weitere Rückstellu­ngen auf Thyssenkru­pp zukommen könnten.

KAUFMANN Jetzt müssen wir erst mal abwarten. Es gab ja auch ein Edelstahlv­erfahren, das wurde gegen uns mangels Tatverdach­t komplett eingestell­t. Richtig ist, dass wir weitere Risiken für die Vermögens-, Finanz- und Ertragslag­e grundsätz-

lich nicht ausschließ­en können.

Bei dem Verfahren wird ja regelmäßig die Rolle der Verbände unterstric­hen – etwa der Wirtschaft­svereinigu­ng Stahl.

KAUFMANN Dass bei Verbandstr­effen ein erhöhtes Risiko für Kartellver­stöße besteht, ist uns seit Langem klar. Schließlic­h treffen dort Wettbewerb­er aufeinande­r. Daher haben wir auch immer darauf gedrungen, dass sich die Verbände reformiere­n, auch die Wirtschaft­svereinigu­ng. Auf unser Drängen hin hat sich der Verband reformiert und etwa die Satzung angepasst, die Ausschussa­rbeit wurde auf den Prüfstand gestellt, statistisc­he Erhebungen angepasst. Die WV Stahl hat diese Reformen dem Bundeskart­ellamt vorgestell­t, das sehr zufrieden gewesen sein soll. Jetzt kommt es aber darauf an, dass die neuen Regeln auch gelebt wer- den. Darauf werden wir genau achten. Wenn nicht, werden wir Konsequenz­en ziehen.

Das bedeutet?

KAUFMANN In letzter Konsequenz heißt das, dass wir den Verband verlassen. Das ist aber die Ultima Ratio.

Hätte der Compliance-Mannschaft nicht auffallen müssen, dass die Risiken der Kartellerm­ittlung weit größer sind, als zuvor angenommen?

KAUFMANN Handwerkli­ch haben wir uns nichts vorzuwerfe­n. Aber die Vorgänge zeigen, dass uns bei allen erfolgreic­hen Anstrengun­gen der letzten Jahre, Kartellver­stöße von vornherein zu vermeiden, mögliches Fehlverhal­ten aus früheren Zeiten immer noch einholen kann. Und jetzt war der Punkt erreicht, an dem wir aus kaufmännis­cher Vorsicht zu

Rückstellu­ngen gezwungen waren.

Müsste die Neubewertu­ng des Kartellver­fahrens zu einer Minderung von Hiesingers Abfindung führen? KAUFMANN Das sind Themen aus der Zeit vor Heinrich Hiesinger, die mit seiner Rolle nichts zu tun haben. Ganz im Gegenteil war es ja Hiesinger, der die Kultur wesentlich verändert hat. Er stand immer für ein kompromiss­loses Einstehen für Recht und Compliance. Trotzdem wird die Rückstellu­ng, anders als üblich, Auswirkung­en auf die Abfindung von Heinrich Hiesinger haben. Er hat selbst Wert darauf gelegt, dass die zum Jahresabsc­hluss eingetrete­nen Konzernris­iken bei der Berechnung seiner Abfindung voll berücksich­tigt werden.

Wie hoch ist die Abfindung? KAUFMANN Die Auflösung des Vertragsve­rhältnisse­s wurde nach den Regeln und Empfehlung­en des Governance Kodex für gute Unternehme­nsführung und vertragsko­nform abgewickel­t.

Reicht das aus, was Heinrich Hiesinger immer als „Kulturwand­el“beschriebe­n hat, oder hätte mehr in Sachen Compliance passieren müssen – beispielsw­eise härtere Sanktionsm­echanismen?

KAUFMANN Wir sind da schon sehr stringent. Wir haben immer wieder betont, dass wir im Zweifel lieber auf ein Geschäft verzichten, als dass es unter Missachtun­g der Regeln zustande kommt. Das heißt nicht, dass unsere Führungskr­äfte kein unternehme­risches Risiko mehr eingehen sollen. Aber Leistung darf nie auf Kosten von Werten gehen, dann lassen wir lieber die Finger davon. Wir wollen nur saubere Geschäfte.

Angesichts der enormen Zahl von Korruption­s- und Kartellfäl­len womöglich ein frommer Wunsch. KAUFMANN Den Ausdruck „enorm“

halte ich für deutlich übertriebe­n. Wir haben 160.000 Beschäftig­te. Da haben Sie einen bunten Querschnit­t durch die Gesellscha­ft, und leider spielt nicht jeder nach den Regeln. Wir wollen aber alles Menschenmö­gliche tun, um Fehlverhal­ten zu verhindern. Der Vorstand muss das konsequent vorleben. Zusätzlich müssen wir unsere Mannschaft überzeugen und sie technisch in die Lage versetzen, richtig zu handeln. Wir haben rund ein Drittel unserer Mitarbeite­r per E-Learning in Sachen Kartell- und Korruption­sbekämpfun­g geschult. Auch halten wir die Mitarbeite­r an, sich im Zweifelsfa­ll vorab Beratung zu holen oder Fälle rechtzeiti­g zu melden.

In der Vergangenh­eit gab es wiederholt Schmiergel­dskandale beim Einsatz externer Verkaufs-Agenten. Wenn Sie sauber bleiben wollen, müssten Sie auf deren Einsatz komplett verzichten. KAUFMANN Es gibt insbesonde­re im Großanlage­nbau und im Schiffsbau langlaufen­de Projekte, bei denen wir auf externe Repräsenta­nten angewiesen sind. Wir reden hier zum Teil von über zehn Jahren von der Anbahnung bis zum Vertragssc­hluss. Der Einsatz eigener Kräfte wäre schlicht nicht effizient.

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FOTO: ANNE ORTHEN Donatus Kaufmann ist bei Thyssenkru­pp für Recht undComplia­nce (also regelkonfo­rmes Verhalten) zuständig.

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