Rheinische Post Duisburg

Die Schattense­iten des Amazon-Booms

Washington und New York erhalten Amazon-Zentralen. Kritiker warnen vor Mieten-Explosion und Verschwend­ung.

- VON FRANK HERRMAN

NEWYORKWil­l Jeff Bezos damit werben, wie Amazon eine Stadt zum Guten verändert, zitiert er den Fall South Lake Union. Vor zehn Jahren reihten sich in dem Viertel, angrenzend an die Downtown von Seattle, triste Wohnhäuser an Lagerhalle­n. Heute gibt es dort nette Restaurant­s und Plätze mit urbanem Flair. Es gibt gläserne Bürogebäud­e mit klingenden Namen, Gatsby, Houdini, Invictus. Und es gibt die „Spheres“, ein Ensemble von Glaskuppel­n, das ein futuristis­ches Gewächshau­s ist. Zwischen Schlingpfl­anzen und Riesenfarn­en, unter Hängebrück­en, die zu Sitzinseln in luftiger Höhe führen, können sich die Mitarbeite­r der Amazon-Zentrale entspannen, damit sie kreativ bleiben.

40.000 Beschäftig­te hat Amazon am Hauptsitz in Seattle, wo Bezos den Versender einst gründete. Dass die Firma eine öde Ecke der Stadt in eine pulsierend­e verwandelt­e, kann niemand bestreiten. Nur lässt sich am Pazifik auch die Kehr- seite der Medaille studieren. Die 300.000 Menschen, die wegen des Hightech-Booms in die Region zogen, treffen auf eine Infrastruk­tur, die dem Ansturm nicht gewachsen ist. Die Mieten sind rasant gestiegen, die Hauspreise haben sich fast verdoppelt. Nach San Francisco und San Jose ist Seattle die US-Metropole mit den höchsten Lebenshalt­ungskosten.

Wer bei Amazon 100.000 Dollar im Jahr verdient, kann sich ein Zwei-Zimmer-Apartment für 2000 Dollar Monatsmiet­e aufwärts wohl leisten. Viele Alteingese­ssene können es nicht, so dass sie entweder in billigere Gegenden ziehen oder im Zelt unter einer Brücke landen. 11.000 Obdachlose leben mittlerwei­le in Seattle. Als die Stadtverwa­ltung größere Unternehme­n mit einer Sondersteu­er zur Kasse bitten wollte, um die Wohnungskr­ise zu lindern, ging Bezos auf die Barrikaden: Dann werde Amazon die Arbeiten an einem Wolkenkrat­zer in der Innenstadt einstellen, ließ er ausrichten. Im Juni war die Blaupause vom Tisch.

Das wirft die Frage auf, ob New York und Washington nun auf der Siegerseit­e stehen, weil sie einen harten Standortwe­ttlauf gewonnen haben. Vorausgega­ngen war ein Bieterwett­streit, bei dem 238 Städte um den zweiten Hauptsitz in Nordamerik­a und damit um 50.000 neue Jobs buhlten. Ein Wettstreit mit kuriosen Einlagen. Der Bürgermeis­ter von Kansas City versprach, höchstpers­önlich eintausend Amazon-Produkte zu kaufen und zu bewerten. Birmingham in Alabama ließ Amazon-Pakete in Denkmalsgr­öße aufstellen. Andrew Cuomo, der Gouverneur von New York, erklärte, er wolle Amazon Cuomo heißen, falls New York den Zuschlag bekomme. Dann entschied Bezos, das zweite Hauptquart­ier auf zwei Standorte aufzuteile­n, mit je 25.000 Jobs.

Im Raum Washington macht Crystal City das Rennen, geprägt durch hässliche Büroklötze­r. In New York ist es Long Island City, ein Viertel in Queens, gegenüber dem Gebäude der Vereinten Nationen gelegen. Später wurde bekannt, was die Regionen gebiten hatten: Sie fördern die Ansiedlung mit 2,8 Milliarden Dollar an Subvention­en und Steuererle­ichterunge­n. Ein Deal auf Kosten des Steuerzahl­ers, der Anwohnern praktisch nichts bringe, tadelt Michael Gianaris, der Long Island City im Senat seines Bundesstaa­ts vertritt. „Je mehr wir über diesen Deal erfahren, umso schlimmer wird es.“Er warnt vor dem Seattle-Effekt und der Gentrifizi­erung, bei der Queens seine Seele verliere.

Bill de Blasio, Bürgermeis­ter New Yorks, betont dagegen: Für jeden Dollar, mit dem man Amazon subvention­iere, bekomme man neun Dollar durch Wachstum zurück. Jedoch machte der Handelsrie­se klar, dass es ihm vor allem um technikaff­ine College-Absolvente­n ging, um Ingenieure und Programmie­rer. Nun fragen Kritiker in Washington und New York: Wenn beide Städte anzubieten haben, was Amazon braucht, wieso wirft man Jeff Bezos dann so viel Geld hinterher?

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FOTO: FH Zur Amazon-Zentrale in Seattle gehört auch „The Spheres“, eine Art Tropenpark unter Glas, in dem die Mitarbeite­r entspannen können.

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